Schmalhorst, Regine, Die Tierhalterhaftung

im BGB von 1896. Die Entstehung und Änderung des § 833 BGB sowie eine Analyse der Rechtsprechung des Reichsgerichts bis 1908 (= Rechtshistorische Reihe 255). Lang, Frankfurt am Main 2002. 286 S. Besprochen von Ute Walter. ZRG GA 121 (2004)

Schmalhorst, Regine, Die Tierhalterhaftung im BGB von 1896. Die Entstehung und Änderung des § 833 BGB sowie eine Analyse der Rechtsprechung des Reichsgerichts bis 1908 (= Rechtshistorische Reihe 255). Lang, Frankfurt am Main 2002. 286 S.

 

Die uns heute geläufige Fassung des § 833 BGB mit der unterschiedlich ausgestalteten Haftung des Tierhalters für die Unberechenbarkeit tierischen Verhaltens, je nachdem, ob es sich um sogenannte Luxustiere oder Berufstiere handelt, beruht auf der Einfügung des § 833 Satz 2 in das Bürgerliche Gesetzbuch, die im Jahre 1908 bereits kurze Zeit nach dessen Inkrafttreten erfolgte. Demnach gilt eine Gefährdungshaftung des Tierhalters für Schäden durch Tiere nach Satz 1 und eine vermutete Verschuldenshaftung für Schäden durch Haustiere, die dem Berufe, der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalte des Tierhalters zu dienen bestimmt sind. Demgegenüber hatte der seit 1. 1. 1900 geltende § 833 BGB a. F. eine uneingeschränkte Gefährdungshaftung des Tierhalters angeordnet. Die strenge Gefährdungshaftung, die bei Landwirten, Lohnfuhrunternehmern, Kleingewerbetreibenden, soweit sie auf die Haltung der Tiere angewiesen waren, wegen der Vielzahl der vor allem durch Pferde, Hunde und Kühe hervorgerufenen Schäden existenzvernichtend sein konnte, war rechtspolitisch offenbar nicht lange zu halten gewesen: Die alsbaldige Reform im Sinne einer abmildernden Korrektur scheint mit dieser wirtschaftlichen Bedeutung der Tierhalterhaftung zu Beginn des 20. Jahrhunderts zusammen zu hängen.

 

Die Verfasserin der von Werner Schubert betreuten Dissertation geht zunächst der Frage nach, wie es überhaupt zu § 833 BGB a. F. gekommen war. Handelte es sich um eine Übernahme der römisch-rechtlichen Tradition, die im Zwölftafelgesetz (mit der actio de pauperie und der in ihr enthaltenen Noxalhaftung, wonach das schadensstiftende Tier dem Geschädigten noxae auszuliefern war oder Schadensersatz in Geld zu zahlen war) sowie in den inhaltlich vergleichbaren Regelungen Inst. 4,9 und Dig. 9,1 eine verschuldensunabhängige Haftung des Tierhalters kannte? Dies ist bereits deshalb zweifelhaft, weil man sich in den thematisch zugehörigen Regelungen der großen Privatrechtskodifikationen zu Beginn des 19. Jahrhunderts sowohl von der Noxalhaftung entfernt als auch im Wesentlichen die Verschuldenshaftung eingeführt hatte (ALR, ABGB, Ausnahme: Code civil). Nach der Art des Tieres differenzierte immerhin das ALR, das für unmittelbar von Luxustieren hervorgerufene Schäden eine Garantiehaftung des Tierhalters anordnete, in allen anderen Fällen eine Haftung aber auch nur bei Verschulden vorsah.

 

Schmalhorst weist anhand der von ihr umfassend dokumentierten und erschöpfend ausgewerteten Gesetzgebungsmaterialien nach, dass die damals zuerst in das BGB gelangte Fassung auf besondere Gegebenheiten im Reichstag zurückzuführen war. Demnach befürwortete noch die Erste Kommission ausnahmslos das Verschuldensprinzip. Die Vorkommission des Reichsjustizamts forderte vergeblich, (in Anlehnung an die ALR-Regelung) wenigstens für Schäden durch Luxustiere eine verschuldensunabhängige Garantiehaftung vorzusehen. In der Zweiten Kommission verfiel man dann konstruktiv gleichsam ins andere Extrem, indem man grundsätzlich die strenge Gefährdungshaftung für die Halter von Tieren aller Art favorisierte; allerdings wollte man – formuliert in einem einschränkenden Satz 2 - für Haustiere eine vermutete Verschuldenshaftung gelten lassen. Nach der Autorin scheint es dann eine Art Zufall gewesen zu sein, dass es in der dritten Lesung zur Ablehnung dieser über den Satz 2 erreichten Kompromisslösung kam und „nur“ Satz 1 Geltung erlangte (wegen formaler Mängel musste am nächsten Tag die Abstimmung über Satz 2 wiederholt werden, die aber nunmehr statt bejahend ablehnend ausfiel).

 

Weiter widmet sich Schmalhorst in ihrer Untersuchung der Auslegung, die § 833 BGB a. F. in der Rechtsprechung des Reichsgerichts im Hinblick auf seine haftungsbegründenden und haftungsausfüllenden Voraussetzungen erfahren hat. Hierbei fällt ihr deutlich die Tendenz auf, die Tierhalterhaftung zu mildern, sofern das Gesetz dem höchsten Gericht hierzu die Möglichkeit eröffnete (etwa die fehlende Legaldefinition des „Tierhalters“, die Frage nach einem Haftungsausschluss wegen eines zwischen dem Tierhalter und dem Geschädigten bestehenden Vertragsverhältnisses sowie nach dem Mitverschulden des Beschädigten gem. § 254 BGB).

