Mayenburg, David von, Gemeiner Mann und gemeines Recht.

Die Zwölf Artikel und das Recht des ländlichen Raums im Zeitalter des Bauernkriegs (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main 311). Klostermann, Frankfurt am Main 2018. XX, 487 S. Angezeigt von Gerhard Köbler. ZIER 9 (2019) 41. IT

Auch wenn die ersten Menschen verhältnismäßig gleich und in dem Rahmen der natürlichen Gegebenheiten verhältnismäßig frei waren, führte die aus dem Selbsterhaltungstrieb entspringende egoistische Natur des Menschen doch allmählich an vielen Stellen zu Herrschaftsverhältnissen wie beispielsweise der mittelalterlichen Grundherrschaft in Europa. Zwar sind die Einzelheiten ihrer Entstehung auch in der Gegenwart unklar, doch lässt sich ihr Bestand als solcher nicht bezweifeln. In ihr standen sich Grundherr und Grundholde mit unterschiedlichen Rechten und Pflichten an Grund und Boden sowie an Freiheit und Gehorsam gegenüber, wobei verträgliches Zusammenwirken Vorteile auf beiden Seiten bewirkte oder bewirken konnte.

 

Nach dem Vorwort des sich mit einem besonderen Teilaspekt dieser Problematik beschäftigenden Werkes legt der in München 1968 geborene, von 1988 bis 1995 in neuerer und neuester Geschichte, Sozialgeschichte, Wirtschaftsgeschichte sowie öffentlichem Recht in München und an dem St. Antony’s College in Oxford ausgebildete, 1996 mit der Magisterarbeit Schule, Berufsschule, Arbeitsmarkt graduierte, seit 1995 in Bonn in Rechtswissenschaft ausgebildete, 2005 mit einer Dissertation über Kriminologie und Strafrecht zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus – Hans von Hentig (1887-1974) promovierte und 2012 mit der Schrift „Die Zwölf Artikel von 1525 und das ‚Göttliche Recht‘ der Bauern – rechtshistorische und theologische Dimensionen“ für bürgerliches Recht, deutsche Rechtsgeschichte und kirchliche Rechtsgeschichte habilitierte, 2013 in Luzern und seit Februar 2014 in Frankfurt am Main wirkende Verfasser seine 2012 angenommene, mit benutzerfreundlichen Verzeichnissen und einem Abdruck der zwölf Artikel (S. 365ff.) ausgestattete Habilitationsschrift mit einer Verspätung von mehr als fünf Jahren vor. Die Anregung zu der Beschäftigung mit dem deutschen Bauernkrieg von 1525 aus rechtshistorischer Perspektive entnahm er einem Gespräch mit dem Frühneuzeithistoriker Winfried Schulze. Die Ansicht Karl-Siegfried Baders, dass der Bauernkrieg von 1525 gewiss nicht in erster Linie ein rechtshistorisches Phänomen reizte ihn dazu, die Quellen rechtshistorisch neu zu befragen.

 

Gegliedert ist die daraus erwachsene grundlegende Untersuchung nach einer Einleitung über Forschungsinteresse, Forschungsstand, Methodik, Eingrenzungen und Quellenlage in vier Kapitel. Sie betreffen die Akteure (Herren, Untertanen und Juristen) in dem Gespräch über das Recht, die Voraussetzungen Biographien und Wahrnehmung, den Gegenstand (die zwölf Artikel der oberdeutschen Bauern) und den Diskurs über den Gegenstand (Frondienste). In diesem Rahmen greift der Verfasser sehr weit aus und beschäftigt sich bei der rusticitas mit dem römischen Recht, dem Decretum Gratiani, den Glossatoren des römischen Rechts, der Dekretistik, Bartolus de Saxoferrato, Baldus de Ubaldis und weiteren „Postglossatoren“, der Feudistik, der Dekretalistik und Juristen an der Wende zu der Neuzeit. Andererseits untersucht er sehr sorgfältig und gründlich die zwölf Artikel, die er überzeugend als Rechtstext einordnet, an Hand dessen er nachweisen kann, dass die Bauern gemeinrechtliche Regeln kannten und bereit waren, sich auf deren Grundlage mit ihren Obrigkeiten dauerhaft zu einigen.

 

In diesem Rahmen kann der Verfasser an dem besonderen Beispiel der Frondienste zeigen, dass es den Bauern nicht nur um wirtschaftliche Erleichterungen, sondern auch um grundsätzliche Fragen von Rechtssicherheit und Gerechtigkeit ging. Dabei kann er das gemeine Recht 1525 als wahrnehmbare und auch wahrgenommene Chance erweisen, wenn auch nicht als Allheilmittel, dessen Anwendung auf ländliche Rechtsverhältnisse problematisch blieb. Dass sich die von den Bauernkriegsartikeln anscheinend vorgezogene Lösung der Streitfragen durch gerechte, schriftliche Verträge mit den Herren auf der Grundlage gleichberechtigter Verhandlungen nicht dauerhaft durchsetzte, ist nach der ansprechenden Ansicht des Verfassers weder dem gemeinen Mann noch dem gemeinen Recht anzulasten, sondern Teil eines in diesem Bereich rund 70000 Todesopfer fordernden Herrschaftsverdichtungsprozesses, der in der Bauernkriegszeit bereits erkennbar, aber eigentlich durchaus nicht alternativlos war.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler