Privilegium maius. Autopsie, Kontext und Karriere der Fälschungen Rudolfs IV.
Privilegium maius. Autopsie, Kontext und Karriere der Fälschungen Rudolfs IV. von Österreich, hg. v. Just, Thomas/Kininger, Kathrin/Sommerlechner, Andrea u. a. (= Veröffentlichungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 69 = Mitteilungen des österreichischen Staatsarchivs Sonderband 15). Böhlau, Wien 2018. 388 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.
Nach den einführenden Darlegungen des erstgenannten Herausgebers zählen neben der Goldenen Bulle Kaiser Karls IV. von 1356 und der Schlussakte des Wiener Kongresses von 1815, die sich auf der Liste des Weltdokumentenerbes der UNESCO befinden, auch die Urkunden des Privilegium maius-Komplexes zu den bedeutendsten historischen Dokumenten, die das seit 1945 zu der Organisation des österreichischen Staatsarchivs gehörende Haus-, Hof- und Staatsarchiv verwahrt. Dazu gehören die als Lesetexte und bzw. oder in einfachen Abbildungen dem vorliegenden Werk vorangestellten, überwiegend auf Drucken in den Diplomata und Constitutiones der Monumenta Germaniae Historica und in dem Urkundenbuch zu der Geschichte der Babenberger beruhenden angeblichen Urkunden König Heinrichs IV. für den Markgrafen Ernst von Österreich von dem 4. Oktober 1058, Kaiser Friedrichs I. für den Herzog Heinrich von Österreich, seine Frau Theodora und ihre Erben von dem 17. September 1156, König Heinrichs (VII.) für den Herzog Leopold VI. von Österreich und Steier von dem 24. August 1228, Kaiser Friedrichs II. für Herzog Friedrich II. von Österreich von Juni 1245 und König Rudolfs I. von Habsburg und den Kurfürsten für Rudolfs Söhne Albrecht und Rudolf von Österreich und Steier von dem 22. Juni 1283 sowie (sechstens) das große Vidimus von Bischof Gottfried von Passau, Bischof Aegidius von Vicenza, Abt Eberhard von der Reichenau und Abt Lambert von Gengenbach von dem 11. Juli 1360. Sie waren unter dem Titel Das Privilegium maius oder Wie man eine Urkunde fälscht Gegenstand der Jahrestagung 2017 des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, die gemeinsam mit dem österreichischen Staatsarchiv, organisiert von Thomas Just, Kathrin Kininger und Christian Lackner in dem Haus-, Hof- und Staatsarchiv von dem 26. bis 28. April 2018 abgehalten wurde.
Der vorliegende Band versammelt nach den bereits erwähnten Lesetexten und Abbildungen alle Beiträge der Tagung, nach dem Vorwort in dem Einzelfall auf der Basis des Beitrags disproportional elaboriert, und auch den Aufsatz Walter Kochs, dem die Teilnahme an der Tagung nicht möglich gewesen war. Insgesamt handelt es sich um fünfzehn Untersuchungen aus unterschiedlichen Wissenschaftsbereichen. Als dritter Kooperationspartner präsentiert daneben das Kunsthistorische Museum in dem Herbst 2018 eine Sonderausstellung zu dem Privilegium maius mit dem Titel „Falsche Tatsachen – Das Privilegium maius und seine Geschichte“ mit Begleitpublikation.
Zunächst behandelt in dem Sammelwerk Thomas Just die Geschichte des Privilegium maius in dem Archiv von Herzog Rudolf IV. bis zu dem ungetreuen, 1946 in das Archiv eingetretenen und rasch zu seinem Stellvertreter aufsteigenden Heinz Grill, während Martina Griesser, Katharina Uhlir, Václav Pitthard, Monika Strolz, Michael Eder, Andreas Uldrich sowie Michael Aumüller in dem Kunsthistorischen Museum zu Anfang des Jahres 2017 vorgenommene strahlendiagnostische und materialanalytische Untersuchungen zu dem Urkundenkomplex Privilegium maius vorlegen und Maurizio Aceto, Elisa Calà, Simone Cantamessa, Ambra Idone, Monica Gulmini, Annalisa Salis und Gianluca Damonte the contribution of analytical chemistry to the study of ancient documents beleuchten und Walter Koch die gefälschten österreichischen Hausprivilegien insgesamt untersucht. Im Anschluss hieran prüft Christian Lackner die Beziehung des Kanzlers Johann Ribi zu den Urkunden, Vreni Dangl die Bedeutung Bischof Gottfrieds von Passau für die österreichischen Freiheitsbriefe, Lukas Wolfinger ihr Gewicht für den habsburgischen Herrschaftswechsel von 1358, während Jörg Peltzer auf die „Vereindeutlichung“ (kur)fürstlichen Ranges, Elisabeth Klecker auf Francesco Petrarcas Stellungnahme zu den pseudoantiken Inserten in dem Heinricianum eingeht und Bernd Schneidmüller, Daniel Luger, Andreas Zajic, Thomas Winkelbauer, Werner Telesko und Thomas Stockinger sachlich und zeitlich weiter von Kaiser Friedrich III. bis zu Hormayr und Lhotsky ausgreifen.
