Islamische und westliche Jurisprudenz des Mittelalters im Vergleich,

hg. v. Lange, Christian R./Müller, Wolfgang P./Neumann, Christoph K. Mohr Siebeck, Tübingen 2018. XII, 242 S. Angezeigt von Gerhard Köbler. ZIER 9 (2019) 34. IT

Die verstärkte Beschäftigung des Menschen mit dem Recht wird bisher für die Rechtsgeschichte erst mit den Hochkulturen des Altertums sichtbar, während alle möglichen früheren Anfänge in einem wohl undurchdringlichen Dunkel unsichtbar bleiben. Danach stehen trotz aller philosophischen, gedanklichen und weiterführenden Überlegungen der Griechen vor allem die Römer in dem Mittelpunkt, die durch alltägliche Befassung mit den Zwölftafelgesetzen durch über genügend freie Zeit verfügende sachkundige Männer beeindruckende Lösungsfähigkeiten gewonnen haben, von denen die Menschheit weltweit bis in die Gegenwart zehrt. Dementsprechend ist die Jurisprudenz des Mittelalters für die deutsche und europäische Rechtsgeschichte vorwiegend westliche Jurisprudenz und in ihrem Rahmen römische Rechtsklugheit.

 

Der diesen eingeschränkten Blick erweiternde vorliegende schlanke Band geht nach dem kurzen Vorwort der Herausgeber auf ein Werkstattgespräch zurück, das in der Carl Friedrich von Siemens Stiftung in München in dem April 2015 stattfand und nach gemeinsamen Bezugspunkten suchte, die dem interdisziplinären Austausch über islamische und westliche Wissenschaft des Mittelalters förderlich sein könnten, wobei mündliche Beiträge von Experten aus den beiden Fachbereichen teilweise Eingang in den vorliegenden, dem Andenken des an dem 6. Februar 2017 plötzlich verstorbenen Andreas Meyer gewidmeten Band gefunden haben. Insgesamt enthält das Werk nach einer ausführlichen Einleitung Wolfgang P. Müllers elf Studien. Sie betreffen die strukturellen Konvergenzen zwischen Scharia und Ius commune, Kanonessammlungen des 10. bis 12. Jahrhunderts, die schariatische Wende des 12. Jahrhunderts, den Strukturwandel des kanonischen Rechtes in dem Mittelalter, das islamische Recht und die öffentliche Ordnung in der Spätzeit des Kalifats, die Frührezeption des gelehrten Rechtes  in der so genannten populären Literatur und der Gerichtspraxis, die Tiefenstruktur des Rechts und den Grund des Wesens und der Funktion juristischer „Maximen“ im klassischen Islam, das spätmittelalterliche Kirchenrecht (Andreas Meyer), die Rechtsgewohnheit als Mechanismus der Innovation in dem arabischen Recht an Hand von Beispielen aus der malikitischen Richtung in Nordwestafrika, juristische Consilia in dem Spätmittelalter zwischen Kommerzialisierung und Rechtsfortbildung sowie die staatliche Indienststellung nichtstaatlichen Rechtes und seiner Experten in dem osmanischen Reich.

 

Nach dem Grundtenor der Beiträge ist die bisherige Forschung ohne hinreichende Begründung von der Verschiedenheit der Jurisprudenz in den beiden unterschiedenen Kulturen ausgegangen. Dies versuchen die Beiträge an Hand ihrer vielfältigen Untersuchungen zu verändern. Möge ihnen auf Grund ihrer Suche nach grundlegenden Gemeinsamkeiten bei vielen Lesern größtmöglicher Erfolg beschieden sein, so dass getrennte Wege in dem Ergebnis zu einem gemeinsamen, durch ein Glossar und ein Register benutzerfreundlich abgerundeten Ergebnis führen können, auch wenn Islam und christliche Gedankenwelt auch in Zukunft bis zu einer Verflüchtigung religiöser Vorstellungen voraussichtlich eher getrennt bleiben werden.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler