Simpson, A. W. Brian, Human Rights

and the End of the Empire. Britain and the Genesis of the European Convention. Oxford University Press, Oxford 2001. XIV, 1161 S. Besprochen von Ulrike Seif. ZRG GA 121 (2004)

Simpson, A. W. Brian, Human Rights and the End of the Empire. Britain and the Genesis of the European Convention. Oxford University Press, Oxford 2001. XIV, 1161 S.

 

Die Labour Regierung unter Blair hat die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) vom 4. 11. 1950 mit dem Human Rights Act 1998 vom 9. 11. 1998 (in Kraft getreten am 2. 10. 2000) in britisches Recht transformiert. Zeitgleich faßt das 11. Zu­satzprotokoll zur EMRK (in Kraft getreten am 1.11.1998) die Europäische Menschenrechtskommission (EKMR) und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu einem einheitlichen ständigen Gerichtshof zu­sammen, vor dem Individuen unmittelbar beschwerdebefugt sind. Dies nährt in Großbritannien das Interesse an diesem Thema. Die von Simpson vorgelegte Studie zur Entstehungsgeschichte der EMRK und ihrer Entwicklung (1953-1966) konzentriert sich auf zwei Aspekte: auf das Engagement britischer Regierungen für das Zustandekommen der EMRK, obwohl keine geschriebene Verfassung den Briten entsprechende Rechte garantiert, und auf den Konflikt der britischen Außen- und Kolonialpolitik mit der Menschenrechtsfrage.

 

Nach dem von Simpson gesichteten umfangreichen Quellenmaterial sah sich die britische Regierung nach dem zweiten Weltkrieg und dem Ende der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft auf dem Kontinent in der Verantwortung, die in der rule of law verkörperte Rechtsbindung jeder staatlichen Gewalt europa- und weltweit zu „exportieren“. Auf internationaler Bühne der Vereinten Nationen, wo die westeuropäische Geschlossenheit gegenüber dem totalitäten Kommunismus in der Blockbildung zwischen West und Ost lähmend wirkte, blieben die Bemühungen bei der unverbindlichen Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. 12. 1948 stecken. Auf europäischer Bühne wurde am 4. 11. 1953 die Europäische Menschenrechtskonvention abgeschlossen. Ihre Erfolgsgeschichte durch die Straßburger Rechtsprechung im Zuge der schrittweisen Anerkennung eines individuellen Petitionsrechts stieß in Großbritannien auf erhebliche Widerstände. Die EMRK schaffte nämlich als völ­kerrechtlicher Vertrag zwischen den Mitgliedstaaten des Europarates nicht nur objektive, kollektiv durchsetzbare Pflichten im Sinne eines europäischen „ordre public“, sondern gem. Art. 1 EMRK auch die völkerrechtliche Verpflichtung der Signatarstaaten, allen ihrer Herrschaftsgewalt (jurisdiction, juridiction) unterstehenden Personen die mit den Garantien der EMRK unmittelbar durch Völkerrecht geschaffenen Individualrechte zu verschaffen: Die französische Textfassung „reconnaissant“ und die englische Textfassung „shall secure“ lassen keinen Zweifel daran, daß die Rechte mit der Ratifizierung der EMRK geschaffen werden und von jedem Signatarstaat von der Ratifikation an beachtet werden müssen (Vgl. z. B. EGMR 18. 1. 1978 (Irland./.Großbritannien), 25-A, 91; EuGRZ 1979, 149, 159).

 

Motor des englischen Engagements für den europäischen Menschenrechtsschutz trotz nationaler Gegenkräfte war die europäische Bewegung, die in Großbritannien unter anderem von Winston Churchill mit seiner Idee der Vereinigten Staaten von Europa vorangetrieben wurde. So waren nach der von Simpson erarbeiteten Quellengrundlage vor allem außenpolitische Motive für die Bemühungen der britischen Regierung um die Europäische Menschenrechtskonvention maßgebend: Seitens der britischen Regierung galt es, die Briten als gute Europäer zu präsentieren. Bald spielte auch der kalte Krieg eine Rolle: Es sollte eine Wertegemeinschaft in Verteidigung gegen den totalitären Kommunismus geschaffen werden.

