Ambos, Kai, Nationalsozialistisches Strafrecht
Ambos, Kai, Nationalsozialistisches Strafrecht – Kontinuität und Radikalisierung (= Grundlagen des Strafrechts 6). Nomos, Baden-Baden 2019. 169 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.
Von dem 30. Januar 1933 bis zu dem 8. Mai 1945 war die von Adolf Hitler maßgeblich geprägte Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei die entscheidende politische Kraft in dem Deutschen Reich, die das Recht als an ihre ideologischen Vorstellungen gebunden betrachtete. In der Folge wurde auch das Strafrecht in vielen Hinsichten entsprechend den nationalsozialistischen Zielsetzungen geändert. Der Straftäter wurde grundsätzlich als Gegner des Nationalsozialismus verstanden, auch wenn Nationalsozialisten mehr Straftaten an politischen Gegnern verübten als andere.
Die vorliegende Untersuchung des in Heidelberg 1965 geborenen, nach dem Studium der Rechtswissenschaft und Politikwissenschaft in Freiburg im Breisgau, Oxford und München ausgebildeten, über die Drogenkontrolle und ihre Probleme in Kolumbien, Peru und Bolivien bei Horst Schüler-Springorum in München promovierten, nach der zweiten juristischen Staatsprüfung als wissenschaftlicher Referent für internationales Strafrecht und Hispanoamerika an dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht und als wissenschaftlicher Assistent Albin Esers tätigen, 2001 in München bei Klaus Volk und Bruno Simma mit einer Schrift zu dem allgemeinen Teil des Völkerstrafrechts habilitierten und 2003 nach Göttingen berufenen Verfassers ist nach dem kurzen Vorwort aus der Lektüre der 2017 erschienenen Monographie des argentinischen Strafrechtlers Eugenio Raúl Zaffaroni über die Doctrina Penal Nazi hervorgegangen. Dabei wurde aus einer geplanten knappen Rezension infolge eingehender Überprüfung der Quellen eine selbständige Abhandlung. Diese gliedert sich nach Vorbemerkungen über Zaffaronis Werk und den eigenen Ansatz in sechs Sachkapitel über Grundlagen des nationalsozialistischen Strafrechts (Rassismus, Volksgemeinschaft, Führerstaat, Führerprinzip, Exklusion, materieller Unrechtsbegriff, Ethisierung, Entformalisierung sowie generalpräventives und sühnendes Willensstrafrecht), Kontinuität und Schulenstreit (?), nationalsozialistisches Strafrecht und Neukantianismus, eigenständiges nationalsozialistisches Strafrecht durch die Kieler Schule, Erik Wolf (von Tätertypen zur normativen Täterlehre mit Gesinnungstypus) und Folgerungen.
In seinem Ergebnis sieht der Verfasser die These Zaffaronis, dass der Neukantianismus dem nationalsozialistischen Strafrecht den Boden bereitet und die finalistische Ontologie Hans Welzels das nationalsozialistische Strafrecht überwunden habe, als wenig überzeugend an. Nach seinen Erkenntnissen war das nationalsozialistische Strafrecht nicht neukantianisch, zeigen die ontologischen Ansätze der Habilitationsschrift Hans Welzels eine erstaunliche Nähe zu dem ethisierenden nationalsozialistischen Einheitsdenken, liegt die finale Handlungslehre Welzels in dem Trend der Hinwendung zu einem subjektiven Unrechtsverständnis und bekennt sich Welzel in seinen späteren Schriften der nationalsozialistischen Zeit zu dem Nationalsozialismus. Dementsprechend stellt der Verfasser Welzel in eine Reihe mit den Autoren, die in „einer Art Konkurrenzkampf um die Schaffung eines den neuen Machthabern möglichst genehmen ideologischen Grundgerüsts“ gerungen und sich dabei dem Regime jedenfalls opportunistisch angedient haben, hegt aber auch an dem Ende die Hoffnung, dass Zaffaronis Schrift letztlich die Skepsis gegenüber autoritärem und inhumanem Strafrecht verstärkt und von weiteren Untersuchungen aufgegriffen wird.
Innsbruck Gerhard Köbler