Pfaffendorf, Rüdiger, Die Strafbarkeit grenzüberschreitender Verletzungen von Rechten
Pfaffendorf, Rüdiger, Die Strafbarkeit grenzüberschreitender Verletzungen von Rechten am geistigen Eigentum innerhalb der Europäischen Union. Berlin: BWV 2018. 284 S. Angezeigt durch Albrecht Götz von Olenhusen.
Die leitende Forschungsfrage dieser Arbeit, mit welcher der Verfasser 2016 an der Humboldt-Universität Berlin promoviert worden ist (Betreuer Martin Heger, HU Berlin), ist die Herausarbeitung der weitreichenden Strafbarkeitslücken bei grenzüberschreitenden Verletzungen von Rechten am geistigen Eigentum innerhalb der Europäischen Union. Das Zusammenwirken von Territorialitätsprinzip und Grundsatz ne-bis-in-idem verhindern eine vollständige strafrechtliche Erfassung. Diese Lücken sind bisher zwar schon bekannt, aber bisher noch nirgends so deutlich aufgezeigt worden.
Die Reichweite des deutschen Strafrechts ist danach höchst begrenzt. Die Straftatbestände erfassen nur die Verletzung von nationalen Schutzrechten und von Unions-Schutzrechten. Verletzungen ausländischer Schutzrechte sind demnach nicht im Normbereich. Denn deutsche Gerichte wenden deutsches Strafrecht an. Die Straftatbestände, abstrakte Gefährdungsdelikte, verlangen teilweise Erfolge. Grenzüberschreitende Verletzungen erfolgen heute meist mittels des Internets. Insoweit ist die Arbeit besonders aktuell.
Der Verfasser untersucht die Kollisionen zwischen Unionsrecht und nationalem Recht. Die Strafnormen knüpfen an die zivilrechtlichen Normen des jeweiligen Schutzrechts an. Das erschwert die Strafbarkeit theoretisch wie praktisch erheblich. Die Schutzwirkung ist auf das Gebiet Deutschland beschränkt. Unionsmarken, Gemeinschaftsgeschmacksmuster und Sortenschutzrecht können nur auf dem Territorium der Europäischen Union verletzt werden.
Die positivrechtliche Rechtslage hat Konsequenzen für die Bestimmung der Handlungsorte und Erfolgsorte. Im Ergebnis weist die Studie treffend nach, dass die §§ 7, 9 StGB mit dem Unionsrecht nicht vereinbar sind.
Im ersten Teil wird die Einschränkung der internationalen Anwendbarkeit des Strafrechts des geistigen Eigentums durch den begrenzten Schutzbereich der Strafnormen untersucht (§§ 106ff. UrhG, 143ff MarkenG, 51, 65 DesignG u. a.). Der weitere Abschnitt ist der Bestimmung der Begehungsorte nach § 9 StGB bei Internetstraftaten gewidmet, der dritte untersucht die Grenzen durch europarechtliche Vorgaben. Es schließen sich im zweiten Teil die Ermittlung der Strafbarkeitslücken an, sowie im dritten Teil ausgefeilte und sehr durchdachte Vorschläge zu deren Beseitigung de lege ferenda, insbesondere durch eine strafrechtliche EU-Richtlinie. Die Notwendigkeit der Ausdehnung des strafrechtlichen Schutzes durch nationale und unionsrechtliche Gesetzgebung wird ausführlich begründet, um Produktpiraterie und Nachahmungen einzudämmen.
Die sehr dogmatisch ausgerichtete Arbeit besticht durch ihre ungemein detaillierte und überzeugende Darlegung der normativen Desiderate im nationalen und internationalen Strafrecht und der bisher kaum einmal ausgeräumten bzw. anderweitig so glasklar gesehenen Kollisionsprobleme. Rechtspolitisch müssten die Mitgliedstaaten der Union jedoch nicht nur alle gesetzlichen Straftatbestände selbst substantiell und gleichförmig erweitern oder durch eine EU-Richtlinie dazu angehalten werden. Damit plädiert der Verfasser für eine europaweite möglichst einmütige Angleichung des Strafrechts im Bereich des immateriellen Eigentums.
Die Grenzen der Anweisungskompetenz hat der Gerichtshof der Europäischen Union erneut im Jahr 2007, allerdings bereits vergleichsweise sehr eng, gezogen: Art und Maß strafrechtlicher Sanktionen fallen danach gar nicht in die Kompetenz der Gemeinschaft (u. a. EuGH 23. 10. 2007, Rs C – 440/05). Die in der Arbeit mit bemerkenswertem Optimismus aufgezeigten Lösungswege sind also schon normativ und prozedural mit erheblichen Hindernissen versehen, wenn nicht gar verbarrikadiert.
Rechtshistorisch ist ein knapper Abschnitt über die Entwicklung des Territorialitätsprinzips im Urheberrecht und gewerblichen Rechtsschutz von besonderem Interesse (S. 74ff.).Nicht zur Fragestellung der Arbeit gehörte, inwieweit die Strafnormen im Bereich des geistigen Eigentums, von der kriminologischen Relevanz abgesehen, in den Auswirkungen überhaupt effektiv sind, auch wenn nach zahlreichen Untersuchungen die beträchtliche Gefahr oder der Eintritt volkswirtschaftlicher Schäden durch Nachahmungen und Piraterie nachgewiesen ist. Zivilrechtlich wie strafrechtlich gibt es bekanntlich überdies nach wie vor bemerkenswerte Fälle des „forum shopping“ und der Ausnutzung des sog. Delaware-Effekts, d. h. die listige Verlagerung wirtschaftlicher Aktivitäten in den Mitgliedstaat oder in ein ausländisches Land mit dem schwächsten Recht oder besser gesagt: mit dem Recht, das staatlich intendiert oder zufällig dem Verletzer von Schutzrechten das größte Entgegenkommen erweist. Das Kraut, das dagegen gewachsen wäre, ist, wie die Rechtslage auch auf anderen Gebieten zeigt, nicht so leicht zu finden.
Düsseldorf Albrecht Götz von Olenhusen