Wiezoreck, Siegfried, Der Generalstaatsanwalt der DDR in der Honecker-Ära

(= Schriften zur Geschichtsforschung des 20. Jahrhunderts 17). Kovač, Hamburg 2018. XI, 468 S. Angezeigt von Gerhard Köbler. ZIER 9 (2019) 87. IT

Die nach dem Ende des zweiten Weltkriegs aus der sowjetischen Besatzungszone des Deutschen Reiches hervorgegangene Deutsche Demokratische Republik hatte eine ähnliche Vorgeschichte wie die aus den drei Zonen der westlichen Alliierten gebildete Bundesrepublik Deutschland. Grundsätzlich galten in ihr die in dem Deutschen Reich erlassenen Gesetze, darunter die Reichsjustizgesetze der Jahre 1877/1879. Das bedeutete vor allem für das Strafverfahren die Fortführung der in dem 19. Jahrhundert entwickelten Einrichtung der hauptsächlich auch zu Gunsten des Angeklagten neben dem Richter geschaffenen Staatsanwaltschaft.

 

Mit einem Teilaspekt dieser Thematik beschäftigt sich die vorliegende Untersuchung des nach dem kurzen Vorwort in seiner Jugendzeit in Lübeck die Deutsche Demokratische Republik als gerechter, sozialer, friedfertiger und antifaschistischer als die Bundesrepublik Deutschland ansehenden, durch den Mauerbau in Berlin, das unmenschliche Grenzregime und die verweigerten Freiheitsrechte rasch ernüchterten, nach der Herstellung deutscher Einheit für etwa fünf Jahre von dem Landeskriminalamt Hamburg zu der Landespolizei Mecklenburg-Vorpommern wechselnden, an dem Landeskriminalamt in Schwerin und in der Polizeidirektion Stralsund wirkenden und nach der Pensionierung während eines Studiums der Wirtschaftsgeschichte und Sozialgeschichte eine Dissertation anstrebenden Verfassers. Seine auf Grund unterschiedlicher Auffassungen über die Reichsweite des Themas ohne Erreichung des Zieles abgeschlossene interessante und weiterführende Untersuchung gliedert sich nach einer Einleitung in siebzehn Abschnitte. Sie betreffen die Entwicklung der Staatsanwaltschaft in der SBZ/DDR, Kriminalpolitik nach dem Wechsel von Ulbricht zu Honecker, die Staatsanwaltschaft in dem Rechtssystem der DDR, den Einfluss der Sozialistischen Einheitspartei auf die Staatsanwaltschaft, den Generalstaatsanwalt, strategische und operative Maßnahmen des Generalstaatsanwalts, die Entwicklung der registrierten Kriminalität, das in der Zusammenarbeit der Justizorgane mit den Sicherheitsorganen entwickelte Netzwerk Strafverfolgung, die Strafverfolgung der allgemeinen Kriminalität, die Verfolgung von widerständigem Verhalten und politisch motivierten Straftaten, die Untersuchungshaftpraxis, die Praxis der Gewährung der Rechte von Angeklagten und Verteidigern, Wendlands Forderung der Rechtmäßigkeit der Strafverfolgung, die interne Gesetzlichkeitsaufsicht durch den Generalstaatsanwalt und den Generalstaatsanwalt während der Wendezeit.

 

Nach dem Ergebnis der sorgfältigen Untersuchungen des Verfassers gewährleisteten die Verfassungen der Deutschen Demokratischen Republik die Unabhängigkeit der Rechtsprechung und verpflichteten den Generalstaatsanwalt zu der Überwachung der Beachtung der Rechtsordnung. In der Verfassungswirklichkeit war die Verfassung aber nicht der verbindliche rechtliche Rahmen für Staat und Bürger, weil die verfassungsrechtlichen Garantien ausgehöhlt und bewusst missachtet wurden, um dem sozialistischen Staat die Herrschaft über die Staatsangehörigen zu sichern. Insgesamt erweist der Verfasser überzeugend den Generalstaatsanwalt als eine zuverlässige Stütze der Machthaber der Deutschen Demokratischen Republik, der einen bedeutenden Beitrag zu der sozialen Kontrolle leistete, um mit Zwang  Konformität, Disziplin und Erziehung von Bürgern der Deutschen Demokratischen Republik durchzusetzen, wobei der an dem 5. Dezember 1989 von seinem Amt zurücktretende Generalstaatsanwalt Wendland bei dem Untergang der Deutschen Demokratischen Republik zunächst in abwartender Untätigkeit gegenüber den von Mitarbeitern der Sicherheitsorgane verübten Straftaten verharrte und erst in dem Januar 1990 der von der Volkskammer zu dem Generalstaatsanwalt gewählte Hans-Jürgen Joseph die Strafverfolgung gegen Politbüromitglieder und andere Spitzenfunktionäre wegen Amtsmissbrauchs einleitete sowie nach Herstellung deutscher Einheit der Generalbundesanwalt der erweiterten Bundesrepublik die Behörde des Generalstaatsanwalts auflöste.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler