Alexius, Katarina, Politisk yttrandefrihet
Alexius, Katarina, Politisk yttrandefrihet. En Studie i lagstiftning och praxis under demokratins genimbrottstid (= Rättshistorisk Bibliotek 55) Nerenius & Santérus Förlag AB, Stockholm 1997. XVI, 394 S.
Das Werk trägt den Titel (übs.): „Politische Äußerungsfreiheit. Eine Studie zur Gesetzgebung und Praxis in der Durchbruchszeit der Demokratie.“ Es handelt sich um eine Uppsalenser Dissertation, die der dortige Ordinarius für schwedische Rechtsgeschichte, Rolf Nygren, betreut hat. Die Verfasserin hat ein bisher kaum bearbeitetes Thema gewählt, nämlich die Geschichte der politischen Meinungsäußerungsfreiheit in Schweden seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts. Dabei geht es ihr weniger um den staatsrechtlichen Grundsatz als vielmehr um die Grenzen, die das Strafrecht der Meinungsfreiheit gezogen hat. Daß bei den dazu erlassenen Gesetzen die hohe Politik ihre Interessen geltend gemacht hat, versteht sich von selbst.
In der Geschichte dieses Grundrechts unterschied die Gesetzgebung zwischen allgemeiner Meinungsfreiheit, der Äußerungsfreiheit und der Druckfreiheit, also der Freiheit von Zensur. Nach einem Einleitungskapitel, das der begrifflichen Abgrenzung dient, stellt die Verfasserin zunächst die Verfassung nach dem Staatsstreich von 1809 vor und behandelt die Meinungsfreiheit in der Verfassung von 1810 und im 1812 erlassenen Druckfreiheits(Presse-)gesetz, das – immer wieder geändert und angepaßt – 136 Jahre (bis zum 5. April 1949) gegolten hat, als ein neues Pressegesetz erlassen wurde. Auch in der Endzeit des Ständestaates (1809-1866) wurde die Meinungsfreiheit klein gehalten, vor allem als in den 1820er Jahren der Liberalismus aufblühte. Unter König Karl XIV. Johan (dem früheren Marschall Bernadotte) kam es aus eher nichtigen Anlässen zu Prozessen wegen Majestätsverbrechen: Als Anders Lindeberg das königliche Theatermonopol angriff, wurde er wegen Majestätsverbrechens im Juni 1834 zunächst zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde zwar gnadenhalber in dreijährige Festungshaft umgewandelt, doch Lindeberg wollte nicht begnadigt werden. Aus dieser unerquicklichen Lage befreite sich die Regierung, indem sie im Oktober 1834 eine Generalamnestie für politisch Verurteilte erließ. Da sie befürchtete, Lindeberg werde sich auch ihr verweigern, lockte sie ihn unter dem Vorwand aus der Festung, jemand wolle ihn sprechen. Als er die Festung verließ, verschloß man die Tore und sperrte ihn aus. Es sind solche Fälle aus der Praxis, welche die Darstellung farbig und interessant machen.
Kapitel drei widmet die Verfasserin den politischen Verhältnissen, vor allem der Demokratisierung Schwedens und dem dortigen Vordringen des Sozialismus. Das vierte Kapitel behandelt die Staatschutzdelikte (högmålsbrott). Während bereits die spätmittelalterlichen Gesetze Hoch- und Landesverrat sowie das crimen laesae maiestatis kannten und bestraften, regelte das Reichsgesetz von 1734 Meuterei und Aufruhr im Strafrechtsabschnitt. Das Strafgesetz von 1864, das den Missetaten- und den Strafabschnitt des Reichsgesetzbuches ersetzte, fügte die Aufforderung zum Verrat oder zum Aufruhr und die gemeingefährliche Gerüchtverbreitung (samhällsfarlig ryktespridning) hinzu. Später subsumierte man unter diese Sachverhalte auch die Verbreitung antimilitaristischer Drucksachen (antimilitariskt tryckalster) und die Wehrdienstverweigerung (revolutionär försvarsnihilism).
