Anton Friedrich Justus Thibaut (1772-1840)
Anton Friedrich Justus Thibaut (1772-1840). Bürger und Gelehrter, hg. v. Hattenhauer, Christian/Schroeder, Klaus-Peter/Baldus, Christian (= Heidelberger Rechtswissenschaftliche Abhandlungen 15). Mohr, Tübingen 2017. X, 383 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Anton Friedrich Justus Thibaut wurde als Sohn eines Offiziers hugenottischer Herkunft in Hameln an dem 4. Januar 1772 geboren und nach dem Studium der Rechtswissenschaft in Göttingen, Königsberg und Kiel 1798 (mit 26 Jahren) außerordentlicher und 1801 ordentlicher Professor mit einem Jahresgehalt von 400 Talern, wechselte 1802 von Kiel nach Jena, wo er unter Abgehen von der römischrechtlichen Legalordnung in dem von Friedrich Schiller erworbenen Gartenhaus ein zweibändiges System des Pandektenrechts erarbeitete, dessen Erfolg ihm 1806 bei einem Salär von fünfzehn Malter Spelz oder Dinkel, zehn Malter Korn und 1800 Gulden Rheinisch sowie tausend Gulden jährlicher lebenslänglicher Zulage für die Person den weiteren Wechsel an das darniederliegende, von Thibaut als in einem Zustand der besorgniserregenden Dissolution befindlich beschriebene, 1804 102 Hörer zählende, von Feuerbach wegen mangelnder Nebenämter und von Savigny wegen einer längst geplante längeren Studienreise zu diesem Zeitpunkt verschmähte Heidelberg ermöglichte, wofür Thibaut gegenüber dem Kurator und dem vermittelnden Arnold Heise von ganzer Seele dankbar war und in der Mitte seines Lebens lebenslängliche Dankbarkeit versprach. Rasch wurde er in Heidelberg unbestrittener Mittelpunkt eines mit Georg Arnold Heise und Christoph Martin gebildeten juristischen Triumvirats. Seine begeisternde und fesselnde Lehre zog in kurzer Zeit zahlreiche Studierende des Rechtes an seinen Wirkungsort am Neckar.
1814 veröffentlichte Thibaut wegen des von ihm zu Recht angenommenen praktischen Bedürfnisses und aus Vaterlandsliebe die Modernität einfordernde Schrift Über die Notwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches für Deutschland, der Savigny umgehend mit seit 1808 vorbereiteten, die langsame Entwicklung im Volk der undemokratischen Entscheidung durch Herrscher den Vorrang einräumenden Überlegungen vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft widersprach. Bekanntlich wurde 1814 die von Thibaut vorgeschlagene Kodifikation nicht geschaffen. Dies wurde oft als Niederlage Thibauts gegen Savigny angesehen.
Die Auseinandersetzung zwischen Anton Friedrich Justus Thibaut und Friedrich Carl von Savigny um eine gesamtdeutsche Kodifikation des Rechtes der Bürger war für das Institut für geschichtliche Rechtswissenschaft (Christian Hattenhauer/Christian Baldus) und die Heidelberger rechtshistorische Gesellschaft (Klaus-Peter Schroeder) Anlass, dem Bürger und Gelehrten Thibaut in seiner Hauptwirkungsstätte Heidelberg 200 Jahre danach eine Tagung zu widmen. Deswegen fanden sich in dem September des Jahres 2014 neunzehn Wissenschaftler aus dem Inland (16) und dem Ausland (3) in den Räumen des internationalen Wissenschaftsforums unterhalb des Heidelberger Schlosses zusammen, um Persönlichkeit, Werk und Wirken Thibauts zu würdigen. Den schriftlichen Ertrag dieser Begegnung legen die Herausgeber der Öffentlichkeit in dem Bewusstsein vor, dass die Beiträge kein lückenloses Bild zeichnen können und verbinden damit gleichzeitig die Hoffnung auf Anstöße zur weiteren Beschäftigung mit Thibaut als einem bedeutenden Rechtswissenschaftler, akademischen Lehrer und Menschen.
Dabei führt Klaus-Peter Schroeder in Thibauts deutsches Gelehrtenleben im Umbruch der Epochen ein, behandelt Gerhard Lingelbach die Entstehung des Systems des Pandektenrechts Thibauts, Johann Braun die Haltung Thibauts zu jüdischen Rechtsgelehrten, Dörte Kaufmann Thibaut im Landtag Badens, Hans-Peter Haferkamp Thibauts Verhältnis zur historischen Rechtsschule Savignys sowie Rainer Polley Thibaut im Urteil der Lehrstuhlnachfolger Vangerow, Windscheid und Bekker. Danach betrachtet Bernd Mertens Thibauts Rechtsquellenlehre, Stephan Meder Thibauts Hermeneutik, Andreas Deutsch Wortschatz, Stil und System einer guten Gesetzgebung, Christian Hattenhauer die natürliche Person, Christoph Becker Kausalität und Abstraktion des Eigentumswechsels sowie Christian Baldus Besitz, Eigentum und Methode bei Thibaut. Götz Schulze greift das Verhältnis Thibauts zu dem französischen Recht auf, Jean-François Gerkens die Rezeption Thibauts in Belgien und Frankreich, Mario Varvaro Thibaut in Italien und Italienischen, Francisco Javier Andrés Santos die „Rezeption“ Thibauts in Spanien sowie Martin Avenarius Thibaut aus Sicht des russischen Zarenreichs, während Harald Pfeifer auf den Musiker Thibaut eingeht und Nicolaus Cramer 92 Mitschriften und Nachschriften zu Thibauts Vorlesungen verzeichnet.
Damit werden insgesamt vielfältige weiterführende Erkenntnisse zu Thibaut geboten. Im Verhältnis zu Savigny wird Thibaut wie bereits durch Hans Hattenhauer (8. September 1931-20. März 2015), dessen Gedächtnis der gelungene Sammelband gewidmet ist, stärker gewichtet. Allerdings ist der Kodifikationsstreit selbst mangels Zuständigkeit und Einfluss von keinem der Kontrahenten entschieden worden. Vielmehr verwirklichte sich nur der naheliegende Egoismus der Staatsoberhäupter der späteren Mitgliedstaaten des Deutschen Bundes, der an bestehenden Rechten von Souveränen schlicht festhalten wollte.
Sucht man darüber hinaus nach den Nennungen Thibauts und Savignys in meinem digitalen Zielwörterbuch integrativer europäischer Legistik (oder vielleicht auch in einer digitalen Fassung des Handwörterbuchs zur deutschen Rechtsgeschichte), so stehen 203 Nennungen Savignys 30 Nennungen Thibauts gegenüber, so ehrenhaft auch immer der in seinem Singverein einigermaßen despotisch handelnde Thibaut letztlich auch war. Vielleicht ist dies ein objektives Urteil der Gut, Gewalt, Geschick und Glück irgendwie vereinenden Geschichte. Jedenfalls beruht das Ergebnis nicht auf einer bewussten Voreingenommenheit eines einzelnen Betrachters.
Innsbruck Gerhard Köbler