 

Der Entstehungsgeschichte von § 833 Satz 2 BGB nimmt sich die Autorin hieran anschließend an. Dieser Aufbau verstellt ein bisschen den Blick auf die Tatsache, dass der Gedanke an eine abgemilderte Haftung für vermutetes Verschulden bereits während der Gesetzesberatungen zu § 833 a. F. BGB (s. o.) eine Rolle gespielt hatte. Jedenfalls wurde bereits im Jahre 1903 von konservativen Abgeordneten beantragt, den Satz 2 in das BGB aufzunehmen; der Deutsche Landwirtschaftsrat, die Landwirtschaftskammern, der Landeskulturrat sowie der Verband der deutschen Lohnfuhrunternehmer schlossen sich dem an. Parallel zu einem vorgelegten Gesetzesentwurf zur Änderung des § 833 BGB hatte sich 1906 auch der 28. Deutsche Juristentag in Kiel dem Thema angenommen. Unter der Meinungsführerschaft von Enneccerus wollte der DJT aber mehrheitlich am Prinzip der Gefährdungshaftung, die inzwischen auch für Automobile im Gespräch war, festhalten. Zudem sollte das BGB nicht schon nach so kurzer Zeit angetastet werden. Als Gegner des § 833 Satz 2 BGB erweisen sich nach Schmalhorst vor allem sozialdemokratische Abgeordnete, obwohl auch diese die bei der Anwendung von § 833 BGB a. F. entstehenden Härten eingestanden hätten.

 

Als für die weitere rechtshistorische Forschung gewinnbringend verwertbares Kernstück der Arbeit kann die sodann vorgenommene Zusammenstellung der Argumente für bzw. gegen die Einführung des § 833 Satz 2 BGB bezeichnet werden. Interessant ist vor allem, wie Politik und Rechtsgelehrte in der Diskussionsphase mit den Abweichungen des § 833 BGB a. F. von allgemein gültigen Rechtssätzen umgingen. Die Durchbrechung des Verschuldensprinzips hielt man einerseits für unbillig, weil die Tierhaltung der Allgemeinheit zugute käme, was eigentlich eine Privilegierung nach sich ziehen müsse. Demgegenüber wurde freilich eingewandt, dass derjenige, der den größten Vorteil aus der Tierhaltung habe, auch das Risiko tragen müsse. Die Einfügung des Satzes 2 betrachteten einige sogar geradezu als Verstoß gegen den sozialen Gedanken; zumindest wurde eine Differenzierung zwischen minderbemittelten und wohlhabenden Tierhaltern gefordert. Während zunächst ein Vergleich mit der Haftung der Automobilbesitzer, gegen die nur die Verschuldenshaftung griff, als für Satz 2 sprechend gedeutet wurde, kehrte sich das Argument ins Gegenteil, sobald ein Entwurf für das (später Straßenverkehrsgesetz genannte) Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen vorlag. Die nicht vorhandene und Minderbemittelten ohnehin nicht zumutbare Versicherungspflicht bzw. Zwangsversicherung für Tierhalter wurde gegen § 833 BGB a. F. ins Feld geführt.

 

In der über fünf Jahre dauernden Zeit bis zur Einführung des § 833 Satz 2 BGB hatte sich der Reichstag anhand zweier, ähnlich lautender Gesetzentwürfe in schließlich 14 Verhandlungen mit dem Thema beschäftigt. Die von der Verfasserin vorgenommene Auswertung der Rechtsprechung des Reichsgerichts nach 1908 ergibt, dass man sich weitgehend nur mehr mit § 833 Satz 2 BGB befasste, weil auf die zu § 833 BGB a. F. (= § 833 Satz 1 BGB n. F.) bereits entwickelten Grundlinien zurückgegriffen werden konnte. Anhand richtungweisender Urteile des Bundesgerichtshofs zur bis heute unverändert gebliebenen Regelung des § 833 BGB will die Verfasserin schließlich zeigen, dass die von der reichsgerichtlichen Rechtsprechung entfalteten Grundsätze weitgehend gewahrt wurden.

 

In ihrer zusammenfassenden Würdigung nimmt Schmalhorst eine Art chronologisch geordnete Gesamtbetrachtung der Entwicklung vor, indem sie nochmals ausführlich auf die Entstehung des § 833 BGB a. F., des § 833 BGB n. F. sowie seither ergangene wichtige Gerichtsurteile zu sprechen kommt.

 

Auch wenn nichts dagegen einzuwenden ist, dass die Autorin das BGB von 1896 zum Ausgangspunkt ihrer Untersuchung gewählt hat (so auch der Titel der Untersuchung), hätte es sich nach den von der Verfasserin gewonnenen Erkenntnissen sowie nach den von ihr gebildeten Schwerpunkten angeboten, allein die Entstehung der Regelungen des § 833 n. F. BGB zu thematisieren. Die offenbar verunglückt für acht Jahre in das BGB gelangte Fassung des § 833 a. F. BGB erweist sich in einer den kodifikatorischen Entwicklungsstand des 19. Jahrhunderts einbeziehenden Perspektive als bloßes Intermezzo. Doch war es wohl von vornherein nicht die Intention der Autorin, eine solche Perspektive einzunehmen. Ganz sicher scheint sie sich hierüber aber nicht gewesen zu sein, denn sie beginnt ihre Zusammenfassung in der Sache zwar folgerichtig, aber vom gewählten Aufbau her überraschend aus Sicht der seit 1908 geltenden Tierhalterhaftung.

 

Regensburg                                                                                                    Ute Walter