Penzholz, German, Beliebt und gefürchtet

– Die bayerischen Landräte im Dritten Reich (= Historische Grundlagen der Moderne – Autoritäre Regime und Diktaturen). Nomos, Baden-Baden 2016. 740 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

Penzholz, German, Beliebt und gefürchtet – Die bayerischen Landräte im Dritten Reich (= Historische Grundlagen der Moderne – Autoritäre Regime und Diktaturen). Nomos, Baden-Baden 2016. 740 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Nur in den kleinsten Gemeinschaften kann ein einzelner Mensch seine Vorstellungen gegenüber seinen Mitmenschen allein durchsetzen. Deswegen bedurfte auch Adolf Hitler zwecks Verwirklichung seiner politischen Zielsetzungen der Unterstützung durch zahllose andere Gehilfen. Einer von ihnen war Dr. Ludwig Pollak (*1882, Studium der Rechtswissenschaft in München, 1908 Promotion in Erlangen, 1926 Regierungsrat, 1932 Bezirksoberamtmann und V-orstand?- Bezirksamt Wertingen, 1938 Parteigenosse der NSDAP, Mai 1945 entlassen, ab 1946 bei der amerikanischen Militärregierung in Wertingen beschäftigt, 1947 als Mitläufer eingestuft, 1. 9. 1948 bei gleichzeitiger Ruhestandsversetzung wiedereingestellt, Sterbedatum nicht verzeichnet), der nach der Einleitung  des Verfassers als Bezirksamtsvorstand  des Bezirksamts Wertingen in einem Grenzstreit um die Errichtung einer Holzhütte 1934 einen ungefügigen Grundstückseigentümer gefragt haben soll „wissen Sie, wer die Leute nach Dachau bringt?“ und diese von dem Befragten verneinte Frage anschließend selbst mit den Worten beantwortet haben soll „Das bin ich“.

 

Mit ihm und seinen Amtskollegen beschäftigt sich die von Andreas Wirsching betreute, 2009 an der philologisch-historischen Fakultät der Universität Augsburg eingereichte, für den Druck gekürzte Dissertation des in Geschichte und Politikwissenschaft ausgebildeten seit Sommer 2001 als studentische Hilfskraft an seiner Heimatuniversität tätigen, 2005 zum Magister Artium in neuerer und neuester Geschichte graduierten, danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an dem Projekt Übersetzungsleistungen von Diplomatie und Medien im vormodernen Friedensprozess an dem Institut für europäische Kulturgeschichte in Augsburg sowie seit 2013 als Bildungskoordinator des Landkreises Ostallgäu tätigen Verfassers, dessen Archivrecherchen die Doktorarbeit nach dem kurzen Vorwort zu einer Reise werden ließen, „in dessen Jahren ich von vielen Personen begleitet wurde und neue Kontakte und Freundschaften fand, denen ich an dieser Stelle danken möchte“ Gegliedert ist das umfangreiche Werk nach einer Einleitung in neun Abschnitte. Sie betreffen das Beamtenkorps, die bayerischen Landräte und die Krise der Weimarer Republik, Machtergreifung und Konsolidierung, die Landräte zwischen Partei und Volksgemeinschaft, die Verjüngung des Korps nach 1937, Terror und Verfolgung für die Volksgemeinschaft, Reform und Zerfall im Zweiten Weltkrieg,  die ehemaligen Landräte in der Nachkriegszeit und eine Schlussbetrachtung über den Weg vom Bezirksamtsvorstand zum Landrat.

 

Grundlage der interessanten und weiterführenden Monographie sind die aus unveröffentlichten wie veröffentlichten Quellen ermittelten, auf den Seiten 431ff. beigegebenen Biogramme der untersuchten Landräte, der weiteren Landräte und zusätzlicher Menschen (insgesamt 289). Aus ihnen ergibt sich insgesamt, dass die Landräte in Bayern vor dem Dritten Reich eine sozial homogene Gruppe nichtjüdischer Herkunft, staatstragender Gesinnung und guter Beurteilungen seitens ihrer Vorgesetzten waren, die erst 1937 stärker, aber nicht grundlegend nationalsozialistisch verändert wurde. 1945 suchten und fanden nur wenige der „Vorkriegslandräte“ eine Karriere als (kommunaler) Landrat, doch kam es nach 1947 zu einer umfangreichen Rückkehr in den Staatsdienst.

 

Während der nationalsozialistisch bestimmten Zeit „operierten vor allem in der Behandlung der so genannten Asozialen die Landräte in Begründungen und im Ausmaß ihrer Aktionen gegen einzelne Betroffene immer stärker mit nationalsozialistischen Begründungsmustern“. Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime oder Widerständigkeiten im Sinne der Verschleppung nationalsozialistischer Maßnahmen gab es, abgesehen von wenigen Einzelfällen, nicht. Die Amtsvorstände stabilisierten, wie der Rest der Verwaltung des Deutschen Reiches das Regime bis zum eigenen physischen Zusammenbruch bei Anrücken der amerikanischen Truppen.

 

Nach dem Kriege stellten sich die Landräte, gestützt von den in den Spruchkammerverfahren bereitwillig gegebenen Erklärungen und Bestätigungen ehemaliger Kollegen, bürgerlicher Eliten und Kirchenvertreter, als die tragischen Wahrer rechtsstaatlicher Ordnung gegen die brutalen Machtanmaßungen der Vertreter der Nationalsozialistischen deutschen Arbeiterpartei dar. Auch in der nur geringen strafrechtlichen Verfolgung behielten die Landräte weiter ihr Selbstbild als reine, aus Gehorsam handelnde Vertreter des alten „anständigen“ bayerischen Beamtentums bei.  Nach der nur von wenigen, kaum verständlichen Schwächen (z. B. während aber frühere Arbeiten in der Konkurrenz ein institutionelles Chaos sahen, durch die enorme Reibungsverluste entstanden) getrübten Untersuchung des Verfassers waren sie Amtsträger, die bei den Geförderten so beliebt und bei den Bedrängten so gefürchtet waren, wie andere Amtsträger an vielen anderen Stellen menschlichen Zusammenlebens auch.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler