Stieldorf, Andrea, Rheinische Frauensiegel

. Zur rechtlichen und sozialen Stellung weltlicher Frauen im 13. und 14. Jahrhundert (= Rheinisches Archiv 142). Böhlau, Köln 1999. VIII, 707 S., 64 Abb. Besprochen von Arne Duncker. ZRG GA 121 (2004)

Stieldorf, Andrea, Rheinische Frauensiegel. Zur rechtlichen und sozialen Stellung weltlicher Frauen im 13. und 14. Jahrhundert (= Rheinisches Archiv 142). Böhlau, Köln 1999. VIII, 707 S., 64 Abb.

 

Bei dem Werk Stieldorfs handelt es sich - um dies vorauszuschicken - nicht um eine rechtshistorische Arbeit im engeren Sinne, sondern um eine allgemeinhistorische Untersuchung mit rechtshistorischen Berührungspunkten, die bereits im Untertitel angedeutet werden. Wenngleich der Untersuchungsschwerpunkt eindeutig in den historischen Hilfswissenschaften (Sphragistik) liegt, so ergeben sich doch zweierlei Verbindungen, welche die Arbeit gerade auch für Rechtshistoriker ergiebig machen könnten. Die erste Verbindung folgt aus der Funktion des Siegels: ein Siegel ist ein Beglaubigungsmittel für Urkunden und weist damit unmittelbaren Bezug zum Rechtsverkehr auf. Die spezielle Untersuchung des Siegels in seiner Funktion als Beglaubigungsmittel hat die wissenschaftliche Siegelkunde schon seit ihren Anfängen im 17. und 18. Jahrhundert beschäftigt. Die zweite Verbindung aber ist in dieser Form neu: es ist die mit der Untersuchung von Frauensiegeln verknüpfte spezifische Analyse zur rechtlichen Stellung der Frau. Wie Stieldorf (S. 21-24) berichtet, gibt es zwar seit dem 18. Jahrhundert immer wieder Untersuchungen meist deskriptiver Art zu Frauensiegeln, gleichwohl datiert eine erste gezielte Untersuchung rechtlicher Fragen erst von 1966. Damals hatte Deurbergue Frauensiegel unter sozial- und kulturgeschichtlichen Fragestellungen untersucht und auch rechtliche Aspekte angesprochen. Später hatte Bedos-Rezak (1990) aus einer quantitativen Auswertung von Frauensiegeln Schlußfolgerungen zur Frauenrechtsgeschichte ziehen können, u. a. zur Erschließung besitzrechtlicher Verhältnisse. Hinsichtlich der Frauensiegel in deutschen Gebieten ist auf die Regionaluntersuchungen von Wehlt über die Edelfrauen zur Lippe (1979), Jenks über Würzburger Frauensiegel (1982) sowie Urbanek über Regensburger Bürger und Bürgerinnen (1988) zu verweisen.

 

Stieldorf skizziert nach einer Einleitung (S. 1-18) und einem Überblick über die Forschungslage (S. 19-24) zunächst die Geschichte der mittelalterlichen Frauensiegel in Europa generell (S. 24-69). Dies trägt - quasi als Grundlagenteil - dazu bei, die sodann in den Schwerpunktteilen der Arbeit erfolgenden vertieften regionalen Untersuchungen zum rheinischen Raum auf ein solides Fundament zu stellen. Die Entwicklung wird von den frühen Siegeln der Kaiserinnen und Königinnen über die Ausbreitung der Siegelführung weltlicher Frauen bis 1300 recht eingehend nachvollzogen, es folgt ein kurzer Ausblick auf die Zeit nach 1300.

 

Die nun folgenden Hauptteile der Arbeit (S. 71-348) bilden drei in sich jeweils geschlossene Einheiten, wobei rechtshistorische Fragestellungen ansatzweise in der ersten, vorwiegend aber in der zweiten dieser Einheiten zutage treten. Methodisch sehr begrüßenswert ist dabei, daß jede der drei Teiluntersuchungen durch eine Zusammenfassung abgeschlossen wird, in welcher die erzielten Ergebnisse in gebündelter Form wiedergegeben werden. Da Stieldorf zum Gewinn dieser Ergebnisse immer wieder auf quantitative Auswertungen ihres Materials Bezug nimmt, wird der fortlaufende Text von einigen Tabellen begleitet.

 

Die angesprochenen drei Hauptabschnitte befassen sich zunächst (S. 71-143) mit der Siegelführung, also u. a. mit Person und sozialer Stellung der Sieglerinnen, dann mit der Besiegelungspraxis (S. 145-240), schließlich mit der Gestaltung der Siegelbilder (S. 241-348).

 