 

In der Kolonialpolitik waren die britischen Interessen andere. Das vorgelegte Quellenmaterial belegt die gängige britische Einschätzung der Kolonialverhältnisse als Ausnahmezustände, in denen Rechte durch Sondervollmachten oder durch Kriegsrecht eingeschränkt werden konnten. Eine differenzierte Betrachtung der Kolonialproblematik, gegen deren pauschale Verurteilung sich der Verfasser dezidiert ausspricht (S. 53), wird durch eine – vielleicht in der Dikition der englischen Sprache unvermeidliche – ungenaue Begrifflichkeit erschwert. So werden die Begriffe „human rights“ (S. 50), „personal and political freedom“ (S. 51) und „individual rights“ (S. 53) offenbar synonym verwendet. Leitet man die Menschenrechte, wie der Autor, jedoch aus der rule of law ab, ist dies nicht unproblematisch, da die dafür grundlegenden common law- Freiheiten der Bill of Rights 1689 keinen individualschützenden Charakter hatten. Vielmehr waren die Freiheiten nur die Kehrseite der Verpflichtungen der Krone aus dem Herrschaftsvertrag mit den Repräsentanten des englischen Volkes. Alles Recht, das die Krone objektiv verpflichtete, war auch subjektives Recht, aber eben Anspruch des Volkes, nicht des Individuums.

 

Abschließend illustriert der Verfasser anhand seines reichen Quellenmaterials am Beispiel Zyperns den Widerspruch kolonialpolitischer Interessen mit den Verpflichtungen Großbritanniens aus der EMRK. Zypern war 1925 Kronkolonie des British Empire geworden. Dort traten erhebliche Spannungen zwischen Griechen und Türken auf: Die griechische Mehrheit strebte unter Führung der orthodoxen Geistlichkeit eine Vereinigung mit Griechenland an und traf damit auf den erbitterten Widerstand der türkischen Minderheit. Im Rahmen dieser Auseinandersetzungen bediente sich die englische Kolonialverwaltung einer Reihe von Sondervollmachten. Wegen vermeintlicher Übergriffe wurde am 7. 5. 1956 von Griechenland gegen Großbritannien ein Verfahren nach der Europäischen Menschenrechtskonvention angestrengt. Dabei handelte es sich um den ersten zwischenstaatlicher Fall. Großbritannien sah sich nun mit der neuen Situation konfrontiert, sich selbst vor dem Maßstab der „exportierten“ Menschenrechte rechtfertigen zu müssen. Dies war ein außenpolitischer Schock. Dementsprechend wurde die Europäische Menschenrechtskonvention von Teilen der Ministerialverwaltung in Frage gestellt. Die folgenden Untersuchungen ergaben, dass der Konflikt zwischen Griechen und Türken den Ausnahmezustand und die Anwendung von Sondervollmachten rechtfertigte. Von weiteren Maßnahmen und Untersuchungen wurde damals wegen der Züricher Vereinbarung von 1959 abgesehen, in der sich Griechenland und die Türkei auf die Gründung Zyperns als selbständige Republik verständigten.

 

So sehr die Materialfülle insgesamt zu schätzen ist, so sehr vermißt der Leser aber auch eine Strukturierung der Darstellung. Die Einzelquellen werden teilweise unverbunden aneinandergereiht, ohne in den zeitgeschichtlichen Zusammenhang eingeordnet zu werden. Dies geht nicht nur zu Lasten der Übersichtlichkeit, sondern verhindert auch historisch bzw. juristisch differenzierte Aussagen zur Entstehung der EMRK.

 

Passau                                                                                                           Ulrike Seif