Melichar, Peter, Otto Ender 1875-1960

– Landeshauptmann, Bundeskanzler, Minister – Untersuchungen zum Innenleben eines Politikers (= vorarlberg museum Schriften 39). Böhlau, Wien 2018. 369 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

KöblerMelicharottoender20181204 ZIER 8 (2018) 72. IT

 

 

Melichar, Peter, Otto Ender 1875-1960 – Landeshauptmann, Bundeskanzler, Minister – Untersuchungen zum Innenleben eines Politikers (= vorarlberg museum Schriften 39). Böhlau, Wien 2018. 369 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Otto Ender wurde als eines von vier Kindern eines Landwirts und Stickwarenzwischenhändlers und einer 1911 in der Landesirrenanstalt Vorarlberg verstorbenen Gemischtwarenhändlerin in Altach in Vorarlberg geboren. Nach dem Besuch des Jesuitenkollegs Stella Matutina in Feldkirch studierte er in Innsbruck, wo er 1896 in die Verbindung AV Austria Innsbruck eintrat, in Freiburg im Breisgau, Prag und Wien, wo er auch an Kurse der Exportakademie als der Vorläuferin der Wirtschaftsuniversität teilnahm, Rechtswissenschaft und wurde 1901 in Innsbruck promoviert. Nachdem er 1908 in Bregenz als Rechtsanwalt zugelassen worden war, wurde er 1913 Direktor der Vorarlberger Landeshypothekenbank, 1915 Oberdirektor, in dem November 1918 als Nachfolger Adolf Rhombergs zunächst für einen Anschluss an die Schweiz eintretender Landeshauptmann Vorarlbergs, Mitglied des Bundesrats, in dem Dezember 1930 Bundeskanzler Österreichs, der in dem März 1931 Engelbert Dollfuß als Landwirtschaftsminister in seine Regierung aufnahm, nach dem Zusammenbruch der sehr bedeutenden Creditanstalt und dem anschließenden Zerbrechen seiner Regierungskoalition in dem Juni 1931 von dem 14. Juli 1931 bis zu dem 24. Juli 1934 wieder Landeshauptmann von Vorarlberg und in dem September 1933 Bundesminister (ohne Portefeuille) in dem Bundeskanzleramt Engelbert Dollfuß‘, beteiligte sich auftragsgemäß maßgeblich an der Ausarbeitung der so genannten Maiverfassung von 1934, wurde 1934 Präsident des Rechnungshofs Österreichs, verlor nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich unter Adolf Hitler sein Amt, wurde mit einem Aufenthaltsverbot für den Gau Tirol-Vorarlberg belegt, nahm kein politisches Amt mehr an, organisierte die Übernahme des Vorarlberger Landesmuseums durch das Land, setzte sich für die Schiffbarmachung des Rheines bis zu dem Bodensee ein und starb in Bregenz an dem 25. Juni 1960.

 

Mit seinem vielfältigen Leben hat sich nach dem mit Ender befreundeten Hans Huebmer auch der in Dornbirn 1960 geborene, in Wien von 1980 an in Geschichte und Philosophie ausgebildete, 1993 mit einer Dissertation über den Josephinismus promovierte, an verschiedenen Forschungsprojekten wie etwa der Edition der Ministerratsprotokolle beteiligte, seit 2009 als Kurator für Geschichte in dem „vorarlberg museum“ in Bregenz wirkende Verfasser bereits früher befasst. In dem vorliegenden Band 39 der Schriften des Museums tritt nach dem Vorwort Andreas Rudigiers erstmals ein Mitarbeiter des Landesmuseums als alleiniger Autor auf und widmet sich die Schriftenreihe erstmals der Biografie eines Politikers. Der Verfasser nennt dafür in der Einleitung fünf Gründe.

 

Gegliedert ist das interessante Werk in fünf Abschnitte. Sie betreffen Otto Enders Schreibtisch mit der Frage wer war Otto Ender, Staat und Markt und Wirtschaftsgeschichte, das (ablehnende) Verhältnis zu den Juden, die Demokratie und den Staatsstreich 1933/1934 und einen Versuch über Otto Ender und die Gefühle Ärger, Hass, Unterschiedsfühlung, Lustprinzip, Enttäuschung, Skepsis, Ratlosigkeit, Beleidigung, Betrübnis, Eitelkeit, Verantwortungsgefühl, Verwandtschaft, Sachlichkeit, Ehre, Enttäuschung, Zusammengehörigkeit, Ohnmacht und Gottvertrauen sowie Mitgefühl. In seinem ansprechend herausgearbeiteten Ergebnis gelangt er zu der Einsicht, dass es aus Enders Perspektive ein Gebot der Vernunft war, alle Elemente in Schach zu halten und notfalls auszuschalten, welche die Einigkeit und Zusammengehörigkeit als Alternative zu einem Kampf aller gegen alle stören konnte, selbst wenn dabei die Demokratie oder ein anderer Wert aufgegeben wurde.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler