Schillinger, Ulrike, Die Neuordnung des Prozesses am Hofgericht Rottweil
Schillinger, Ulrike, Die Neuordnung des Prozesses am Hofgericht Rottweil 1572. Entstehungsgeschichte und Inhalt der Neuen Hofgerichtsordnung (= Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 67), Böhlau 2016, 271 S.
Das für den Südwesten des Reiches vielfach zuständige, seit 1299 nachweisbare kaiserliche Landgericht in Rottweil hatte seit etwa 1435 eine später sogenannte Alte Hofgerichtsordnung, die trotz einiger Spuren von gelehrtem Recht dem mittelalterlichen, dinggenossenschaftlichen Recht zugehörte. Wiederholte Beschwerden der Stände, die besonders Praktiken des Gerichts betrafen, Exemtionsprivilegien aus bestimmten Gründen zu missachten und die Zuständigkeit des Hofgerichts anzunehmen (Ehehafte) sowie Klagen von Juden uneingeschränkt zuzulassen, führten dazu, dass mit kaiserlicher Zustimmung 1569 eine Visitation des Gerichts angeordnet wurde. Die eingesetzten Kommissäre verfassten den Entwurf einer Neuen Hofgerichtsordnung, die sich insbesondere mit den Streitpunkten der Ehehaften und des hergebrachten Rechts der Stadt Rottweil, die Urteilssprecher zu wählen, zu befassen hatte. Am 13. November 1572 billigte Kaiser Maximilan II. schließlich die vom Reichhofrat geänderte Fassung. Dies alles stellt die Autorin am Anfang ihrer von Bernd Kannowski betreuten und von der Universität Bayreuth angenommenen Dissertation dar. Im Hauptteil der Arbeit erläutert Schillinger die Neue Hofgerichtsordnung, wobei sie diese einerseits mit der Alten Hofgerichtsordnung und andererseits mit der Reichkammergerichtsordnung von 1555 vergleicht. Bei der Frage nach der Rechtsnatur der Neuen Hofgerichtsordnung schließt sie sich der Ansicht an, dass sich diese im „Rechtsquellengestrüpp des 16. Jahrhunderts“ (Peter Oestmann) nicht einordnen lasse. Neben der in der Neuen Hofgerichtsordnung aufgeführten örtlichen Zuständigkeit erläutert sie die in der Ordnung nicht explizit geregelte sachliche Zuständigkeit, die außer Beurkundungen deliktsrechtliche Schadensersatzforderungen, andere Zahlungsansprüche oder Erbschaftssachen umfasste. Die Verfasserin verifiziert dies anhand der im Hauptstaatsarchiv Stuttgart aufbewahrten Prozessakten für das späte 16. Jahrhundert, wobei sie ein Übergewicht der Prozesse um Schuldsachen ermittelt. Zur Verfassung des Hofgerichts weist sie darauf hin, dass der vom Kaiser zu ernennende Hofrichter entgegen der Darstellung der Neuen Hofgerichtsordnung sein Amt nicht als Lehen innehatte. Von 1360 bis 1687 befand sich das Amt in der Hand der Grafen von Sulz. Der Hofrichter, der sich bereits seit dem 14. Jahrhundert durch einen Statthalter vertreten lassen konnte, leitete wie im Mittelalter den Prozess, die Rechtsfindung oblag den 13 Beisitzern, die jeweils nach einer Prüfung durch den Hofrichter und die amtierenden Beisitzer von einem Siebenerausschuss des Stadtrates bestimmt wurden. Besondere Wichtigkeit kam dem Hofgerichtsschreiber zu, der als studierter Jurist die – wie die Autorin hervorhebt – bestausgebildete Person am Hofgericht war. Außer der Aufsicht über die Bediensteten hatte er Berichterstattungen in der Urteilsberatung zu übernehmen und dem Hofrichter die Formel für die Umfrage an die Urteiler zu sagen. Bei den Parteivertretern behandelte die Neue Hofgerichtsordnung die Prokuratoren als die Vertreter vor Gericht eingehender als die außergerichtlich beratenden Advokaten. In ihrem ausführlichsten Teil geht die Arbeit auf das Verfahren unter der Neuen Hofgerichtsordnung ein. Es zeigt die typischen Merkmale des frühneuzeitlichen Zivilprozesses auf römisch-kanonischer Grundlage mit zwölf Terminen, artikuliertem Vortrag, Litiskontestation oder nicht öffentlicher Beweiserhebung. Im Wesentlichen war die Neue Hofgerichtsordnung der Reichskammergerichtsordnung von 1555 nachgebildet, berücksichtigte aber, wie die Verfasserin nachweist, ebenso den Reichsabschied von 1570. In Bezug auf die Verfahrensgrundsätze konstatiert Schillinger, dass die Rottweiler Ordnung durch ausgeprägete Eventualmaxime und Möglichkeiten der Prozessbeschleunigung beweglicher war als die Reichskammergerichtsordnung von 1555. Soweit die Neue Hofgerichtsordnung mündliche Stellungnahmen der Parteien beziehungsweise ihrer Prokuratoren zuließ, findet die Autorin in den überlieferten Akten, dass dies in der Praxis häufig durch Schriftlichkeit (schriftliche Rezesse) ersetzt wurde. Bei der Ladung entsprach die Neue Hofgerichtsordnung weitgehend den Regelungen der Reichkammergerichtsordnung von 1555, während sie insofern abweichend die Litiskontestation durch bloßen Schriftsatzwechsel (Klage und Klageerwiderung) ausreichen ließ. Anders als die Reichskammergerichtsordnung von 1555 war vor dem Hofgericht die Widerklage getrennt von der Klage zu verhandeln, auch wenn sie vor der Litiskontestation eingebracht worden war. Soweit die Neue Hofgerichtsordnung als Beweismittel neben Zeugen und Urkunden auch einen „Artzt Barbierer oder eine(n) andern kunst erfarne(n)“ zuließ „vber das so ime auß erfarung seiner kunst bewüßt ist“, dürfte es sich nicht lediglich, wie die Autorin erwägt, um einen sachverständigen Zeugen, sondern um einen Sachverständigen gehandelt haben. Während bei Säumnis des Beklagten die Alte Hofgerichtsordnung noch den Erfolg der Klage ohne Sachprüfung vorsah, folgte die Neue Hofgerichtsordnung dem Eremodialprinzip, das heißt, der Prozess wurde ohne die ausgebliebene Partei fortgesetzt. Obwohl eine ausdrückliche Regelung fehlt, schließt die Verfasserin überzeugend, dass dies auch für die Säumnis nach der Litiskontestation galt. Die Erfüllung der Urteils konnte mit Acht und Anleite erzwungen werden, wobei nach der Feststellung der Verfasserin nur am Rottweiler Hofgericht die Acht Voraussetzung für die Anleite war, während sie am Reichshofgericht nebeneinander verfügt werden konnten. In einem weiteren Kapitel geht Schillinger auf die zahlreichen Exemtionsprivilegien ein, die durch ein Abforderungsverfahren geltend gemacht werden konnten und denen das Hofgericht schon nach der Alten Hofgerichtsordnung, einem kaiserlichen Privileg von 1496 und nach der Neuen Hofgerichtsordnung Ehehafte, also Ausnahmen von Exemtionen entgegen zu setzen versuchte. Da die Ehehafte bereits 2012 von Michael Jack untersucht worden waren, kann sich die Verfasserin insoweit auf eine Zusammenfassung beschränken. Die Neue Hofgerichtsordnung bestätigte erstmals, dass gegen Endurteile oder Beiurteile mit der Wirkung eines Endurteils sofort mündlich (incontinenti, und in fueßstapffen mündlich) oder innerhalb von zehn Tagen an das Reichskammergericht appelliert werden kann. Die Einzelheiten des Rechtsmittels gehen in erster Linie aus den Reichskammergerichtsordnungen hervor. In einem weiteren Kapitel beschreibt Schillinger für die Zeit nach Inkrafttreten der neuen Hofgerichtsordnung zum einen die durch Geldknappheit und nicht ausreichend qualifiziertes Personal gekennzeichneten Zustände am Hofgericht sowie die Widerstände der Kurfürsten und des Schwäbischen Kreises gegen die Inanspruchnahme von Zuständigkeiten durch das Hofgericht. Nachdem bereits 1576 eine Visitation stattgefunden hatte, ordnete Kaiser Ferdinand II. 1619 eine neuerliche, eingehende Visitation an. Der Kaiser instruierte die von den Kommissaren durchzuführenden Prüfungen sehr detailliert, was die Verfasserin im Einzelnen schildert, indes fand die Visitation nie statt. Im letzten Abschnitt befasst sich Schillinger mit dem Hofgericht im Spannungsfeld des Südwestens. Dabei nimmt sie zu dem problematischen Zwiespalt Stellung, dass einerseits die habsburgischen Könige und Kaiser das Hofgericht als ihr Gericht betrachteten und seinen Bestand gegen die Stände sicherten, als Territorialherren jedoch auf ihren Exemtionsprivilegien bestanden. Die Autorin sieht das Interesse der Habsburger am Hofgericht darin, dass die Reichsstadt Rottweil mit dem Hofgericht einen Eckpfeiler der habsburgischen Territorialpolitik im Südwesten bildete. Zusammenfassend stellt die sehr sorgfältige Arbeit unter anderem fest, dass der Verfahrensgang des Hofgerichts im Vergleich zur Reichskammergerichtsordnung von 1555 weniger regelungsintensiv war und den Parteien mehr Spielraum ließ.
Bad Nauheim Reinhard Schartl