Nach den einzelnen Darlegungen sind fünf der sechs Urkunden auf Kalbspergament ausgeführt, wobei nur für die vermeintlich älteste Urkunde versucht wurde, das Pergament durch zusätzliche Behandlungen als bereits zu dem Entstehungszeitpunkt alt erscheinen zu lassen. Die Texte sind durchgehend mit in unterschiedlichem Maße mit Rußtinte gemischten Eisengallustinten geschrieben, wobei sich die Ausführung der bleihaltigen Initialen durch einen zweiten Schreiber erschließen lässt. Die Goldbullen wurden bereits in dem 14. Jahrhundert von älteren Urkunden entfernt und neu an die Fälschungen angebracht.
Die Urkunden befinden sich in einem guten Erhaltungszustand. Weder bei ihrer Herstellung noch später wurden Änderungen in den Texten vorgenommen. Die verwendeten Materialien dürften den in der Kanzlei Herzog Rudolfs IV. zu dieser Zeit (1358/1359) vorhandenen und üblicherweise eingesetzten Materialien entsprechen, weshalb auch keine auffälligen Unterschiede in der Materialwahl für die fünf gefälschten Dokumente und die sechste Urkunde festgestellt werden konnten.
Nach Walter Koch ließ der um das Ansehen seines Hauses besorgte ehrgeizige Rudolf IV. um den Jahreswechsel 1358/1359 die Serie von gut aufeinander abgestimmten Fälschungen herstellen, die in geschickter Weise den Rechtszuwachs des Fürsten Österreichs sowie der terra Austriae zeigen sollte., um die Hintansetzung durch die Goldene Bulle Karls IV. von 1356 möglichst auszugleichen. Der Gesamtkomplex der Fälschungen enthält einige Abschreibfehler und einzelne sachliche Modifikationen. Sachlich sind die Fälschungen Beweise des politischen Denkens Rudolfs IV.
Nach Christian Lackner kann der Diktatvergleich der Fälschungen nicht den Kanzler Johann Ribi als Diktator der Texte sichern. In den Vorarbeiten seit dem Herbst 1358 gab es aber wohl einen leitenden Kopf, der nach einem Gesamtplan die Konzepte für die fünf Fälschungen herstellte, auf deren Grundlage zwei oder drei Schreiber die Urkunden anfertigten. Vieles spricht dafür, dass Johann Ribi dieser leitende Kopf war, der jedoch keine der Fälschungen mundierte, wobei mit den Mitteln der Diplomatik der Anteil des Auftraggebers Rudolf IV. nicht ermittelt werden kann.
Nach Vreni Dangl sind auf der Grundlage von 110 Regesten die drei Vidimierungsurkunden von dem 13. Juli 1360 der einzige nachweisbare Berührungspunkt zwischen dem Bischof von Passau und der Fälschungsaktion Rudolfs IV. Gottfried von Passau war häufig in Wien und Passau lag räumlich neben dem Herrschaftsbereich Österreich. Auf Grund dieser Gegebenheiten sieht die Verfasserin keinen Anlass für eine Vermutung, dass der Bischof mit seiner Situation unzufrieden gewesen wäre.
Nach Lukas Wolfinger sollte das Privilegium maius nicht zuletzt dazu dienen, die Gefahren des Herrschaftswechsels bzw. der Neubelehnung zu entschärfen und die habsburgische Herrschaft abzusichern. Karl IV. war politisch aktiver, als er erscheinen wollte. Rudolf IV. wollte demgegenüber keinen endgültigen Bruch mit seinem Schwiegervater.
Insgesamt bieten dementsprechend die Beiträge des wichtigen Sammelbands eine reiche Fülle weiterführender Beobachtungen. Sie verändern zwar die geschichtliche Einordnung der Fälschungen in die Reichsgeschichte und Landesgeschichte nicht grundlegend. Sie sind aber für jede weitere Befassung mit den Fälschungen, wie sie sicher nicht ausbleiben wird, von wesentlicher Bedeutung.
Innsbruck Gerhard Köbler