Gier, Korruption und Machtmißbrauch in der Antike, hg. v. Bachhiesl, Christian/Handy, Markus/Mauritsch, Peter u. a.
…omnia Romae/ cum pretio. Quid das…“
Juvenal, Satiren( III, 182ff)
Die an der Karl-Franzens-Universität Graz wirkenden Herausgeber legen die gebündelten Ergebnisse der von Forschern um Christian Bachhiesl, Leiter des Hans Gross-Kriminalmuseums, und von Mitarbeitern des Grazer Instituts für Alte Geschichte organisierten Tagung aus dem Jahre 2017 vor („Geldgier und Geltungsdrang. Korruption in der Antike“). Nach dem hier verfolgten spezifischen Ansatz werden vielfältige, nicht immer genau strafrechtlich zu definierende Verhaltensweisen minutiös untersucht, welche mindestens moralische Grenzen bewusst überschreiten. Der Kongress setzte eine frühere Forschungsveranstaltung aus dem Jahre 2014 produktiv fort (s. dazu Bachhiesl/Handy: Kriminalität, Kriminologie und Altertum. Wien 2015). Grundmotive und anthropologische Konstanten, Gier, Geltungsdrang, Korruption und Machtmissbrauch in Griechenland und Rom stehen im Fokus. Es sind daher auch diese Stichworte, die als Leitmomente den hier in der gebotenen Kürze nicht auszuschöpfenden Sammelband strukturieren.
Bachhiesl, Historiker und Jurist, hat mit diesem von ihm in Zusammenarbeit mit seinen Miterhausgebern organisierten Kongress wieder einmal die herausragenden Spezialisten des Gebiets aus Österreich, mit einer Ausnahme auch aus Krakau, unter bestimmten vorgegebenen Perspektiven zusammengeführt. Er selbst befasst sich mit dem Prozess Jesu im Spiegel der frühen Kriminalwissenschaft mit ihren subtil ausgeleuchteten, divergierenden Perspektiven auf politische Korruption und Pathologisierung namentlich um 1900.
Die eine oder andere schmälere und gefahrdrohende Brücke zu in der Gegenwart grassierenden korruptiven Intimitäten wird dort deutlich, wo in einem eleganten literarisch-ironisierten Essay Peter Mauritsch (Graz) die jenseits von Ruhm und Geld liegenden sexuellen Begierden in Mythos und Geschichtsschreibung des Eros entblättert oder wenn Hannes Schütz (Graz) die aktuelle Korruption und kursierende Käuflichkeit bis hin zu den ebenfalls anfällig erscheinenden Regelwerken, ihren Machern und ihren dubiosen Anwendungen selbst scharfsinnig in den Blick nimmt.
Wer sich für Korruption in der Geschichtsschreibung (Stefan Köchel) und Archäologie, auch ein Thema mit einsichtigen Verlängerungspotentialen bis in die Gegenwart, fesselt, der kommt bei der Historie von dem ungemein geschäftssinnigen bis durchtriebenen Kaufmann und Archäologen Heinrich Schliemann und seinen Transaktionen unweigerlich ganz auf seine Kosten (Gabriele Koiner) – gleichermaßen in der feinsinnigen Analyse des umfänglichen Corpus antiker Rhetorik (Ursula Lagger) mit dem interessanten Ergebnis zur großzügigen Weite einer bribery culture in Athenbis zur accusation of bribery culture namentlich in punkto Richterbestechung.
In zahlreichen beispielhaften Detailforschungen wird belegt, was Ingomar Weiler an prägnanten historischen politischen Protagonisten – Gaius Verres, Crassus, Caesar u. a. – als anthropologische Konstanten von Habsucht und Raffgier so präzise wie eindrücklich als „althistorisches Problemfeld“ (Herbert Grassl) mit Gegenwartsbezug zu Systemen und Personen umreißt.
Für die römische Jurisprudenz wird freilich mit dem „servus corruptus“ und der „actio servi corrupti“ auch der Kampf gegen den Verrat von Geschäftsgeheimnissen zum bemerkenswert ausgefeilten Rechtsproblem (Martin Pennitz). Lukians satirische Resonanz nimmt gleichermaßen Habgier und Parasitentum aufs Korn (Wolfgang Spickermann). Von solchen Topoi der antiken Literatur führt womöglich sogar ein fast gradliniger Trampelpfad zur Korruption und zum Nepotismus als „orientalisches Lebensprinzip“ (Johann Leitner)- wie es sich auch in Juvenals Satiren problembewusst, kritikwürdig oder als „normale“ Spielregel widerspiegelt (Werner Petermandl). Der nüchtern bis blutrünstig an die Wände der Jahrhunderte gemalte „Normalzustand“ sollte freilich nicht vergessen machen, dass selbst die ausgepichtesten Konstanten der Normabweichung stets keine unausweichlich und unveränderlich imprägnierten Dauerzustände oder eine permanent eingeschweißte „Erbsünde“ waren oder künftig sein müssten.
Mit einem interdisziplinären Seitenblick wäre vergleichsweise umstandslos der Brückenschlag möglich zu dem vor allem auch in anders gelagerten politikwissenschaftlich-soziologischen Untersuchungen aufgegriffenen Thema der Grenzziehungen zwischen Klientelsystemen und Beziehungsgesellschaften denkbar. Das hätte freilich den Rahmen unnötig sprengen müssen.
Es macht den unzweifelhaften Reiz dieses sehr lesbaren Kompendiums aus, dass die zunächst primär auf die psychologischen Motive und ubiquitären Antriebe gerichteten Interessen von Sprach-, Literatur-, Rechts- und alter Geschichte durch die Analyse gesellschaftlicher Faktoren und staatlicher Instanzen bzw. Gruppen (Markus Handy, Roland Steinacher) in detaillierten Analysen Profil gewinnen.
So steht der von den Herausgebern an den Beginn gesetzte kraftvoll-höhnische Vers - Appell Quevedos an „Geist und Geiz“ eines käuflichen Richters, der - als ewiger Topos der Habsucht durch die unselige Gerichts-, Welt- und Wissenschaftsgeschichte geistert, zwar symbolhaft und primär für die kritische Sicht auf reichhaltig aufgefächerte Motivfelder und innere Antriebe von Gier bis Geltungssucht, auf feinziselierte Phänomenologien und fatale Effekte von Korruption, Käuflichkeit und banaler Bestechung. Er zielt in dieser Sammlung glanzvoller Studien jedoch auch in Teilen oder doch implizit auf systemische Aspekte antiker Macht- und Gewaltausübung, von mehr oder weniger irrationaler Mehrung der Mittel, wenngleich offenbar durchaus bewusst weniger auf die realen Grenzziehungen für frühe Gesellschafts- und Rechtsordnungen, in denen Machtmissbrauch in Majuskeln, die Kontrollen und Sanktionen in Mikroschrift notiert wurden.
Düsseldorf Albrecht Götz von Olenhusen