Siebzig (70) Jahre Grundgesetz -
Alles hat stets einen Zustand und damit eine Verfassung, darunter nicht nur der einzelne Mensch, sondern auch jede Verbindung von Menschen und eigentlich alle Gegebenheiten oder Erscheinungen, mögen sie dauerhaft oder flüchtig sein. Unter ihnen haben die Bundesrepublik Deutschland und ihre unter dem vorsichtigen Namen Grundgesetz geführte Verfassung in der Welt, in Europa oder in dem deutschen Sprachraum und seiner Geschichte ein bestimmtes relatives Gewicht. Von Zeit zu Zeit macht sich der eine oder andere bei günstigen Gelegenheiten dessen bewusst.
An dem 23. Mai 2019 wurde das an dem 23. Mai 1949 verabschiedete Grundgesetz siebzig Jahre alt, von denen die letzten dreißig Jahre in einer auf Grund günstiger wirtschaftlicher Umstände hergestellten relativen deutschen Einheit gelebt werden konnten. Nach überzeugender Einsicht der beiden in Göttingen wirkenden Herausgeber bietet dieses Verfassungsjubiläum genügend Anlass für eine Vergewisserung über das Grundgesetz und den in ihm verfassten Staat, die zugehörige Gesellschaft und die künftige politische Herrschaft, weshalb nicht nur ein Hashtag #GG70 veröffentlicht, eine Fachtagung in dem Bundesministerium des Inneren, für Bauen und Heimat an dem 8. und 9. November 2018 durchgeführt und eine Reihe von Lehrveranstaltungen zu dem Verfassungsrecht in der Innenstadt Göttingens abgehalten, sondern auch zu einem Sammelband für ein breiteres Publikum eingeladen wurde, für den insgesamt fünf Leitfragen gestellt wurden. Seine insgesamt achtzehn, durch ein Teilnehmerverzeichnis und ein Register von Adenauer bis Wiedervereinigung abgerundeten Beiträge gliedern sich in die vier Abschnitte Identität, Integration und Inszenierung, Selbstbestimmung des Einzelnen – was uns zusammenhält, Form, Legitimation und Bindung des Politischen sowie Vergangenheit und Zukunft.
Eröffnet wird das vielfältige eindrucksvolle Mosaik von Udo di Fabio, der in seinem zweiten Aufbruch in die Kultur der Demokratie nachdrücklich darauf hinweist, dass Bonn nicht Weimar ist. Danach werden die Staatssymbolik, Artikel 1 Absatz 1, die Grundrechtsdogmatik als mögliche Grammatik der Freiheit, Ehe und Eltern, Kinder und Schule, Meinungsfreiheit bei und zu Lüth und Harlan, die religiös-weltanschauliche Vielfalt, die Rolle politischer Parteien und ihre Regulierung, das Wahlrecht, die Kanzlerdemokratie, die Verfassungstheorie, die Rechtsstaatlichkeit, der Rechtsstaat, der Föderalismus, das Sozialstaatsprinzip, die Verfassungsgerichtsbarkeit, eine Perspektive aus Taiwan und die Frage angesprochen, wie heute ein neues Grundgesetz aussähe. Dabei stellt Dieter Grimm entschieden fest, dass für eine neue Verfassung der Bundesrepublik ein triftiger Grund und eine überzeugende Idee fehlen und durch ein solches Vorhaben nur die Interessen der Parteien befestigt und die Begehrlichkeiten aus der Gesellschaft geweckt würden, weil der Mensch wohl in seinem Grunde Egoist ist und unter welcher Verfassung auch immer bleiben wird.
Innsbruck Gerhard Köbler