Krämer, Joachim, Industrialisierung und Feiertage.

*Krämer, Joachim, Industrialisierung und Feiertage. Die katholische Kirche und die gesetzlichen Regelungen der Sonn- und Feiertagsarbeit während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der preußischen Rheinprovinz. Berlin Verlag, Berlin 1999. Besprochen von Hans-Peter Benöhr. ZRG GA 118 (2001)

BenöhrKrämer20000824 Nr. 10071 ZRG 118 (2001)

 

 

Krämer, Joachim, Industrialisierung und Feiertage. Die katholische Kirche und die gesetzlichen Regelungen der Sonn- und Feiertagsarbeit während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der preußischen Rheinprovinz. Berlin Verlag, Berlin 1999, 300 S.

I. Inhalt

1. Joachim Krämer geht in seiner von Rainer Schröder betreuten Dissertation zwei Entwicklungslinien, dem Arbeiterschutz und dem Verhältnis von Kirche und Staat, ein Stück weit nach. Die Grundlage bilden die Archive des Erzbistums Köln und des Bistums Trier, das Archiv des Landschaftsverbandes Rheinland, die Landesarchive in Düsseldorf und Koblenz, sowie das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz.

2. In der „Einleitung“ werden die „Fragestellungen“ und der „Stand der Forschung“ ausgebreitet (13-18). Die wichtigsten Gegenstände der Dissertation bilden zum einen die Festordnung für die Erzdiözese Köln vom 7. Mai 1829, auch eingeführt in den Bistümern Paderborn, Münster und Trier (19-130), und andererseits die staatlichen preußischen Rechtssetzungsakte betreffend die Sonn- und Feiertage (131-221). Die Klammer zwischen beiden Entwicklungssträngen sowie zwischen der religiösen und der „sozialen Bedeutung der Feiertage“ wird mit den „Ergebnissen der Untersuchung“ hergestellt (223-263); der Aktualität des Themas ist der „Ausblick“ gewidmet (265-272).

3. Die Erörterung der „katholischen Feiertagsordnung“ von 1829 (19-130) geht von der „Situation vor der (kirchlichen) Neuordnung“ von 1829 aus: Erstmals 1754 habe der Papst im norddeutschen Raum die Zahl der Feiertage verringert. Nach dem Ende der französischen Besetzung bestanden auf dem rechten, zu Preußen gehörendem Rheinufer mehrere divergierende Feiertagsordnungen aus dem Ancien Régime, die etwa 18 oder 19 Feiertage zählten. Auf dem linken Rheinufer hingegen hatte der Papst während der französischen Besetzung die kirchlichen Festtage überhaupt auf vier reduziert.

Auf beiden Seiten des Rheins kam es zu erheblichen Beschwerden wegen der unterschiedlichen Begehung der Feiertage; die Kirche strebte verständlicherweise außerdem die Vermehrung der Feiertage auf der linken Rheinseite an, gleichzeitig sollten die Feiertage und Sonntage vor Entheiligung geschützt werden. Der preußische König bestand auf einer Vereinheitlichung in der ganzen Monarchie und damit auch zwischen den beiden großen Konfessionen. Der Staat war mit einer Vermehrung der Feiertage auf der linken Rheinseite einverstanden, nicht zuletzt aus Rücksicht auf die religiösen Vorstellungen der Bevölkerung, hingegen strebte er rechtsrheinisch eine Verminderung an. Schließlich kam es zu der Übernahme der bestehenden ostpreußischen Feiertagsordnung mit der für die Kirche erfreulichen Festlegung auf vierzehn Feiertage und zu dem sogenannten Fabrikarbeiterprivileg. Die neue katholische Festtagsordnung trat nach Genehmigung des Papstes und des preußischen Königs 1829 in Kraft.

Das Fabrikarbeiterprivileg ging auf Vorschlag des Ministers zurück, um den erwarteten, von ihm nicht näher umschriebenen Widerstand gegen die Erhöhung der Feiertagezahl auf der linken Rheinseite zu vermindern. Die erzbischöfliche Festordnung erlaubte daraufhin „in schonender Berücksichtigung der bedrängenden Umstände, in welchen sich viele katholische Fabriksarbeiter unserer Erzdiözese befinden, ... dass diejenigen katholischen Fabriks-Arbeiter, welche in den Gemeinden ... mit anderen Glaubensgenossen vermischt und von Dienstlohn durch ihrer Hände Arbeit leben, ... (an elf der vierzehn Feiertagen) ... ihrer gewöhnlichen Arbeit obliegen dürfen, dem Heiligen Messopfer aber beizuwohnen gehalten sind“ (53).

