Fischer, Thomas, Über das Strafen.
Strafe muss sein, ist eine allgemein verbreitete Ansicht und dementsprechend gibt es in der Rechtswirklichkeit weltweit verbreitet viele täglich verhängte Strafen wie Freiheitsstrafen und Geldstrafen sowie in einzelnen Staaten auch Todesstrafen. Gleichwohl ist geschichtlich die erste Strafe unbekannt und werden sogar in dem altrömischen Recht Unrechtstaten überwiegend mit den Mitteln der Hauszucht, des Kriegsrechts, der allgemeinen magistratischen Zuchtgewalt sowie des Zivilverfahrens verfolgt und nur in einigen seltenen Fällen wie Landesverrat oder Magistratsverletzung mit einer öffentlichen Strafe wie etwa Enthauptung und Vermögenseinziehung und später auch der Geldstrafe belegt. Dementsprechend ist in der deutschen Sprache auch das zentrale Wort Strafe erst verhältnismäßig spät nachweisbar und zudem keiner sicheren Herkunft zuzuweisen.
Der in Werdohl 1953 als Sohn eines Arztes aus dem Sudentenland geborene Verfasser des vorliegenden Werkes über das Strafen hat das tägliche menschliche Leben bereits aus sehr vielen Blickwinkeln betrachtet. Nach dem Verlassen seines Elternhauses mit sechzehn Jahren brach er das Gymnasium in Friedberg in Hessen in der zwölften Klasse ab, arbeitete unter anderem als Schreiner, Musiker und Paketzusteller, wohnte in einer Kommune von Musikern in Worms, legte 1975 doch noch in Friedberg das Abitur ab, wurde als Kriegsdienstverweigerer anerkannt, studierte von 1976 bis 1978 in Frankfurt am Main Germanistik, arbeitete nach Abbruch des Studiums als Paketzusteller in Frankfurt am Main, studierte in Würzburg seit 1980 Rechtswissenschaft und Volkswirtschaft, wurde dort nach dem Bestehen der ersten juristischen Staatsprüfung 1986 bei Ulrich Weber mit einer Dissertation über das Thema Öffentlicher Friede und Gedankenäußerung promoviert und trat nach der zweiten juristischen Staatsprüfung 1988 in den höheren Justizdienst in Bayern ein, in dem als Strafrichter an den Amtsgerichten Ansbach und Weißenburg wirkte und zusätzlich Soziologie studierte. Nach dem 1993 erfolgten Wechsel in den Justizdienst des Freistaats Sachsen wurde er 1996 Ministerialrat des dortigen Staatsministeriums der Justiz und 2000 Richter an dem Bundesgerichtshof, als welcher er sich in dem Sommer 2011 erfolgreich gegen eine dienstliche Beurteilung durch den Präsidenten und die beabsichtigte Ernennung eines anderen Bewerbers zu einem vorsitzenden Richter an dem Bundesgerichtshof wehrte, wurde selbst nach längeren Streitigkeiten an dem 25. Juni 2013 vorsitzender Richter und trat als solcher Ende April 2017 in den vorzeitigen Ruhestand.
Nicht zuletzt ist er durch die von ihm allein geleistete Fortführung des von Otto Schwarz begründeten Kurzkommentars zu dem Strafgesetzbuch und zahlreiche weitere, ein großes Publikum findende Veröffentlichungen zu dem wohl in der Öffentlichkeit bekanntesten Strafjuristen Deutschlands geworden. Sein umfangreiches multidisziplinäres Wissen legt er in dem vorliegenden kompakten Buch nach einer Einleitung über das Bedürfnis nach Strafrecht in sieben Kapiteln über Natur, Gesellschaft, Strafrecht, Strafrecht und Kommunikation, Strafrecht und Gerechtigkeit, Strafrecht in Deutschland heute, Straf-Tatbestände – Puzzleteile des Gesetzes, Strafrechtspolitik, Strafrechtspraxis und Perspektiven sowie einer Schlussbemerkung eloquent und sehr gut verständlich dar. Dementsprechend kann jeder Interessierte sich über das Strafen in Deutschland aus der Sicht eines hervorragenden, leistungsfähigen und durchsetzungsfähigen, öffentlich wirksamen individuellen Sachkenners bestmöglich orientieren, auch wenn wenig wirklich grundlegend neu und eigentlich alles so unbestimmt ist, dass sich daraus ebenso alles wie auch nichts über flexible Elastizität erfordernde Verhältnis von Recht und Sicherheit in der demokratischen Gesellschaft eindeutig ableiten lässt.
Innsbruck Gerhard Köbler