Krause, Thomas, Geschichte des Strafvollzugs.
SchildKrause20000915 Nr. 10015 ZRG 118 (2001)
Krause, Thomas, Geschichte des Strafvollzugs. Von den Kerkern des Altertums bis zur Gegenwart. Primus, Darmstadt 1999. 151 S.
Das Buch will eine Lücke schließen und verfolgt daher das Ziel, „erstmals einen wissenschaftlich fundierten Gesamtüberblick über die Strafvollzugsgeschichte von den ältesten Zeiten bis in die Gegenwart mit Schwerpunkt auf der Entwicklung in Deutschland zu geben“ (S. 9). Diese Lücke besteht in der Tat, da die einschlägigen Lehrbücher des Strafvollzugs(rechts) wenn überhaupt nur einen kurzen Überblick über die Geschichte geben; doch gilt dies nur in bezug auf die Zeit vor dem 19. Jahrhundert. Die Geschichte der letzten beiden Jahrhunderte wird in den Darstellungen durchaus informativ dargestellt. Auch der Schwerpunkt dieses Buches behandelt die Geschichte ab 1800 (von S. 58 bis zum Ende S. 99). Noch mehr: die Vorgeschichte wird nicht nur deutlich kürzer (von S. 13 bis 57) behandelt, sondern auch inhaltlich schwächer dargestellt. „Ansätze eines Strafvollzugs in der Antike“ werden auf 2 1/2 Seiten erörtert (S. 13-15); dann folgen 3 1/2 Seiten über „Strafvollzug im Mittelalter“, wobei zwischen der Strafhaft im kirchlichen Strafrecht (Klosterhaft) und der Freiheitsstrafe im weltlichen mittelalterlichen deutschen Strafrecht unterschieden wird. Von S. 21 bis 29 erfahren wir etwas über „Anfänge und Entwicklung der öffentlichen Arbeitsstrafen in Deutschland bis zum Ende des 17. Jahrhunderts“. Dann wird die deutsche Entwicklung - nach einem Einschub über die Entstehung der Zuchthäuser in England und in den Niederlanden - im 17. Jahrhundert (S. 38-44) und im 18. Jahrhundert (S. 45-57) dargestellt. Danach folgt der Schwerpunkt ab 1800, in dem die Ausführungen des Verf. gefallen können, aber eben nicht wirklich eine Lücke schließen. Doch als Überblick über die Entwicklung von 1800 bis zum Erlaß des Strafvollzugsgesetzes 1976 kann das Buch empfohlen werden.
Sonst aber hat der Verfasser nach meiner Einschätzung die Chance vertan, eine wirkliche Geschichte der Freiheitsstrafe seit den Anfängen zu schreiben. Die Trennung von Antike, kirchlicher Klosterhaft und weltlicher Strafhaft des Mittelalters ist nicht angemessen, wenn man die Ausführungen von K. L. Noethlichs über „Das Kloster als ,Strafanstalt’ im kirchlichen und weltlichen Recht der Spätantike“ (ZRG KA 111, 1994, 18-40) kennt (Der Verfasser zitiert den Aufsatz nicht). Der Hinweis auf die Anordnung Karls des Großen aus dem Jahre 813, worin für die Täter „boni generis“ Freiheitsentzug bis zur Besserung verfügt wurde, fehlt ebenso wie sein kaiserlicher Befehl, daß in jeder Grafschaft ein Kerker vorhanden sein sollte. Die Darstellungen zur Freiheitsstrafe im Spätmittelalter sind viel zu kurz, wenn man die eigenen (richtigen) Einsichten des Verfassers berücksichtigt, daß die Regelung der Carolina nur für die peinlichen Sachen galt (und daher für die Frage von Freiheitsstrafen für andere Delikte, vor allem für Polizeivergehen keine Bedeutung hatte) (S. 21) und daß die herkömmliche zurückhaltende Bewertung der Freiheitsstrafe im Mittelalter aufgrund neuerer Arbeiten „möglicherweise korrekturbedürftig“ ist (S. 106 Anm. 12). Ein Hinweis auf das Einmauern (oder andere Formen städtischer Freiheitsentziehungen) fehlt. Aber vielleicht sind diese kritischen Bemerkungen nur kleinliche (und auf Kleinigkeiten bezogene) Beckmesserei. Doch der grundlegende Einwand bleibt jedenfalls aufrecht, auch wenn er manchen Lesern oder Leserinnen altmodisch vorkommen mag. Der Verfasser verzichtet auf eine wirkliche Darstellung der Geschichte des Strafvollzugs nach meiner Einschätzung deshalb, weil er die geistesgeschichtliche Entwicklung viel zu wenig einbezieht. Zwar finden sich einige kurze Hinweise auf religiös-humanitäre Erwägungen, Neubewertung der Arbeit durch Humanismus und Reformation, Gedanken des praktischen Nutzens und der ökonomischen Zweckmäßigkeit (im Merkantilismus), Trennung von moralischer und „physischer“ Besserung bei Feuerbach (vgl. z. B. S. 27, 32, 41, 43, 53, 68, 114 Anm. 29); doch haben hierzu die Forschungen Radbruchs und v. Hippels viel Material zusammengetragen, das doch eine intensivere Berücksichtigung dieser geistesgeschichtlichen Hintergründe ermöglicht hätte; von dem Verzicht des Verfassers, ein Werk wie „Überwachen und Strafen“ von Foucault nicht einmal im Literaturverzeichnis anzuführen, ganz zu schweigen. Die Ablösung der blutigen Strafen durch Freiheitsstrafen wird dadurch viel zu wenig begründet, was sich auch z. B. darin zeigt, daß der Verfasser die Herausbildung der Zwangsarbeitsstrafe und des Gefängnisses etwa in Hamburg getrennt darstellt (S. 24 bzw. S. 39), obwohl sie m. E. im geistigen Entstehungsgrund notwendig zusammengehören. Auch die allmähliche Herausbildung des Polizey-Gedankens und des ihm entsprechenden modernen (Polizei-) Staates wird zu wenig herausgestellt. So bleibt die Gesamtbeurteilung des Buches zwiespältig.
Bielefeld Wolfgang Schild