Das ADHGB von 1861 als gemeinsames Obligationenrecht in Mitteleuropa,

hg. v. Löhnig, Martin/Wagner, Stephan (= Mitteleuropäisches Zivilrecht 1). Mohr Siebeck, Tübingen 2018. XII, 431 S. Angezeigt von Gerhard Köbler. ZIER 9 (2019) 59. IT

Das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch (http://www.koeblergerhard.de/­Fontes/AllgemeinesDeutschesHandelsgesetzbuch1861.htm) ist das auf Grund des Vorbilds des französischen Code de commerce (1808) nach Scheitern eines 1848 auf Anregung der deutschen Nationalversammlung (Frankfurter Paulskirchenversammlung) eingesetzten Gesetzgebungsausschusses seit 1856 von einer Kommission des Deutschen Bundes vorbe­reitete, nach preußischer Vorlage (1850-1856) und österreichischen Vorlagen (1842, 1853, 1857) 1861 in dem so genannten Nürnberger Entwurf entstandene Handelsgesetzbuch, das die Mitgliedstaaten des Deutschen Bundes auf Empfehlung der Bundesversammlung von dem 31. 5. 1861 durch übereinstimmende Einzelstaatsgesetze (u. a. Preußen 1. 3. 1862, Österreich 1. 7. 1863 Allgemeines Handelsgesetz­buch, Anlage zu dem Gesetz 17. 12. 1862 RGBl. 1863, 1, [ohne Seerecht] in Geltung bis 23. 12. 1938, Württemberg 15. 12. 1865, Schaumburg-Lippe 1. 1. 1870) ab 1862 als allgemeines deutsches Recht in Kraft setzen. An seine Stelle tritt in dem Deutschen Reich 1897 das Handelsgesetzbuch („Österreich“ 24. 12. 1938). Nach dem Vorwort des vorliegenden interessanten Werkes trafen sich in Regensburg in dem März 2016 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus ganz Mitteleuropa, um das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch von 1861 erstmals in einer supranationalen Dimension zu betrachten.

 

Das vorliegende, von den beiden 1971 geborenen, 2006 und 2016 habilitierten, in Regensburg tätigen Herausgebern geschaffene, in Bezug auf  zugesagte Beiträge zu dem Handelsgesetz für Bosnien und die Herzegowina von 1883 und zu der Entwicklung in Ungarn nach 1920 leider unvollständig gebliebene Werk umfasst nach dem Vorwort, Abkürzungen, einem Grußwort der Staatsministerin Bayerns für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie Ilse Aigner und einer Einführung Stephan Wagners insgesamt vierzehn Beiträge. Sie beginnen mit einer Entstehungsgeschichte der Art. 4-5, 10-11 und 271-277 ADHGB. Sie enden mit einem Ausblick Martin Löhnigs und einer umfangreichen Synopse Stephan Wagners.

 

Untersucht werden dabei nacheinander Deutscher Bund, Norddeutscher Bund und Deutsches Reich, Österreich-Ungarn (1867-1918) in Bezug auf Cisleithanien und Transleithanien (mit einem die genannte Lücke teilweise schließenden Ausblick auf die Zeit nach 1918), Bosnien-Herzegowina (1878-1918) (Kondominium), die Republik Österreich (1918-1938), die Tschechoslowakische Republik 1918-1938, die Republik Polen (1918-1939), das Königreich Jugoslawien (1918-1941), das Königreich  Rumänien (1881-1947), das Königreich Italien (Kingdom of Italy) (1861-1946) und die Eidgenossenschaft der Schweiz. Auf diesen vielfältigen Grundlagen stellt Martin Löhnig so wichtige Fragen wie beispielsweise „wie weit reichte der Anwendungsbereich des A(D)HGB insbesondere in der Zwischenkriegszeit in dem Verhältnis zu dem allgemeinen Zivilrecht wirklich“ und weist selbst überzeugend auf die für die Beantwortung erforderliche transnationale Rekonstruktion von Vorgängen wechselseitiger Aneignung, Anpassung, schöpferischer Nachahmung und Abwandlung in einem Netzwerk hochspezialisierter Akteure hin. Die dafür hilfreiche Synopse Stephan Wagners möchte über Sprachgrenzen hinweg den Bestand an Normen darstellen, die für den Verkehr in Mitteleuropa maßgeblich waren und somit den Kernbestand eines gemeinsamen Obligationenrechts bildeten (Kaufmann, Handelsgeschäft, allgemeine Bestimmungen für Handelsgeschäfte [Auslegung, Maßstab der Sorgfaltspflicht, Vertragsstrafe, Zinsen, gutgläubiger Fahrniserwerb], Abschließung, Erfüllung, Kauf), so dass auf der Grundlage des wertvollen Bandes der bislang beste gegenwärtige Überblick über das seinerzeit den Geschäftsverkehr in Mitteleuropa bestimmende und die Funktion eines gemeinsamen Obligationenrechts übernehmende, aber in der Folge zweifelsohne noch verbesserungsfähige Recht geboten wird.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler