Fischer, Ulrich, Kurt Weill und das Urheberrecht
Fischer, Ulrich, Kurt Weill und das Urheberrecht. LIT, Berlin 2018. 91 S. Besprochen von Albrecht Götz von Olenhusen.
Der Verfilmungsvertrag über die „Dreigroschenoper“ von Bertolt Brecht und Kurt Weill war für den bis dahin reinen E-Musik-Verleger Universum Wien ein absolutes Novum. So wie die Oper selbst sollte auch der Film von G. W. Pabst 1930/1931 Stürme der Entrüstung und des Beifalls hervorrufen. Der geplante internationale Großfilm durch die Nero-Film mit Hilfe von Tobis und Warner-Brothers entfesselte schon in der Vorphase der Produktion einen heftigen Diskurs über Qualitätsansprüche an den deutschen Film. Im Prozess, den Brecht und Kurt Weill im Herbst 1930 schließlich gegen die Nero in zwei Klagen begannen, standen sich die Positionen der Autoren und der Filmwirtschaft diametral gegenüber. Der Prozess, den Brecht dann post festum in den „Versuchen“ 1931 kritisch aufarbeitete, sollte eigentlich zum Prüfstein für Autorenrechte, droit moral versus kapitalistische Filmwirtschaft, werden. Im neuen Mackie-Messer-Spiel-Film (SWR 2018) wird dieser als Musterverfahren konzipierte Casus scheinbar doku-historisch aufgegriffen. Doch wird sein mit hohem schauspielerisch-finanziellem Anspruch und Aufwand vorgelegtes Ergebnis trotz aller Werbeanstrengungen inzwischen mehr als ambivalent und mehrheitlich eher enttäuschend beurteilt.
Ulrich Fischer, als Jurist und Publizist durch zahlreiche fundierte Studien u. a. zu Bertolt Brecht hervorgetreten, hat eine rechtshistorisch und urheberechtlich akzentuierte Spezialstudie zu Weills Prozess gegen die Nero vorgelegt. Sie entstand parallel zu der Studie des Rezensenten über beide Verfahren (vgl. die Arbeit in der Festgabe für Martin Vogel, Tübingen, ZGE 2017, 224). Fischers Fokus liegt auf Kurt Weills erfolgreicher Klage. Brecht unterlag bekanntlich.
Während Brechts Verfahren zu einer ungleich höheren Resonanz in den Jahrzehnten nach 1931 bis heute in der Germanistik, der Literatur-, Film- und Mediengeschichte bis hin zu seiner Radio- und Medientheorie geführt hat (s. dazu u. a. die von Jan Knopf betreuten und edierten klassischen Ausgaben und Kommentierungen), blieb Kurt Weill ein Schattendasein nicht erspart.
Fischer stellt diesen Prozess vor der Weigert-Kammer des Landgerichts Berlin, die Urteilsgründe und Hintergründe, im Kontext seiner juristischen Bewertung und die Abläufe, die zu Weills Erfolg und seinem profitablen Vergleich führten, minutiös und vorbildlich dar. Die Vergleiche der zwei streitbaren Protagonisten des juristischen Dramas wurden in der Öffentlichkeit mit dem geringstmöglichen Beifall aufgenommen. Hatte man doch in der Endphase der Weimarer Republik, einer Blütezeit deutscher Filmproduktion, sich die Klärung des komplexen Verhältnisses der Autoren und Filmkomponisten in der Filmindustrie erhofft. Filmästhetik. Linke Filmtheorie und politische Umwälzung der kapitalistischen „Überbau“-Phänomene und die Wirkung der ökonomischen Filmproduktion bei der Umsetzung literarisch-künstlerischer Vorlagen (Romane, Drehbücher, Musik und Kunst) standen zur Debatte. Als sich unter dem Druck der Judikate die Autoren verglichen, sparte man nicht mit Karikaturen, Häme, Spott und satirischen Kommentaren: „O wie schnell hat sich verflüchtigt,/umgesetzt und hinverdichtigt/die Courage in Moneten!“ Dass dabei mit Pabsts Dreigroschenfilm trotz aller Kritik Brechts und Weills ein noch heute phänomenaler Film herausgekommen war, ging in der Apotheose und folgendem Sturz der Heroen gegen die allmächtige Filmindustrie fast unter.
Wenn sich heute die filmische, filmhistorische und ästhetisch-theoretische Filmwissenschaft mit Oper, Film, Prozess und Dreigroschenroman befasst, wird die explizit rechtshistorische Problematik der Diskurse auf dem Hintergrund des rudimentären Film-Urheberrechts, Filmvertragsrechts und der erst allmählich sich entwickelnden Bedeutung der Filmmusik – mit dem gleichzeitigen Aufschwung des Tonfilms – so richtig deutlich. Wie sich auch Fischers Pilotstudie entnehmen lässt, kann der Stellenwert dieser Fälle nur auf der Basis des damaligen Standes des Filmrechts zutreffend eingeschätzt werden. Dessen Weiterentwicklung, durch einige aufsehenerregende Fälle seit 1920 nur wenig vorangebracht, mündeten in Diskussionen, die bei der Diskussion der Urheberrechtsrreform seit 1928 zunehmend im Zentrum standen. In der Akademie für deutsches Recht wurden sie unter NS-Vorzeichen fortgesetzt (s. dazu meine Vorstudie in: MYOPS 2018 zu der Diskussion u. a. mit Carl Schmitt).
Fischer hat mit seiner lesenswerten und bestens dokumentierten urheberrechtshistorischen Arbeit seine bekannten Beiträge zu Brecht und dem Urheberrrecht ungemein bereichert. So gesehen ist damit zugleich ein Zeitbild vorgelegt worden. Denn auch Weills Prozess kann nur auf der Grundlage des zeitgeschichtlichen Kontextes zutreffend eingeordnet werden. Weills Wiener Lektor Heinsheimer erkannte schon nach 1931 sofort die Bedeutung des vom Komponisten erstrittenen Urteils und Vergleichs. Dennoch wollten es die Umstände, die der Verfasser so treffend aufblättert, dass ausgerechnet dieses wichtige Produkt der Berliner Weigert-Kammer in den tiefen Brunnen der vergesslichen Vergangenheit fiel. Mit diesem Werk ist ihm späte Gerechtigkeit zuteilgeworden.
Düsseldorf Albrecht Götz von Olenhusen