Schroeder, Klaus-Peter, „Sie haben kaum Chancen, auf einen Lehrstuhl berufen zu werden“

– Die Heidelberger juristische Fakultät und ihre Mitglieder jüdischer Herkunft (= Heidelberger rechtswissenschaftliche Abhandlungen 16). Mohr Siebeck, Tübingen 2017. XIV, 372 S. Besprochen von Albrecht Götz von Olenhusen.

Schroeder, Klaus-Peter, „Sie haben kaum Chancen, auf einen Lehrstuhl berufen zu werden“ – Die Heidelberger juristische Fakultät und ihre Mitglieder jüdischer Herkunft (= Heidelberger rechtswissenschaftliche Abhandlungen 16). Mohr Siebeck, Tübingen 2017. XIV, 372 S. Besprochen von Albrecht Götz von Olenhusen.

 

Der Heidelberger Rechtshistoriker Klaus-Peter Schroeder ergänzt mit dieser Spezialstudie seine großangelegte bedeutende Geschichte der Heidelberger Juristenfakultät im 19. und 20. Jahrhundert (2011). Sie gilt den eindrucksvollen und maßgebenden Leistungen jüdischer Rechtsgelehrter an der Ruperto Carola. Es ist sehr zutreffend, dass die deutsche Rechtswissenschaft in der zweiten Hälfte des 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Weltstellung erreichte und die jüdischen Rechtslehrer vor allem in Heidelberg dazu wesentlich beigetragen haben (S.VII).

 

 Das offene liberale Klima zeichnete die Universität Heidelberg in dieser Ära sicherlich auch bald aus. Dessenungeachtet ist jedoch die Historie der nur sehr allmählichen Emanzipation im Großherzogtum Baden doch von einigen anfänglichen großzügigeren Haltungen durch erhebliche Hindernisse und generelle Rückschläge charakterisiert. Der Verfasser zeichnet diese Entwicklung insbesondere seit dem 18. Jahrhundert in plastischer Art und Weise mit zahlreichen biografischen Darstellungen nach.

 

Die angestrebte Rechtsgleichheit der jüdischen Minderheit wurde in der von der christlichen Gesellschaft der Mehrheit doch zunächst so behindert, dass die prinzipielle Zulassung von Juden zum Staatsdienst nicht als Anspruch interpretiert, sondern so verstanden wurde, dass der Großherzog nach eigenem Ermessen eine Zulassung verfügen durfte. Die Geschichte ist also in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts geprägt durch eine eher negativ einzuschätzende Mischung von kleineren Fortschritten und immer wieder aufflackernden Unruhen in der Bevölkerung sowie durch massive Widerstände auch an den Hochschulen des Landes.

 

Auch bei der Zulassung von Juden zu Studium und Promotion gab es mancherlei gravierende Hindernisse zu überwinden. Besondere Schwierigkeiten erlebten jedoch Aspiranten auf eine Privatdozentur, auch wenn es sich um hochbegabte Gelehrte handelte. Dabei spielte in den Universitäten, auch wenn Ausnahmen möglich waren, schließlich oft die finanziellen Interessen in den Fakultäten eine Rolle, in denen sich die Ordinarien etwa die Prüfungs- und Promotionsgebühren allein vorbehielten.

 

Trotz rühmlicher Ausnahmen, die sich für eine Gleichstellung einsetzten, bleibt die Geschichte der Judenemanzipation doch eine jahrzehntelange Leidensgeschichte. Die anfänglichen Hoffnungen, die viele Juden an die Revolution von 1848/1849 knüpften, zerschlugen sich schnell. Die Reaktion machte vor allem die Hoffnungen jener zunichte, die sich von den Bestrebungen der Paulskirche und anderen vor und durch die Revolution erhofften Entwicklungen auch für die jüdischen Gemeinden eine grundsätzliche Besserung erwartet hatten. So stand beispielsweise ein hochangesehener Gelehrter wie Alexander Friedländer, Wortführer der demokratisch-republikanischen Opposition, alsbald auf der reaktionären schwarzen Liste.

 

Der Verfasser zeichnet die beschwerlichen und vielfach tragischen Lebenswege minutiös nach. Der „Pandektenfürst“ Heinrich Dernburg zum Beispiel konnte nach müheloser Habilitation in Heidelberg erst durch Einsatz des Otto von Bismarcks in Berlin Ordinarius werden. Für Juden war an den Universitäten in der Regel nur der Übertritt zu der christlichen Konfession das sog. entréebillet. Welche heute fast unglaublich anmutenden Mühen selbst Levin Goldschmidt auf sich zu nehmen hatte, bildet ein besonderes Glanzstück dieser Untersuchung.

 

Oft verquickte sich auch an Universitäten Ultramontanismus mit offenem Antisemitismus. Selbst eine großherzogliche positive Haltung konnte, wenn diese die Konflikte mit der Universität scheute, sich nicht immer voll durchsetzen. Mit Goldschmidt konnte der erste ungetaufte Jude in Heidelberg Ordinarius werden. Mit seiner Berufung zum Richter am Reichsoberhandelsgericht und schließlich zum Ordinarius in Berlin bildet der Fall Levin Goldschmidt eine der ganz wenigen rühmlichen, schwer erkämpften Ausnahmen.

 

Der Fall Paul Laband wird ebenfalls eingehend dargestellt. Ein weiteres großes Kapitel bildet die von zahlreichen Wechselfällen gezeichnete Geschichte der Judenemanzipation im Wilhelminismus, der Umgang mit Habilitanden und mit Neuberufungen (Georg Jellinek, Karl August Heinsheimer, Otto Gradenwitz, S. 131ff., 209ff.). Auch die Ruperto Carola war, wiewohl Vorreiter bei der Emanzipation und bei der Berücksichtigung jüdischer Gelehrter, keineswegs frei vom selbst in Heidelberg, der Hochburg an liberaler Gelehrsamkeit, grassierendem gesellschaftlichem Antisemitismus.

 

Selbst einem Max Weber, der in dieser verdienstvollen Arbeit eher ein wenig am Rande vorkommt, gelang es nicht, die Berufung des berühmten Ernst Simmel durchzusetzen. Erinnert sei nur an Webers resignierendes Diktum, wie oft habe er es schon mit Dreiervorschlägen angesehenster jüdischer Lehrstuhlaspiranten in Heidelberg versucht, um doch zu erleben, dass die Fakultäten gleichwohl stattdessen einen „arischen“ Bewerber bevorzugt hätten. Max und Marianne Webers berühmter, weltoffener Kreis und manch anderer in den universitären geistreichen Stätten Heidelbergs vermochte zwar den zweifellos ersten Rang dieser alma mater zu bestätigen. Der antisemitische „Bodensatz“, eher die entsprechenden breitgestreuten Anti-Strömungen gegen Judentum, jüdische Konfession und befürchtete Konkurrenz, dazu das Erstarken politischer rassistischer Parteiungen, konnte sich dennoch – auch generationenübergreifend bis hin zu den antisemitischen jüngeren Zeitgenossen namentlich in Korporationen und Bünden unterschiedlichster Provenienz und Gattung letztlich durchsetzen.

 

Die angeblich „goldenen zwanziger Jahre“ der Weimarer Republik sind durch die antisemitischen Fälle Arnold Ruge, Paul Lenard und Julius Gumbel kein Ruhmesblatt für Heidelberg. Die Lebenswege der herausragenden Gelehrten Ernst Levy, Walter Jellinek und Friedrich Darmstädter und die Schicksale der „jüdisch versippten“ Hochschullehrer beschließen den sehrlesenswerten, biografisch überaus wertvollen Band, dessen ausgewertetes reiches Quellenmaterial eine sehr gute Basis für weitere Spezialforschungen bietet. Der Verfasser stellt damit weit mehr als nur eine Gedächtnisschrift zum Andenken an rühmliche Ausnahmen und Ausschnitte vor, eher aber noch letztlich unrühmliche Beispiele der Diskriminierung, Ausgrenzung, Verfolgung, der Erinnerung an den rasanten Übergang von Versailles zu den Nürnberger Rassegesetzen und an das, wie es Schröder nennt, „tödliche Ende einer vermeintlichen Symbiose“.

 

So bleibt bei aller Würdigung mancher positiver Ansätze und Entwicklungen gerade im liberalen Heidelberg, einem unvergleichlich hochstehenden geistigen Zentrum Deutschlands seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, ein gemischtes Gefühl zurück. Auch am Beispiel des Großherzogtums Baden und der Ruperto Carola lässt sich die Geschichte des stets virulenten offenen oder versteckten Antisemitismus, mit allen dramatischen Auswüchsen und partiellen oder singulären Ausnahmeerscheinungen – hier zudem im Vergleich mit anderen Ländern und Fakultäten – wie in einem Brennglas eindringlich in wechselndem Auf und Ab, in den verschiedenen Abschnitten der im Ergebnis betrüblichen und nur durch wenige Glanzlichter erleuchteten Universitätsgeschichte in Deutschland studieren und erkennen.

 

Düsseldorf                                                     Albrecht Götz von Olenhusen