Pfarrer und Bischof betonten aber auch, dass die Arbeiter sonntags „gern der Ruhe genießen ... mögen“ (104), dass die Kirche den Arbeitern „wenigstens in gemessenen Zeitabschnitten körperliche Ruhe“ zu sichern habe (108). Diese und ähnliche Bemerkungen zeigen, dass die verbreitete Ansicht, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hätten „Erwägungen des Arbeiterschutzes überhaupt keine Rolle gespielt, ... in dieser Verallgemeinerung zumindest zweifelhaft“ ist. Die Gesichtspunkte des Gesundheitsschutzes wurden seit dem Ende der fünfziger Jahre immer häufiger angeführt.

Das Arbeitsverbot an Sonn- und Feiertagen wurde erheblich übertreten, aber der Kirche stand keine Strafgewalt zu. Die staatlichen Behörden begnügten sich meist damit, auf die Beschwerden hin die Arbeiten zu untersagen. Strafen gegenüber den Unternehmern sprachen sie nur sehr selten aus.

Die Beschwerden wegen der Übertretungen sowie die Interpretation und Anwendung des Fabrikarbeiterprivilegs geben ein höchst anschauliches Bild von dem Miteinanderleben von Katholiken und Protestanten, von Heimarbeitern und beruflichen Pendlern, vom Handwerk und vor allem von der Frühindustrialisierung mit Großunternehmen, Kohle- und Bleibergwerken, Zinkhütten, Eisen- und Stahlindustrie, Messingfabriken, Eisenbahnbau, Papierfabriken, Spinnereien, Webereien und Färbereien.

4. Als „Staatliche Regelungen zum Schutz der Sonn- und Feiertage“ (131-221) kennt Krämer polizeiliche Verordnungen der Bezirksregierungen mit strafbewehrtem Arbeitsverbot erst seit den Jahren 1822 und 1825. Übertretungen wurden durch die Polizeigerichte bestraft. Der Polizeiminister ebenso wie der Oberpräsident der Rheinprovinz hatten jedoch Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Strafandrohungen (134ff.). Der Revisions- und Kassationshof in Berlin bestätigte 1830 und nochmals 1833, dass wegen Fehlens einer gesetzlichen Grundlage nach diesen Strafandrohungen eine Strafe nicht verhängt werden könne.

1825, 1829 und 1832 ergingen Kabinettsordres, 1837 sogar zwei zur Sonn- und Feiertagsarbeit. Aber erst 1853 wurde durch Polizeiverordnungen der Bezirksregierungen der Rheinprovinz die Angelegenheit endgültig geregelt: An acht Feiertagen waren Beschäftigungen verboten, Ausnahmen konnten bewilligt werden, für den Fall eines ablehnenden Bescheides wurde ein Rekurs vorgesehen, Zuwiderhandlungen wurden unter Strafe gestellt.

5. Eines der wichtigsten „Ergebnisse der Untersuchung“ (223-263) besteht in dem Übergang vom „Staatskirchentum, dem staatskirchenrechtlichen System des Absolutismus“, zur „Staatskirchenhoheit“ mit ihrem „unvollständigen Dualismus zwischen Kirche und Staat“.

Zurückkommend auf die „soziale Bedeutung der Feiertage“ meint Krämer, dass durch die Industrialisierung der Bedarf einerseits der Unternehmer an Feiertagsarbeit und andererseits der Arbeiter an Ruhe und Erholung gestiegen sei. Damit wäre zumindest teilweise erklärt, warum im Laufe des Industrialisierungsprozesses der Konflikt aufbrach und der Gesundheitsaspekt erst allmählich, bei den Behörden seit dem Ende der dreißiger, in der Kirche vor allem seit 1842, zu Tage trat.

Hier trägt Krämer auch nach, dass die Kirche die Feiertagsarbeit zur Kritik an Industrialisierung und Kapitalismus, an „moderner Lebensart“ und „materialistischen Bestrebungen“ nutzte. Die Staatsbehörden ihrerseits erkannten die Notwendigkeit, „die Heilighaltung der Sonn- und Feiertage als einen Grundpfeiler der sittlichen Ordnung des Volkslebens wieder aufzurichten“.

6. Mit seinem „Ausblick“ (265-272) in die Gegenwart springend weist Krämer auf die Abschaffung des Buß- und Bettages zur Finanzierung der Pflegeversicherung und die neue Diskussion um die Arbeit an Sonn- und Feiertagen hin. Mit einem sorgfältigen Literatur-, Quellen- und Stichwortverzeichnis schließt er seine Abhandlung ab (273-300).

