Kühne, Jörg-Detlef, Die Entstehung der Weimarer Reichsverfassung
Kühne, Jörg-Detlef, Die Entstehung der Weimarer Reichsverfassung. Grundlage und anfängliche Geltung (= Schriften des Bundesarchivs 78). Droste, Düsseldorf 2018. XX, 996 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.
Verfassung (zu Fass, fassen, seit dem 14. Jh. belegt) ist (materiell) der grundlegende Zustand (vor allem des Staates) und (formell) den diese in seinen Grundzügen beschreibende oder ordnende Urkunde. Insofern hat alles und damit auch jede Gemeinschaft von Menschen eine Verfassung (im materiellen Sinn), wobei zwar vereinzelt bereits seit dem Hochmittelalter Schriftstücke besondere tatsächlich geschaffene Grundzüge einer angestrebten Verfassung festhalten, aber nach allgemeiner Ansicht mit der Virginia Bill of Rights in Amerika die erste formelle Verfassung (Verfassungsurkunde) geschaffen und damit die Constitution of the United States (17. 9. 1787) vorbereitet wird, die bald anderen Gesetzen übergeordnet ist und bei Kollision Verfassungswidrigkeit (voidness) eines der Verfassung widersprechenden Gesetzes bewirkt. Dem folgen allmählich fast alle Staaten der Welt, darunter auch das Deutsche Reich (nach 1848 und 1871) mit der Weimarer Reichsverfassung von dem 14. August 1919.
Nach dem Vorwort des Verfassers von dem Jahrestag der Wahlen zu der Weimarer Nationalversammlung rückt die vorliegende Arbeit die Entstehung der Weimarer Reichsverfassung und ihre anfänglichen Geltungsrealitäten stärker in den Mittelpunkt als bisher, indem sie die seinerzeitigen Verfassungsberatungen über bereits erschienene amtliche und sonstige Quellenwerke hinaus erschließt und damit bisherige Schwächen behebt, die durch die Armut des damaligen Deutschen Reiches, die Gegnerschaft der anschließenden nationalsozialistischen Diktatur und Verluste durch Verfolgung und Krieg sowie die Teilung des Deutschen Reiches in Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik entstanden. Dadurch sollen vor allem die Leistungen und Schwierigkeiten bei der Errichtung und dem anschließenden Erhalt des ersten volldemokratischen Verfassungsstaats Deutschlands deutlicher greifbar gemacht werden. Damit ist zugleich eine bessere Bewertungsmöglichkeit gesichert.
Gegliedert ist das gewichtige und grundlegende Werk nach einer Einleitung über den Veröffentlichungsstand und den Kreis der Entstehungsbeteiligten, die zeitspezifischen Gründe für früheres geringes entstehungsgeschichtliches Interesse und mit einer kritischen Übersicht zu den sieben Stufen der Verfassungsentstehung in drei Abschnitte. Sie betreffen staatsrechtliche Strukturvorgaben mit Niederschriften zu der vorparlamentarischen Verfassungsberatung, Überlieferungen der Verhandlungen in dem (Weimarer) Verfassungsausschuss sowie Mitglieder und Exekutivberater des Verfassungsausschusses. Als Anlagen und Hilfsmittel sind an dem Ende frühe Verfassungsalternativen in dem Spektrum der Weimarer Koalition und ein Vergleich Weimars mit unmittelbaren Vorgängerparlamenten und Folgeparlamenten des Deutschen Reiches sowie ein reichhaltiges Verzeichnis der Quellen und Literatur, ein Abkürzungsverzeichnis, ein Personenverzeichnis von Ablaß bis Zweigert und ein Sachverzeichnis von Abgeordnete bis Zweikammersystem angefügt, so dass auf dieser optimalen Grundlage eine bessere Einstufung der Weimarer Reichsverfassung in die nationale und internationale Verfassungsgeschichte möglich ist.
Innsbruck Gerhard Köbler