Weber, Max, Max-Weber-Gesamtausgabe, Abteilung 1 Schriften und Reden, Band 13 Hochschulwesen und Wissenschaftspolitik
Weber, Max, Max-Weber-Gesamtausgabe, Abteilung 1 Schriften und Reden, Band 13 Hochschulwesen und Wissenschaftspolitik. Schriften und Reden 1895-1920, hg. v. Lepsius, M. Rainer/Schluchter, Wolfgang in Zusammenarbeit mit Lauterer, Heide-Marie/Munding, Anne. Mohr Siebeck, Tübingen 2016.XXXIII, 971 S. Besprochen von Werner Augustinovic.
Als Frucht der akademischen Laufbahn Max Webers (1864 – 1920) ist auch eine Reihe von Reden und Schriften auf uns gekommen, die dem weiten Kreis der Dienstpflichten und des Tagesgeschäfts eines akademischen Lehrers zuzurechnen sind. Ein – im Widerspruch zum vollmundigen Titel – Teil dieser Äußerungen war bisher in einer von John Dreijmanis besorgten Edition („Max Webers vollständige Schriften zu akademischen und politischen Berufen“, 2010) greifbar. Das hier nun weitgehend vollzählig versammelte Material erlaubt es, über die Eigenschaft des innovativen Forschers hinaus weitere Rollen zu beleuchten, in denen der berühmte Gelehrte hervortrat: als Hochschullehrer, Hochschulpolitiker, Forschungspolitiker und Wissenschaftsorganisator, als Gutachter und Laudator und nicht zuletzt auch als Provokateur öffentlicher Affären. Dabei offenbaren die Papiere sowohl „(s)eine leidenschaftliche Hingabe an die Sache Wissenschaft und Universität sowie seine Verantwortlichkeit, die er für deren Gestaltung fühlte“, als auch eine sich bisweilen zur Rücksichtslosigkeit auswachsende Emotionalität, deren Ursprung einst Paul Honigsheim einem „dämonischen Rechtsgefühl“ Webers zugeschrieben hat. Als „Einzelkämpfer“ habe Max Weber „seine wissenschaftliche wie seine politische Zugehörigkeit im Laufe seines Lebens mehrmals (ge)wechselt“, vielleicht „das Geheimnis seiner großen öffentlichen Wirkung, gerade auch in wissenschafts- und hochschulpolitischen Fragen, unabhängig zu sein und es zu bleiben, auch gegen den Strom zu schwimmen, selbst bei Strafe des Mißerfolgs“ (S. 49). Sein engagierter Einsatz für die Belange der Universität ist umso bemerkenswerter, als er zwischen 1903 und 1919 kein besoldetes Amt an einer Universität innehatte und aus gesundheitlichen Gründen zeit seines Lebens nur 17 Semester lehren konnte (5 Semester Jurisprudenz, 8 Semester Nationalökonomie und Finanzwissenschaft, 4 Semester Gesellschaftswissenschaft). Max Weber habe „zwar die meiste Zeit nicht von der Wissenschaft, wohl aber für sie“ gelebt und alle Rollen erfüllt, „die gemeinhin mit Wissenschaft als Beruf verbunden werden. Natürlich war er in erster Linie Forscher, aber auch akademischer Lehrer, der über den Erziehungsauftrag der Universität reflektierte, und Hochschulpolitiker, dem die Autonomie der Universität am Herzen lag; er war ein Forschungspolitiker, der eine bestimmte Idee von Sozialwissenschaft, konkretisiert mit Hilfe von Forschungsprojekten, durchsetzen wollte, und ein Wissenschaftsorganisator, der für die Verwirklichung dieser Idee die ihr angemessene äußere Verfassung entwickelte. Er war aber auch ein Gutachter, der hohe professionelle Standards an den wissenschaftlichen Nachwuchs und die Kollegen anlegte und erheblichen Einfluß auf die Besetzung von wichtigen Professorenstellen in seinem Fach und in den angrenzenden Fächern ausübte. Und er war immer wieder in akademische Affären verstrickt. Schließlich war er ein Laudator, der auch die seinen eigenen Auffassungen entgegenstehenden Ansichten zu würdigen wußte“ (S. 2f.).
Aus der Vielzahl dieser Rollen ist ein Konvolut unterschiedlicher schriftlicher Äußerungen erflossen, das aufgrund seiner Heterogenität eine rein chronologische Anordnung der Textdokumente verbietet. Den mit gravierenden Unwägbarkeiten im Personaleinsatz – wie der Krankheit und dem Tod von wichtigen Mitarbeitern – konfrontierten Herausgebern ist es dennoch gelungen, eine sinnvolle, nachvollziehbare Ordnung des Materials zu konstituieren. So wird grundsätzlich eine Unterscheidung zwischen den von Max Weber selbst autorisierten (Teil I: Reden und Schriften) und den von ihm nicht autorisierten Texten (Teil II: Berichte über Reden und Diskussionsbeiträge) getroffen. Zwei Anhänge erfassen ergänzend öffentliche Aufrufe und Glückwunschadressen, die Max Weber mitunterzeichnet hat, sowie den von ihm wesentlich mitbestimmten Wortlaut des Berliner (1909), Leipziger (1909) und Frankfurter (1910) Statuts der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. Editorische Berichte stellen ohne Ausnahme für jedes einzelne Dokument die ermittelten Informationen zu dessen Entstehung, Überlieferung und dem editorischen Verfahren zur Verfügung. Diese Hinweise sind unerlässlich für die Einordnung der Texte in den jeweiligen konkreten historischen Kontext. Die in den ersten Teil – also in die Gruppe der von Max Weber selbst autorisierten Textzeugen – eingereihten Schriften und Reden erfahren in vier Untersektionen eine weitere Differenzierung in Äußerungen zu Wissenschaft, Universität und außeruniversitärer Forschung, zu Promotionen und Habilitationen, zu universitären Struktur- und Berufungsfragen sowie zu Fakultätsangelegenheiten; die letztgenannten drei Sektionen sind wiederum nach den Universitäten, an denen Max Weber wirkte (Freiburg, Heidelberg, Wien, München), gruppiert. Die Dokumente des zweiten Teils, die nicht autorisierten Berichte über Rede- und Diskussionsbeiträge, bewegen sich im institutionellen Rahmen der Universitäten Freiburg (Überführung der Kameralistik von der Philosophischen an die Juristische Fakultät und Beförderung Schulze-Gaevernitz, 1895) und München (Unruhen im Gefolge des Prozesses gegen den Mörder des bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner, den Studenten Anton Graf von Arco-Valley, 1920), des Vereins für Socialpolitik (Zeitraum 1905 bis 1911), der Badischen Historischen Kommission (1903), des Hochschullehrertags (Jena 1908, Leipzig 1909, Dresden 1911) und der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (1910/1911).
Verdienstvoller Weise extrahiert die Einleitung des Bandes aus den versammelten, bisweilen marginal anmutenden Äußerungen wesentliche Erkenntnisse im Hinblick auf Max Webers Berufs- und Wissenschaftsverständnis, wie er es in den zwei zentralen Schriften „Vom Sinn der ‚Wertfreiheit‘ in den soziologischen und ökonomischen Wissenschaften“ (1913/1917; vgl. MWG I/12) und „Wissenschaft als Beruf“ (1917/1919; vgl. MWG I/17) auch selbst niedergelegt hat. Gemäß dem Postulat der Werturteilsfreiheit sah er „die Wertsphäre und Lebensordnung Wissenschaft in einem unversöhnbaren Konflikt mit den übrigen Wertsphären und Lebensordnungen“, weshalb weltanschauliche Einflussnahmen von Politik, Kirche oder der Wirtschaft auf den Wissenschaftsbetrieb grundsätzlich abzulehnen seien. Die akademischen Hörsäle würden „ihre wirklich wertvollen Wirkungen […] nur durch fachmäßige Schulung seitens fachmäßig Qualifizierter entfalten und deshalb (sei) die ,intellektuelle Rechtschaffenheit‘ die einzige spezifische Tugend, zu der sie zu erziehen haben“ (S. 4f.). Diese Rechtschaffenheit forderte er vor allem auch vom Hochschullehrer ein, der das Privileg der Unkontrolliertheit des Hörsaals niemals dazu missbrauchen dürfe, dort unter dem Deckmantel der Wissenschaft Weltanschauung zu vermitteln. Schon damals kollidierte – nicht anders, als auch heutzutage – dieses hohe wissenschaftliche Ethos mit der gesellschaftlichen Realität. Die Dokumente führen vor Augen, auf welchen Feldern sich Max Weber für die Umsetzung seiner Werte engagierte. Wie seine Gutachten erkennen lassen, zählte bei ihm bei Dissertationen und bei Habilitationsschriften „allein die wissenschaftliche Leistung“, indem er als maßgebliche Kriterien „gediegenes Quellenstudium, Gewandtheit der Tatsachengruppierung, übersichtliche Darstellung und Blick für den größeren Zusammenhang“ anlegte (S. 41). Er legte Wert darauf, dass seine Dissertanten nicht wieder bei ihm, sondern an anderer Stelle habilitiert wurden, und wandte sich „gegen eine universitäre Laufbahn vom Assistenten zum Professor, die eine Bürokratisierung des Universitätslebens bedeute“. Es müsse „mit ‚Rücksicht auf die Wissenschaft die brutalste Auslese‘ walten“, wer aufsteigen wolle, müsse „nicht nur die geforderte Leistung erbringen, sondern auch […] wissen, was der akademische Anstand fordert“ (S. 18f.). In diesem Sinne scheute er ebenso wenig schonungslose Urteile über die fachliche und persönliche Qualifikation von Kollegen (vgl. etwa sein Gutachten für die Juristische Fakultät der Universität Wien vom April 1918, in dem er Joseph Schumpeter für einen nationalökonomischen Lehrstuhl empfiehlt und die Eignung des Favoriten Arthur Spiethoff in Zweifel zieht), wie er stets vorbehaltlos auch öffentlich für jene eintrat, die seiner Auffassung zufolge aus zwielichtigem Grund unfair behandelt wurden (vgl. dazu die Fälle Naumann, Michels, Simmel oder Salz). Von seinen eigenen Vorstellungen abweichende fachliche Ansichten anderer wusste er, sofern sie mit großen Leistungen einhergingen, respektvoll zu würdigen, wie beispielsweise seine Glückwunschadresse zum 70. Geburtstag Gustav Schmollers erkennen lässt. Die Autonomie der Universitäten war Max Weber ein unveräußerliches Gut, das durch Maßnahmen wie objektive Berufungsverfahren und ein Selbstergänzungsrecht der Fakultäten vor unangemessenen Eingriffen der Wissenschaftsverwaltung geschützt werden müsse, was seine in Zuschriften an die Frankfurter Zeitung ventilierte Kritik am „System Althoff“ (anspielend auf die die Autonomie des Hochschulwesens unterwandernde Art der Amtsführung des einflussreichen ehemaligen Ministerialdirektors im preußischen Kultusministerium, Friedrich Althoff) sowie seine Einlassungen zu den Fällen Bernhard und Ehrenberg anschaulich illustrieren.
Somit sind Max Webers Äußerungen zum Hochschulwesen und zur Wissenschaftspolitik des beginnenden 20. Jahrhunderts nicht nur interessante historische Zeugnisse, sondern sie liefern in einer Zeit, in der die Universitäten in einem Umbruch stehen, zunehmend von der Einwerbung von Drittmitteln abhängig werden und damit zwangsläufig immer mehr unter den Einfluss finanziell potenter außeruniversitärer Akteure und derer Interessen geraten, auch bemerkenswert aktuelle Denkanstöße. Man kann durchaus sagen, dass seine klaren ethischen Forderungen an das Wissenschaftssystem und an dessen erste Exponenten, die akademischen Gelehrten, im Hinblick auf die Gewährleistung einer freien und redlichen Forschung eine universale Gültigkeit beanspruchen dürfen. Schon aus diesem Grund ist der mit allen bekannten Hilfsmitteln der Editionsreihe vorbildlich ausgestattete Band jedem zur Lektüre zu empfehlen, dem der Status quo und die Zukunft unserer Hochschulen am Herz liegen.
Kapfenberg Werner Augustinovic