Im ersten der genannten Abschnitte wird der im Laufe der Zeit eintretende Wandel in der Person der siegelführenden Frauen analysiert: im Laufe der Zeit wird die Siegelführung, die zunächst bei landesfürstlichen Frauen feststellbar war, nach und nach auch in weiteren Schichten des Adels und schließlich auch bei bürgerlichen Frauen nachweisbar. Gleichzeitig folgt daraus, daß die Zahl der Frauensiegel, untersucht nach 50-Jahres-Perioden, von Generation zu Generation spürbar zunimmt (vgl. u. a. Tabelle auf S. 134). Hieraus zieht Stieldorf Rückschlüsse auf das Rechtsbewußtsein der beteiligten Frauen: sie sind sich der Bedeutung der Schriftlichkeit zur Rechtswahrung bewußt (S. 142), was auf einen entsprechenden Bildungsstand schließen läßt. Wenngleich der betreffende Teil der Untersuchung Stieldorfs eher kultur- und sozialgeschichtlich orientiert ist, wird im Ansatz hier auch eine vielversprechende frauenrechtsgeschichtliche Fragestellung entwickelt: in einem Unterabschnitt, welcher sich mit der Auswirkung des Familienstandes auf die Siegelführung befaßt (S. 132) wird die Frage nach der „Rechtsfähigkeit“ von Frauen gestellt. Gemeint ist damit vermutlich nicht die Rechtsfähigkeit im heutigen Sinne, sondern etwas, das in Texten des 19. Jahrhunderts oft mit Handlungsfähigkeit (u. a. der Frau) bezeichnet wurde und Verbindungen zur Geschäftsfähigkeit des heutigen Rechts aufweist: eine Fähigkeit, in eigener Sache rechtlich eigenständig zu handeln und nicht als Frau zwingend durch einen Mann vertreten zu werden. Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang, daß 58% der Sieglerinnen verheiratet waren und zu Lebzeiten der Ehemänner ein eigenes Siegel führten, und zwar in adligen Ehen weit häufiger als im Bürgertum, wo im Rheinland die Siegelführung oft den Witwen vorbehalten blieb, anders als z. B. in Würzburg, wo es sich bei den Sieglerinnen mehrheitlich um verheiratete Frauen handelte. Ein weiterer Aspekt der Frage nach möglicher Eigenständigkeit oder zumindest rechtlicher Beteiligung von Frauen ist die Siegelfähigkeit unverheirateter junger Frauen, wobei (S. 137) unter Berücksichtigung der frauenrechtlichen Forschungen Freiburgs (1990) Rückschlüsse auf das Mündigkeitsalter von Mädchen gezogen werden.

 

Während auf den dritten Abschnitt, in dem rechtshistorische Fragen eine geringere Rolle spielen, vorliegend nicht vertieft eingegangen zu werden braucht, ist der mittlere Abschnitt der Arbeit („Besiegelungspraxis“, S. 145-240) ein Zentrum der spezifisch rechtshistorischen Untersuchung. Stieldorf analaysiert im Rahmen der Besiegekungspraxis zunächst die von Frauen besiegelten Urkunden als Quellen der Rechtsgeschichte (S. 145-152) und geht dann in einem späteren sehr ansprechenden und materialreichen Abschnitt (S. 159-209) auf die unterschiedlichen Kategorien der Rechtsgeschäfte ein. Hierzu gehören politische Verträge, Akte der Herrschaftsausübung, Lehensangelegenheiten, familiäre Angelegenheiten, Immobilien- und Liegenschaftsangelegenheiten sowie Renten- und andere Mobiliengeschäfte. Im Rahmen des Überblicks über diese unterschiedlichen Arten von Geschäften wird die jeweilige Art der Beteiligung von Frauen charakterisiert. In den anschließenden Abschnitten wird zunächst die Besiegelung für Dritte durch Frauen untersucht, dann die sog. Siegelkarenz von Frauen: Urkunden, bei denen eine Frau am Rechtsgeschäft beteiligt war, aber nicht in eigener Person siegelte. Abschließend werden kurz einige Fälle der Siegel- und Urkundenfälschung gestreift.

 

Auch dieser mittlere Abschnitt der Arbeit stellt reichhaltiges Material für eine spezifisch frauenrechtsgeschichtliche Analyse zur Verfügung. Betrachtet man das Recht der Geschlechter unter der Frage der Gleichheit und Ungleichheit, so wäre nun gezielt nach möglichen Unterschieden zu den Männern zu suchen. Stieldorf kommt dabei zu dem Schluß (S. 230), daß ihr Material in keiner Weise darauf hindeute, daß den Siegeln weltlicher Frauen ein anderer, geringerer Wert beigemessen worden sei als den Siegeln anderer Siegelführer. Dies ist sicher ein beachtliches Ergebnis, denn die Frage nach einer möglicherweise herabgesetzten rechtlichen Beweiskraft der Äußerungen von Frauen ist ein zentraler Punkt bei der Untersuchung der Haltung älterer Rechte zum Wert der Frau schlechthin. Erinnert sei in diesem Zusammenhang nur an solche antifeministischen historischen Quellen, die den Ausschluß der Frauen vom Testamentszeugnis oder ihre Zurücksetzung bei anderen Formen des Zeugnisses als Indiz  für eine allgemeine Schlechterbehandlung der Frau ansahen oder hieraus gar Rückschlüsse auf eine männliche Eheherrschaft zogen.

 

Sehr angenehm fällt im Abschnitt zur Besiegelungspraxis der häufige genaue Rückbezug auf konkrete im Anhang nachgewiesene Fälle und Biographien auf. Die äußerst materialreiche Arbeit hat dabei das große Verdienst, eine enorme Anzahl nicht nur von Frauensiegeln, sondern auch von rheinländischen Frauenbiographien des Zeitraums 1200-1400 erstmals im Zusammenhang zu dokumentieren: so sind im ersten Teil des Anhangs („Katalog der Sieglerinnen“, S. 363-538) insgesamt 401 Kurzbiographien mit Hinweisen auf Quellen und weiterführende Literatur enthalten. Abgerundet wird dieses erfreuliche Bild durch eine vorbildlichen Fußnotenapparat, eine sorgfältig ausgearbeitete Urkundenliste (S. 550-614) und umfassende chronologische Überblicke, Quellen- und Literaturübersichten sowie Register.

 

Hannover                                                                                           Arne Dirk Duncker