Ausgeschlossen - Die 1933 - 1945 entlassenen Hochschullehrer der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Ausgeschlossen - Die 1933 - 1945 entlassenen Hochschullehrer der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, hg. v. Stengel, Friedemann, 2. Aufl. (= Schriften 1933-1945 vertríebener Wissenschaftler der Universität Halle-Wittenberg Band 1). Universitätsverlag, Halle-Wittenberg 2016. XXXVIII, 401 S. , 143 Abb. Besprochen von Ulrich-Dieter Oppitz.
Eine Initiativgruppe an der Martin-Luther-Universität Halle – Wittenberg hat im Jahre 2013 eine Zusammenstellung der Lebensläufe der zwischen 1933 und 1945 entlassenen Hochschullehrer erarbeitet und damit an den Erlass des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ im Jahre 1933 erinnert. Die Arbeit dieser Gruppe fand so viel Anklang, dass sie in einer Rektoratskommission fortgesetzt wurde. Der Kreis der Personen, deren Lebenslinien nachzuziehen sind, wurde zwischenzeitlich auf Assistenten und Studenten erweitert. Weiterhin entschlossen sich die Beteiligten Schriften der Entlassenen in einer eigenen Schriftenreihe neu aufzulegen. Als erster Band dieser neuen Reihe wird nun eine Überarbeitung der Veröffentlichung von 2013 vorgelegt. 21 Autoren und Autorinnen geben Lebensabrisse für drei Frauen und 41 Männer, die in der Lehre an der Universität Halle und an der Pädagogischen Akademie Halle tätig waren. Neben dem Grußwort des Rektors Udo Sträter zur ersten Auflage des Bandes (2013) und dem ursprünglichen Vorwort des Herausgebers ist ein Vorwort zur 2. Auflage vorangestellt, in dem die Aktivitäten zur Erinnerung an die Geschichte der Universität in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts geschildert werden. Der Herausgeber stellt die Grundsätze dar, nach denen die Kommission die Personen ausgewählt hat, deren Schicksal dargestellt wurde. Aufgenommen wurden Personen, die nach dem ‚Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums‘ (7 .4. 1933) oder nach dem ‚Reichsbürgergesetz‘ (15. 9. 1935) ihre Stelle, ihren Lehrauftrag und oft auch ihren akademischen Titel verloren. Da zur heutigen Universität Halle auch die Pädagogische Hochschule gehört, wurden auch Professoren des Vorläufers, der Pädagogischen Akademie, aufgenommen. Damit traten zu den 39 Hochschullehrern der Universität, ein Universitätslektor, ein Assistenzarzt und zwei Professoren der Pädagogischen Akademie. Der Wissenschaftshistoriker Rüdiger vom Bruch (Berlin) stellt die Vorgänge an der Universität Halle in den Kontext der Entlassung und Vertreibung von Hochschullehrern in der NS-Zeit (S. XXV-XXXVIII). Bemerkenswert an der Hallenser Initiativgruppe ist, dass in ihr nicht nur Historiker arbeiteten, sondern die Arbeit von allen Bereichen der Universität getragen wurde und damit kollektive Erinnerung als Verantwortungsbereitschaft der civitas academica ist. Die Darstellungen stützen sich überwiegend auf Materialien des Universitätsarchivs Halle. Von diesen Unterlagen sind erfreulich viele als Abbildungen dem Text beigegeben. In ähnlicher Weise suchen die Verfasser jeweils eine Abbildung der beschriebenen Person beizubringen. Bedingt durch die Heterogenität der Autoren ist auch die Qualität der Beiträge recht unterschiedlich. Manche der Beiträge beschränken sich auf Kurzangaben zu den Lebensdaten, andere wiederum sind überaus ausführlich. Es fällt auf, dass nicht alle Autoren den Catalogus Professorum Halensis, das Nachschlagwerk zur Universitätsgeschichte, heranziehen. Soweit die Autoren Personen behandeln, die nach 1945 in Berlin verstarben, folgt die Ortsangabe der DDR-Sprechvorgabe: Berlin (West) (S. 5, 195) wird Berlin (S. 127, 135) gegenüber gestellt. Nach dem Viermächtestatut war Berlin eine Einheit, die in Zonen geteilt war. Wollte man diese Teilung zum Ausdruck bringen wäre es folgerichtig gewesen, Berlin (Ost) als Todesort der Letztgenannten anzugeben. An Details zeigen sich noch Prägungen einer vergangen geglaubten Zeit. Viele der Beiträge erwecken einen beschönigenden Eindruck bei den Akteuren, welche die Hochschullehrer ausgeschlossen haben. Jeder Ausschluss eines Hochschullehrers oder eines anderen Hochschulmitglieds erforderte einen Antrag der Fakultät, des Dekans und des Rektors. Diese Personen, die bei dem Ausschluss mitgewirkt haben müssen, sind bei keinem der Beiträge genannt. Die Wünsche der Universität wurden durch den Kurator an den Preußischen Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, später Reichs- und Preuß. Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung weitergegeben, er gab dann die Entschließungen des Ministeriums wieder an Rektor, Dekan und Betroffenen. Kein Anonymus hat die Personen ausgeschlossen, sondern Hallenser Kollegen haben ihren Anteil am Ausschluss gehabt und wahrgenommen. Sie nennt niemand. Theodor Brugsch soll versucht haben, seine Kollegen zur kollektiven Niederlegung ihrer Ämter zu bewegen. Seine Bemühungen waren erfolglos, wie er in seinen Memoiren (S. 278f.) berichtet. Die weiter beteiligten Personen von Studentenschaft und Dozentenschaft waren nicht selten umtriebige Nachwuchsparteigenossen. Sie nicht namentlich zu nennen verstößt gegen historische Quellenarbeit. Soweit von „Ausgeschlossenen“ Erinnerungen vorliegen, ist in ihnen immer wieder zu lesen, dass das beschämendste Erlebnis war, wie im Jahre 1933 sich Kollegen und für ‚Freunde‘ gehaltene Personen von persönlichen Kontakten zurückgezogen haben. Guido Kischs Erinnerungen an seine letzten Hallenser Jahre zeigen dies exemplarisch. Besonders erinnert er sich an Gustav Boehmer, der seiner Kenntnis nach bereits in den Querelen um Günther Dehn dessen studentische Gegner gefördert hat. Wenn auch in manchen Beiträgen einzelne dieser Täter genannt sind, so wäre eine tabellarische Übersicht zu den Beteiligten mit Angabe der Zeit, in der sie ‚ausschließen‘ durften und es taten, hilfreich gewesen. Zu fast jedem ‚Ausgeschlossenen‘ gehört ein Stellengewinnler. Er wusste, warum für ihn eine Stelle frei war. Keinerlei Scham hinderte ihn diese Stelle anzutreten. Dies rechtfertigt, mit einem Kurzlebenslauf, ihn in dem Artikel zu dem ‚Ausgeschlossenen‘ zu nennen. Mit diesen ergänzenden Angaben gewinnt die Fleißarbeit der Rektoratskommission an Aussagekraft. Viele der ‚Ausgeschlossenen‘ wurden gerade durch die Bereitschaft von Kollegen ihre Stellen einzunehmen gedemütigt. Unterlegene aus früheren fairen Auswahlverfahren kamen nun zum Zuge, weil sie parteipolitisch gefördert wurden. Die mitgeteilten Auszüge aus Personalunterlagen verdienen eine, in der Arbeit nicht geleistete, nähere Würdigung, soweit es um die Tätigkeit der Beamten im Reichserziehungsministerium geht. Sie waren keineswegs durchgängig engstirnige Durchsetzer der reinen Lehre des Ausschlusses. 1933/1934 wurde durch das Ministerium, und hier besonders durch den Staatssekretär Wilhelm Stuckart und den Ministerialrat Johannes Daniel Achelis, später Professor in Heidelberg, mit ausdrücklicher Deckung durch den Minister Rust eine Politik der ‚Säuberung der Hochschulen‘ betrieben (per aspera ad acta). In der Folgezeit ging der Abteilungsleiter der Abteilung W I, Franz Bachér, mit seinen Mitarbeitern, zu denen auch Werner Jansen gehörte, bis 1936 dazu über, in Einzelfällen Entgegenkommen zu zeigen. Die Bewilligung der Behandlung von Privatpatienten und die Genehmigung eines jährlichen Ruhegehalts (S. 152) sind in diesem Zusammenhang zu sehen. Keineswegs ist dies als eine widerständliche Handlung zu verstehen, jedoch konnte eine flexiblere Reaktion bei Ausschlüssen öffentlichkeitswirksam sein. Gerade die Heranziehung der Akten des Reichserziehungsministeriums im Bundesarchiv verspricht für diesen Aspekt interessante Aufschlüsse. Immerhin bemerkenswert ist es, dass noch in den Jahren nach 1938 bis 1941 für einen Aufenthalt in den Vereinigten Staaten von Amerika Erlaubnisse erteilt wurden (S. 156, 273). Kaum jemand hat zu diesem Zeitpunkt daran gedacht, dass an einer derartigen Erlaubnis 1946/1947 die Rückkehr an die Universität Halle oder die Berufung an die Berliner Universität wegen der Stellungnahme der Deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung scheitern könnte. Oft wird in Schilderungen zum Schicksal ‚Ausgeschlossener‘ die Frage gestellt, ob die Universitäten nach 1945 genug getan haben, Emigranten eine Rückkehr an ‚ihre‘ Universität oder eine andere in Deutschland zu ermöglichen. Hierfür enthält ein Brief Paul Friedländers aus Los Angeles (30. 12.1 946) (S. 108f.) bedenkenswerte Überlegungen. Der Neuanfang unter ungewissen Verhältnissen in fortgeschrittenem Lebensalter wirkte abschreckend. Leider haben zu wenige Universitäten den vorgeschlagenen Zwischenweg beschritten: Einladungen zu Gastvorlesungen oder Vorträgen hätten geholfen, Brücken zu bauen. Dieser Weg führte nach 1950 Guido Kisch nach Frankfurt am Main und später nach Basel, zwar an der Grenze nach Deutschland, aber nicht mehr in das Land, das für den Tod nächster Angehöriger verantwortlich war. Das abschließende Personenregister ist sorgfältig gearbeitet.
Neu-Ulm Ulrich-Dieter Oppitz