Die Entwicklung der Verfassung und des Rechts in Ungarn
Die Entwicklung der Verfassung und des Rechts in Ungarn, hg. v. Máthé, Gábor. Dialóg Campus Verlag, Budapest 2017. 998 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.
Die Ungarn als das in dem späteren neunten Jahrhundert aus Asien östlich des Urals in das Donaubecken (Karpatenbecken) gelangte, finnisch-ugrisch sprechende Volk sind seit dieser Zeit ein fester Bestandteil der Gesamtheit der in Europa lebenden Völker. Christianisiert und sesshaft geworden fallen sie mit ihrem Land 1526 durch Erbrecht an Habsburg und geraten damit in enge Verbindung zu Österreich. An dem 1. November 1918 verselbständigt sich unter Ausrufung der Republik (Volksregierung unter dem nach Demonstrationen und Zusammenstößen an dem 30. Oktober 1918 zu dem Ministerpräsidenten ernannten Grafen Mihály Károlyi) das Land als Königreich ohne König und sucht und findet nach dem Ende der Fremdbestimmung durch die Sowjetunion (1945-1989) und der Öffnung des früheren eisernen Vorhangs durch die Außenminister Horn und Mock 2004 den Anschluss an die Europäische Gemeinschaft bzw. Europäische Union (1993).
Damit ist sein Recht ein grundlegender Teil der europäischen Geschichte und des europäischen Rechtes. Dieses hat eine sehr lange, wenn auch nicht in allen Einzelheiten bekannte Geschichte und zugleich eine notwendige, wenn auch in den Einzelheiten ungewisse Zukunft. Für das Vergangene kann ein umfangreicher Überblick eine Vergewisserung bedeuten, für das Künftige eine bestmögliche Grundlage.
Das vorliegende gewichtige Handbuch geht auf eine Anregung des Direktors des Max-Planck Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg zurück. Nach ihr ist eine Darstellung der Entwicklung des nationalen Rechtes in der Vergangenheit für eine gemeinsame erfolgreiche Zukunft unverzichtbar. Nach der einführenden Empfehlung des Justizministers Ungarns kann es einerseits unentbehrliches Hilfsmittel der Rechtsanwendung werden und zugleich andererseits die weitere Gestaltung des im Entstehen begriffenen europäischen Rechtsraums mitgestalten helfen.
Entstanden ist das große Werk aus der beeindruckenden Zusammenarbeit vieler hervorragender ungarischer Gelehrter. Gegliedert ist es insgesamt in vier Teile. Sie betreffen nach einleitenden Worten des verdienstvollen Herausgebers den ständischen Dualismus, den ungarischen Rechtsstaat, das öffentlich-rechtliche Interregnum und die eingeschränkte Souveränität mit Machtkonzentration zwischen 1944 und 1990.
In diesem weiten Rahmen beginnt in dem ersten Teil Lajos Rácz mit den Repräsentanten der ungarischen Staatstheorie seit dem Mittelalter. Danach behandeln Gábor Béli Organe der Machtausübung, Péter Bónis die Bestandteile und Rechtsquellen des Privatrechts, Gábor Béli die Basisinstitute des Privatrechts, Elemér Balogh die Entwicklung des Strafrechts, Béla P. Szabó das System der Rechtspflege, Lajos Rácz das Beziehungssystem Staat und Kirche sowie Béla P. Szabó die Wissenschaftsgeschichte bis zu dem 18. Jahrhundert. Jedem Beitrag sind an seinem Ende wichtige Literaturhinweise beigefügt.
Der zweite Teil schildert Charakteristiken der modernen ungarischen Rechtsentwicklung in dem 19. Jahrhundert (Istvan Kajtár), das institutionelle System des ungarischen Rechtsstaats (Gabor Mathé), die Geschichte der zivilrechtlichen Kodifikation (Mária Homoki Nagy), das ungarische bürgerliche Strafrecht (Barna Mezey), das Zivilverfahrensrecht (István Stipta), das Strafverfahrensrecht (Tamás Antal) und die ungarische Rechtsgeschichtswissenschaft zur Zeit des Dualismus (István Stipta). In dem dritten Teil untersucht István Szabó die staatrechtliche Ordnung in Ungarn zwischen 1920 und 1944, Gábor Schweitzer die Freiheitsrechte, Attila Horváth die Entwicklung des ungarischen Privatrechts, Barna Mezey die Änderungen im Strafrecht sowie István Stipta die Rechtsgeschichtsschreibung. In dem vierten Teil werden nacheinander die Entwicklung des ungarischen öffentlichen Rechtes zwischen 1944 und 1990 (István Kukorelli) und der öffentlichen Verwaltung (András Varga Zs.), die Geschichte der Zivilistik (Attila Harmathy) sowie Strafgesetze und Strafverfahrensgesetze dieser schwierigen Zeit (Tibor Király) dargestellt.
Insgesamt bieten damit 18 Autoren einen hervorragenden Überblick über die gesamte Rechtsentwicklung in Ungarn von den Anfängen bis zur jüngsten Vergangenheit. Dass er in deutscher Sprache vorgelegt ist, ermöglicht erfreulicherweise den unmittelbaren Zugriff der deutschen Rechtsgeschichte auf die vielfältigen Entwicklungen und Errungenschaften in Ungarn. Dem Herausgeber und allen anderen Autoren kann für diese große, selbstlose Leistung, die auch noch ein Sachregister verdient hätte, kaum genug gedankt werden, weil sie Europa auf einem wichtigen Gebiet enger zusammenführt und die darauf aufzubauende Zukunft erheblich erleichtert.
Innsbruck Gerhard Köbler