Munzel-Everling, Dietlinde, Das Kleine Kaiserrecht
Munzel-Everling, Dietlinde, Das Kleine Kaiserrecht – Text und Analyse eines mittelalterlichen Rechtsbuches – Leithandschrift der Fürstlichen Bibliothek Corvey – Bestandsaufnahme aller anderen Handschriften – Benennung Verfasser Datierung Quellen Auswirkung. Hylaila-Verlag, Wiesbaden 2019. XI, 611 S. Angezeigt von Gerhard Köbler. kontakt@hylaila-verlag.de
In allmählicher Übernahme antiker Vorbilder wurden seit dem Ende Westroms Volksrechte einzelner aus den Germanen hervorgegangener Völker und nach der mittelalterlichen Wiederentdeckung des römischen Rechtes in Italien und der Neuordnung des kirchlichen Rechtes durch Gratian um 1140 in vielen Teilen Europas für das einheimische Recht Rechtsbücher schriftlich aufgezeichnet. Für den deutschen Sprachraum ist dabei der von Eike von Repgow in der mittelniederdeutschen Sprache verfasste, Landrecht und Lehnrecht vereinende Spiegel der Sachsen aus dem früheren dreizehnten Jahrhundert von hervorragender Bedeutung. Ihm folgten nach vielleicht fünfzig Jahren die Übertragungen in das Mittelhochdeutsche in der Form des Spiegels aller deutschen Leute und des in dem 17. Jahrhundert quellenfern in Schwabenspiegel umbenannten kaiserlichen Land- und Lehenrechtsbuchs sowie in dem Frankfurter Raum um 1350 das kleine Kaiserrecht.
Mit ihm beschäftigt sich die Verfasserin und Herausgeberin des vorliegenden Werkes seit ihrer von Adalbert Erler betreuten Dissertation des Jahres 1974 über die Innsbrucker Handschrift des Kleinen Kaiserrechtes, in der sie die Verwandtschaft der Innsbrucker Handschrift mit der Eschweger Handschrift und der Kreuznacher Handschrift des Rechtsbuchs untersuchte und die in ihr verzeichneten Notizen über Rechtsgewohnheiten zu Mainz, Frankfurt und Ingelheim auswertete. Auf Grund dieser Arbeit fasste sie nach der vorangestellten Danksagung schon früh den Plan, alle vorhandenen Handschriften durchzuarbeiten. Dabei trieb sie neben zahlreichen weiterführenden Einzelstudien das Projekt einer digitalen dynamischen Edition auf einer CD ebenso wie anschließend das Projekt einer Datenbank voran, die aber letztlich an dem dafür erforderlichen großen Aufwand an Arbeit und Geld scheiterten.
In dem Rahmen seiner Neubearbeitung des von Gustav Homeyer begonnenen und von Karl August Eckhardt mit Conrad Borchling und Julius von Gierke fortgeführten Verzeichnisses der deutschen Rechtsbücher des Mittelalters war Ulrich-Dieter Oppitz dabei auf eine in die von ihm bearbeitete dritte Auflage des Werkes aus dem Jahre 1990 unter der Nr. 717 Höxter-Corvey FSB o. Sign. (1) aufgenommene, insgesamt 219 Blätter umfassende Handschrift in Corvey mit dem Kleinen Kaiserrecht (Frankenspiegel) mit Prolog gestoßen, für die er auf S. 569 des zweiten Bandes seines Werkes als Literatur Munzel, D., Recht, Gericht, Genossenschaft und Policey 17 (1986), Stammler/Ruh, Verfasserlexikon 4 1983, 1195f., Löffler, Kl. Westfälische Zeitschrift 89, 2. Abt.1932, 120 und Anon., Sitzungsberichte Preuß. Akademie der Wissenschaften 1918 IV 6 anfügen konnte. Er gab in einem Schreiben von dem 14. August 1982 Gunter Gudian (1932-1993) davon Kenntnis, der die Neuedition des Kaiserrechts plante und die Herausgeberin in die Vorbereitungen einband. Bei den weiteren intensiven Nachforschungen erkannte die um 1985 die betreffende Bibliothek unter eher schwierigen Verhältnissen aufsuchende Herausgeberin als erste, dass die Handschrift eine bislang nicht bekannte vollständige Fassung des Kaiserrechts enthält, deren Inhalt ihr „im wahrsten Sinne des Wortes den Schlaf raubte“.
Auf dieser Grundlage ist es ihr Bestreben nun, eine in der Praxis anwendbare Ausgabe des (Kleinen) Kaiserrechts auf der Grundlage der einzigen vollständigen Handschrift vorzulegen. Dazu gibt sie einen Überblick über den derzeitigen Forschungsstand zu Inhalt, Datierung und Verfasser. Weiter stellt sie alle ihr bekannten (51) Handschriften in Kurzfassung und mit Bild vor und führt eine Textgruppierung durch.
In ihrer Kurzbeschreibung weist sie knapp und klar darauf hin, dass das Kleine Kaiserrecht überwiegend in deutscher Sprache verfasst ist. Seine ältesten Fragmente stammen aus Hessen und der Mitte des 14. Jahrhunderts und die älteste datierte und komplett erhaltene Handschrift wurde 1372 für die Stadt Fulda geschrieben. Dieses Kaiserrecht besteht aus vier Büchern über Gerichtsverfassung und Prozessordnung mit 41 Kapiteln, über Privatrecht und Strafrecht sowie Reichsgut mit 137 Kapiteln, über Lehnrecht (der Reichsdienstmannen) mit 33 Kapiteln und über das Recht der Reichsstädte und ihrer Bürger mit 16 Kapiteln, wobei die Kapitel mit lateinischen oder deutschen Überschriften ursprünglich durchgezählt wurden und in einigen Handschriften noch der Judeneid und die Hundebuße aus dem kaiserlichen Land- und Lehenrechtsbuch (Schwabenspiegel) sowie weitere kleine Stücke eingefügt wurden.
Gegliedert ist die grundlegende, der Erstausgabe Johann Heinrich Christian von Senckenbergs von 1740 und der von Hermann Ernst Endemann vorbereiteten Ausgabe von 1846 folgende Neuausgabe nach der Einführung in fünf Teile. Sie betreffen die Beschreibung des Kleinen Kaiserrechts, den Rechtsinhalt, die Einteilung der Handschriften, die Leithandschrift Corvey und einen Anhang mit Wortindex, Literatur, Quellen und Siglenverzeichnis sowie Copyright. Nach derzeitiger Kenntnis besteht der Text des Kleinen Kaiserrechts aus insgesamt 227 Kapiteln, die nur in der einer Signatur entbehrenden Handschrift der etwa 74000 Bände umfassenden fürstlichen Bibliothek zu Corvey enthalten sind. Sie wurde 1864 bei dem Antiquariat Beck in Nördlingen für 25 Gulden von Hoffmann von Fallersleben für Herzog Viktor I. von Ratibor und Fürsten von Corvey erworben. Diese äußerlich unscheinbare, aus vier Teilen bestehende Sammelhandschrift enthält den Richtsteig Landrechts (fol. 3-29) mit zusätzlichen Texten und das Landrecht des Sachsenspiegels (29-81) mit Register (81-82), Regeln des Verfahrens vor den westfälischen Femegerichten (84-87), die Ruprechtschen Fragen (88-95), Mandeville, John, Reise nach dem Heiligen Land, aus dem Lateinischen in das Niederdeutsche übersetzt (85-155), das Kleine Kaiserrecht (156-210 bzw. S. 313-420 auf Papier mit Wasserzeichen aus der Zeit von 1431 bis 1446) mit Register (f. 211-212), einen Kölner Eid (215-217) sowie als Kölner Notizen (f. 218) Teile der Kölner Statuten von 1437.
Die 3768 Zeilen mit durchschnittlich vielleicht 13 Wörtern und damit schätzungsweise rund 50000 Wörter umfassende Neuausgabe des Kaiserrechts, die anscheinend derzeit nicht allgemein digital greifbar ist, hat unmittelbar nach ihrem Bekanntwerden das Interesse eines besonderen Sachkenners erweckt. Deswegen genügt an dieser Stelle vorweg ein allgemeiner Hinweis auf das Erscheinen der auf den Seiten 539 bis 577 durch einen ausführlichen Index ausgewählter Wörter des Kleinen Kaiserrechts abgerundeten Ausgabe des von einem unbekannten, vielleicht als Rudolf von Sachsenhausen zu identifizierenden Verfasser geschaffenen spätmittelalterlichen Rechtsbuchs. Dem kann aber bereits hier angefügt werden, dass sich die Herausgeberin lebenslang um die deutschen Rechtsbücher vorzüglich verdient gemacht und als beispielhafte Folge ihres besonderen Interesses eine grundlegende Neuausgabe vorgelegt hat, die für alle weiteren Untersuchungen entscheidende Bedeutung haben wird.
Innsbruck Gerhard Köbler