Umfangreiche Ausführungen widmet die Verfasserin im Kapitel fünf dem sog. Maulkorbgesetz von 1887, welches das Strafgesetz von 1864 änderte, indem es in Kap. 10, § 14 die öffentliche mündliche oder die schriftliche Aufforderung zur Gewalt gegen Personen oder Sachen unter Strafe stellte. Die politische Meinungsfreiheit wurde dadurch zwar zunächst kaum berührt. Als aber 1889 die schwedische sozialdemokratische Partei (SAP) gegründet wurde, reagierte die Regierung, indem sie das Maulkorbgesetz verschärfte und auch alle gegen Personen oder Sachen gerichtete Aufforderungen zur Gewalt strafbar machte. Allerdings verhinderten die Liberalen in der zweiten Kammer, daß Aufforderungen, die nur auf Änderung der sozialen Ordnung abzielten, dazugehörten. Auch Högsta Domstolen (das oberste schwedische Gericht) wandte das Gesetz nicht auf Streikaufrufe an. Die Strafverfolgung nach diesem Gesetz war jedoch insgesamt gering, vermutlich, weil die Sozialdemokraten in den 1890er Jahren zu einer Reformpartei wurden. Da ihr syndikalistischer Zweig aber zu Beginn des neuen Jahrhunderts zur Wehrdienstverweigerung aufrief, änderte die Regierung Karl Staafs 1906 die Vorschrift abermals und verschärfte die Strafdrohung, weil sie keinen hinreichenden Schutz gegen diesen Mißbrauch der Äußerungsfreiheit bot. Auch das Pressegesetz wurde 1909 angeglichen. Bis 1921 verurteilte Schwedens höchstes Gericht nach diesen Gesetzen – zumeist wegen Wehrdienstverweigerung – 28 Personen zu Zwangsarbeit. Diese Gesetzgebung behielt auch in den folgenden Jahren bis nach dem zweiten Weltkrieg Bestand.
Der Missetatenabschnitt des Reichsgesetzes von 1734 enthielt im 21. Kapitel Vorschriften über den allgemeinen Land- und Wegfrieden. Nach dem Staatsstreich von 1809 weitete man ihre Anwendung auch auf groben Unfug (förargelseväckande beteende) aus, bis das neue Strafgesetzbuch von 1864 dafür in Kap. 11, § 15 eine neue Norm schuf, die sehr locker gefaßt war. Da die sozialistischen Gewerkvereine ihre politischen Ansichten öffentlich verbreiteten, suchte man sie strafrechtlich als groben Unfug zu erfassen. Ein 1910 erhobener sozialdemokratischer Protest wurde nicht Gesetz und erst die Strafrechtsreform vom 30. Juni 1948 nahm politische Äußerungen vom Begriff des groben Unfugs aus. Auch Zucht und Sitte waren durch das Pressegesetz geschützt. Als ein Sozialdemokrat 1910 für „Liebe ohne Reue“ plädierte, erging preventivlagen, ein Gesetz gegen Verhütungsmittel, das bis 1938 Bestand hatte.
Ein wichtiges staatliches Interesse bestand darin, die Verbindung zu ausländischen Staaten von belastenden Äußerungen freizuhalten. Das Strafgesetz von 1864 enthielt deshalb Strafnormen, welche die Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter, des eigenen Königs und seiner Familie, des Reichstags und staatlicher Beamter unter Strafe stellte. Auch das Pressegesetz wurde dem angeglichen. Gegenüber dem Reichsgesetz von 1734 war die Strafe zwar geringer, betrug aber 1864 immer noch bis zu zwei Jahre Zwangsarbeit. Die Strafdrohung wurde im Laufe der Zeit gesenkt, aber erst die Strafrechtsreform von 1965 hat die ganze Frage neu geregelt, und die persönliche Unverletzlichkeit stärker geschützt als die Beleidigung von Institutionen.
Da die Arbeiterbewegung, vor allem die seit 1898 in Landesverbänden zusammengeschlossenen Gewerkvereine, zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele (z. B. des allgemeinen Stimmrechts) auch den Streik nicht ausschlossen und in Wort und Schrift auf die Arbeitnehmer einwirkten, sich einem von ihnen verlangten Ausstand anzuschließen, schrieb das Maulkorbgesetz von 1899 vor, daß jeder Zwang, der als Gewalt oder Drohung ausgeübt wurde, um Arbeitnehmer zur Einstellung der Arbeit zu bewegen, strafbar sei. Wer jemanden dabei schriftlich beleidigte, machte sich auch nach dem Pressegesetz strafbar. Blockademaßnahmen im Arbeitskampf wurden als grober Unfug geahndet. Allerdings sah Högsta domstolen die Sache anders: Er urteilte mehrfach, jemanden als Streikbrecher zu bezeichnen, sei keine kriminelle Handlung nach dem Maulkorbgesetz. Als Antwort auf den Zusammenschluß der Gewerkvereine schlossen sich auch die Arbeitgeber zusammen. 1906 einigten sich beide Seiten auf einen Kompromiß: Die Arbeitgeber erkannten die Vereinigungsfreiheit der Arbeitnehmer an, behielten sich aber die Möglichkeit freier Einstellung und Entlassung vor. Da die Gewerkvereine gegen angeblich unsolidarische Arbeiter Schikanen organisierten, machte Karl Hildebrand 1908 den Vorschlag, das Pressegesetz zu ändern und solche Schikanen gegen Nichtorganisierte zu verbieten. Der Vorschlag betraf jedoch auch das allgemeine Verhältnis zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, Deshalb waren nach Ansicht der Liberalen weitergehende Beratungen erforderlich. So scheiterte der Vorschlag knapp in der zweiten Kammer, da ihn auch die Sozialdemokraten als gegen ihre politischen Ziele gerichtet, ablehnten.
Den Schluß der Arbeit bildet ein kurzer Vergleich der schwedischen Verhältnisse mit denen in Dänemark und Norwegen. Er zeigt, daß sich die Strafgesetzgebung hinsichtlich die politische Äußerungsfreiheit zwischen 1895 und 1921 sehr ähnelte. Soweit sie die Beleidigung von Staatsorganen betraf, war sie sogar gleich. Soweit die sozialistische Agitation eine Änderung der Staatsverfassung bezweckte, bestrafte sie Dänemark als hochverräterischen Aufruhr strenger als Schweden, dagegen war das norwegische Strafgesetz von 1902 milder. Schikanen gegen unsolidarische Arbeiter sind in allen drei Ländern gleichermaßen geahndet worden, doch war in Dänemark und Schweden bereits der Versuch solcher Taten nach allgemeinem Strafrecht strafbar.
Die Verfasserin hat ein bahnbrechendes Werk geschrieben, weil sie erstmals alle strafrechtlichen Aspekte der Grenzen der Meinungsfreiheit zusammenfassend dargestellt hat, die bisher nur in Untersuchungen zu Einzelfragen aufgegriffen worden sind. Hierbei zeigt sich, wie sich das zunächst noch monarchisch bestimmte Gemeinwesen gegen neue politische Bewegungen, insbesondere gegen die Demokratisierung, mit Hilfe der Gesetzgebung zu wehren versuchte. Dazu diente nicht nur das allgemeine Strafrecht, sondern auch Spezialgesetzgebung, wie das mehrfach veränderte Pressegesetz, das sog. Maulkorbgesetz und andere. Die Meinungsfreiheit wurde aber auch beschränkt bei Auswirkungen auf das sittliche Verhalten und beim Interessengegensatz im Arbeitsrecht. Wichtig scheint mir, daß die Verfasserin nicht nur die Gesetzgebung auf dem Hintergrund der allgemeinen politischen Geschichte verfolgt, sondern auch ihre Auswirkungen in der Praxis dargestellt hat. Denn es zeigt sich, daß Högsta domstolen, das oberste schwedische Gericht, – der Verpflichtung der dritten Gewalt zu Neutralität und kühler Abwägung entsprechend – in seiner Rechtsprechung weit weniger radikal vorging als die gesetzlichen Vorgaben zu fordern schienen. Die Arbeit ist gut aufgebaut und klar geschrieben, setzt sich eingehend mit der Literatur auseinander und hat deren Meinungen sorgfältig dokumentiert. Bei den Abkürzungen ist das Alphabet durcheinandergeraten; im Literaturverzeichnis sind einige Titel verkürzt wiedergegeben (z. B. Holmbäck-Wessén), auch fehlen häufig die Reihentitel (z. B. bei Åqvist, Björne, Inger). Das Werk beschließt ein Personen- und ein Entscheidungsregister; ein Sachverzeichnis fehlt leider. Dennoch ist ein aufschlußreiches Werk entstanden, das als Muster einer gelungenen Dissertation gelten kann.
Köln am Rhein Dieter Strauch