Driessen, Christoph, Geschichte Belgiens
Driessen, Christoph, Geschichte Belgiens – Die gespaltene Nation. Pustet, Regensburg 2018. 240 S., 30 Abb. Besprochen von Ulrich-Dieter Oppitz.
Der als niederländischer Staatsbürger in Oberhausen geborene Verfasser, der jetzt das Kölner Büro der Deutschen Presseagentur leitet, stellt nach der in der zweiten Auflage vorliegenden Geschichte der Niederlande die Geschichte unseres Nachbarlandes vor. Entsprechend der allgemein vorherrschenden Vorstellung von einer Nation, die kurz vor ihrem Zerfall steht, zeigt der Verfasser mit wohlbegründeten und aus der Geschichte geschöpften Argumenten die Verbindungen auf, die wohl noch lange einem Zerfall entgegenstehen. Der tiefe Griff in die Geschichte zeigt, dass den Wallonen eine Zuwendung nach Frankreich ebenso zuwider ist wie den Flamen eine Hinwendung zu den Niederlanden. Dabei haben beide so viele Vorbehalte gegeneinander, dass zu fragen ist, was sie einen könnte. Als über die Jahrhunderte erprobte Kaufleute ist ihnen bewusst, dass der jetzige Zustand ihnen sehr förderlich ist. Schließlich haben sie bislang noch keine überzeugende Lösung für die Verteilung Brüssels bei einer Trennung der Nation gefunden, so dass wohl auf längere Zeit diese Nation weiter bestehen kann.
Die Schilderung ist in fünf Kapitel gegliedert, in die zu wichtigen Personen ‚Porträts‘ und zu wichtigen Ereignissen ‚Stichworte‘ eingefügt sind. Den Reigen bedeutender Belgier eröffnet Ambiorix, ein Gegner Cäsars, und ihn beschließen Jacques Brel und Marc Dutroux. In einer sorgfältigen Auswahl beschreibt der Verfasser die zahlreichen kriegerischen Ereignisse, die das Land beeinflusst haben, und dabei die vielen Gelegenheiten, bei denen Bürger in Verteidigung ihrer Städte den Feinden unverhoffte Niederlagen beibrachten. Der Reigen begann 1302 mit der Schlacht von Kortrijk, durch die eine Eingliederung Flanderns nach Frankreich vermieden wurde. Breiten Raum gibt der Verfasser dem wirtschaftlichen Ausbau des Landes, durch den Belgien vor 1900 zu einer der blühendsten Landschaften Europas geworden war. Nicht verschwiegen wird die grausame Ausbeutung des Kongo-Gebietes, das von einer Privatkolonie des Königs Leopold II. zu einer Kolonie des Landes wurde, die überaus schlecht vorbereitet 1960 unverhofft in die Unabhängigkeit gestoßen wurde. „Wir gehen, um zu bleiben“ war dabei der Hintergedanke vieler Belgier, die unzulängliche Vorbereitung sollte zu einem Ruf nach Rückkehr der Kolonialmacht führen. Der Ruf kam nicht, sondern ein langjähriger Bürgerkrieg folgte, der mit der Ermordung des ersten Ministerpräsidenten Patrice Lumumba einen Höhepunkt erreichte. Viele der Ränkespiele im Hintergrund stellt der Verfasser dar. Selten ist ein Porträt eines Landes so faktenreich und gleichzeitig faktenrichtig ohne Tendenz geschrieben, wie dieses Buch. Der Anhang bringt eine Zeittafel von 58 vor Christi bis 2018 (Multikulti-Elf in Moskau) und getrennte Register für Orte, Personen und Stichworte. Sogar beim Literaturverzeichnis beschreitet der Verfasser einen ungewöhnlichen Weg. In neun Abschnitten wird die Literatur zu wesentlichen Zeitabschnitten genannt. Die ausgewählten Titel sind jeweils kurz beschrieben und damit klar in ihren Aussagemöglichkeiten erkennbar. Erschöpfen sich Literaturhinweise oft durch Ausführlichkeit, so verführen sie hier allenfalls zur weiteren Lektüre. Selten ist es nach einem Buch, das wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht wird, zu schreiben, aber hier gilt es - ein Leseerlebnis mit viel Erkenntnisgewinn.
Neu-Ulm Ulrich-Dieter Oppitz