II. Ergänzende Bemerkungen

Die Untersuchung ist in erster Linie deswegen wichtig, weil die Geschichte der tatsächlichen Arbeitsverhältnisse und ihrer wirklich beachteten, nicht bloß aufgeschriebenen, Regelungen noch so sehr im Dunkeln liegt, dass die Existenz eines Arbeitsrechts und damit einer Arbeitsrechtsgeschichte vor dem Beginn der Industrialisierung lange Zeit überhaupt in Abrede gestellt werden konnte.

Die vielen religiösen Feste noch im 19. Jahrhundert sind ein Beweis für die weite Verbreitung und Stärke des „religiösen Volksgefühls“. Ein Beispiel für die Lebendigkeit des Gewohnheitsrechts sind die von Ort zu Ort wechselnden und schriftlich kaum festgehaltenen Feiertagsordnungen, die sich außerdem gegenüber dem staatlichen und ausländischen (französischen) Zwang, die Feiertage abzuschaffen, erhielten. Gleichzeitig sieht man, wie wenig einheitlich die Lebens- und Rechtsverhältnisse innerhalb der preußischen Monarchie, ja innerhalb desselben Bistums zu Beginn des vorigen Jahrhunderts waren und wie sehr sich der Trend zur Vereinheitlichung der Arbeits-, Lebens- und Rechtsverhältnisse in immer größeren Gebieten sowohl der Kirche als auch der weltlichen Mächte beschleunigte.

Damit sind wir Zeugen des langen Abschiedes vom Mittelalter und des Übergangs in die Moderne. Die zeitliche Ausdehnung (wie auch die Intensivierung) des Arbeitens war - wie Joachim Krämer zeigt - keineswegs auf protestantische (im Sinne von Max Webers Theorie) oder auf durch die französische Revolution säkularisierte Gebiete beschränkt. Die Gründe werden von Krämer hauptsächlich im ökonomischen und sozialen Bereich gesehen, nämlich einerseits in der Absicht und Notwendigkeit für die Unternehmer, die Produktion und das Unternehmereinkommen zu halten oder zu steigern, und andererseits in der Existenznot der Arbeiter. Krämer geht also davon aus, dass man ganz allgemein in vorindustrieller Zeit mehr Festtage gefeiert und den Sonntag regelmäßig geheiligt habe. Da dieser Ausgangspunkt der heute allgemeinen Vorstellung von der guten alten Zeit entspricht, wird er von Krämer nicht in Frage gestellt; vielleicht könnte er für die verschiedenen Epochen, Regionen und Beschäftigungsarten einmal nachgeprüft werden.

Erst gegen Ende des Untersuchungszeitraums wird der physische Aspekt, nämlich durch die Arbeitsruhe die Gesundheit wiederherzustellen, bedeutsam. Krämer weiß als frühesten Termin für die Formulierung der Feiertagarbeitsruhe als Forderung der Arbeiterschaft erst das Jahr 1848 zu nennen. Mancher Leser wundert sich über die scheinbare Blindheit von Kirche und Staat, die die geistige und körperliche Notwendigkeit der Sonn- und Festtagsruhe so gering geachtet haben. Die Antwort dürfte darin liegen, dass Arbeitsplatz und Lohn für alle das weitaus Wichtigste waren - ohne Arbeit, kein Lohn, und ohne Lohn: Hunger, Krankheit, Tod für den Ernährer und seine Familie. Krämer bemerkt ganz richtig, dass „jeder arbeitsfreie Tag für die Beschäftigten den Verlust von Lohn“ bedeutete. Deswegen hatte schon in der Vorindustrialisierung, 1754, der Papst die Zahl der Feiertage in Schlesien unter Hinweis auf die Armut der Bewohner verringert. Daher waren meines Erachtens  „Arbeiterschutzgesichtspunkte“, nach denen Krämer und manche Leser suchen, noch nicht die Gesundheit, sondern erst einmal der Broterwerb. Man sieht an dem Fabrikarbeiterprivileg auch, dass - wie in vielen anderen Fällen - soziale Neuerungen im vorigen Jahrhundert zuerst zu Gunsten der Fabrikarbeiter eingeführt wurden und dass erst später dieselbe Begünstigung anderen Personengruppen, etwa Heimarbeitern und Handwerkern (noch seltener und später Landarbeitern) zuerkannt wurde.

Krämer beschreibt minutiös das Zusammenwirken von Staat und Kirche bei der Erstellung und Durchsetzung der Feiertagsordnung auf allen Ebenen der Hierarchien. Beispielsweise verlangt 1824 die Regierung in Düsseldorf von dem Landrat von Elberfeld, dass die Arbeiten in den dortigen Färbereien an den Sonn- und Feiertagen eingeschränkt werden müssten, um der Entheiligung der Festtage entgegenzuwirken und den Arbeitern Gelegenheit zum Messbesuch zu gehen, wodurch deren Verwilderung entgegengetreten werden sollte. Der Landrat sollte deswegen unter Einbeziehung der Färbereibesitzer eine diesbezügliche Regelung erlassen - also Förderung der Religiosität im Staatsinteresse und Rechtssetzung durch den Staat in Verbindung mit den Interessierten.

Krämer konzentriert sich auf das Verhältnis des Staats zur katholischen Kirche; die Stellung der protestantischen Kirchen tritt kaum in Erscheinung. Über die Rechtsverhältnisse innerhalb der katholischen Kirche - Zuständigkeit für die Festtagsordnung, Beziehungen zwischen dem Erzbischof zu Köln und den anderen Bischöfen, Regeln des kanonischen Rechts betreffend Festtage und deren Nichteinhaltung - hätte man aus Anlass dieses Themas gern noch mehr gehört. Die Schwierigkeiten des Papstes mit Napoleon werden in der Arbeit kurz angedeutet; die Worte des Heiligen Vaters, „der französischen Nation seine wahre Vaterliebe“ zu erweisen, dürften sich übrigens vielleicht nicht allein auf die Arbeiter, sondern insgesamt auf die „Nation“ und ihren Ersten Konsul beziehen. Die Ausweitung des rechts- und kultur-vergleichenden Aspekts liegt außerhalb der hier zu bearbeitenden Thematik.

Nicht zu unterschätzen ist das Dilemma der preußischen Verwaltung, in den neu erworbenen Gebieten, wenn es überhaupt möglich war, die Sympathien sowohl der Bevölkerung als auch der Honoratioren zu gewinnen und andererseits „durch eine gemeinsame Feiertagsordnung den Bürgern die Einheit des Staates ins Bewusstsein zu rufen“. Die neue Festordnung für die linke Rheinseite war ein Mittel für Preußen, die Überwindung der französischen Besetzung, und für die Kirche, die des säkularisierten Staatssystems zu demonstrieren.

Die Herstellung und Anwendung der Festtagsordnungen ist ein Beispiel für die Kompromissfähigkeit der staatlichen und kirchlichen Instanzen, außerdem dafür, in welcher Weise religiöse und staatlich-wirtschaftliche Belange auf einen Nenner gebracht werden können, und schließlich für das Bemühen, unterschiedliche religiöse Gruppen (Katholiken und Protestanten) zu befrieden.

Krämers Recherchen erbringen mehrmals, dass in der Hierarchie der Kirche, wie in dem Verwaltungs- und Regierungsaufbau des Staates die Amtsträger auf den verschiedenen Ebenen nicht immer einer Ansicht waren, dass also weder die Kirche noch der Staat monolithische Blöcke darstellten. Wenig bekannt dürfte heute auch die damalige strenge rechtsstaatliche Auffassung der Gerichte, und zwar der Untergerichte, der Mittelinstanzen wie der Revisionsgerichtshöfe sein, die sich weigerten, in den Polizeiverordnungen angedrohte Strafen zu verhängen, wenn deren Rechtsgrundlage nicht ausreichte. Über Zuständigkeit und Rechtsgrundlage für strafbewehrte Polizeiverordnungen, Zuständigkeit der Polizeigerichte und Prüfungszuständigkeit der Gerichte betreffend die Rechtmäßigkeit von Polizeiverordnungen hätte man gern noch mehr erfahren.

Die Regelung der Materie nahm dreißig Jahre in Anspruch, veranlasste mehrere päpstliche Rechtsakte sowie eine gemeinsame Bekanntmachung des Präsidenten des Rheinischen Appellationsgerichtshofs und des Kölner Generalprokurators, eine Reihe ministerieller Anordnungen, drei Rheinische Provinziallandtage und fünf königliche Kabinettsorders, brachte eine große Zahl einzelner Verordnungen der Gemeinden und Bezirksregierungen hervor und war Gegenstand verschiedener Prozesse. Das Hin und Her zeigt nebenbei, dass die Gesetzgebungskunst auch in der guten alten Zeit nicht immer gegenwärtig war und, vielleicht ähnlich wie heute, gerade in den Bereichen der Wirtschafts- und Sozialpolitik zu wünschen ließ.

Wenn der wirklich interessierte Leser bei Gelegenheit dieser wohlgelungenen Dissertation an die Adresse künftiger Rechtshistoriker einen Wunsch hinsichtlich der Formalien richten darf, so wäre es der nach Abdruck der wesentlichen Rechtstexte, falls diese so wenig greifbar sind wie im vorliegenden Fall.

Joachim Krämer hat durch mühselige Archivarbeit eine Forschungslücke geschlossen und die Ergebnisse in sehr angenehmer Weise präsentiert.

Berlin                                                                                                             Hans-Peter Benöhr