Benedict, Jörg, Culpa in Contrahendo –
Die Interessen von Menschen sind vielfach gegensätzlich und der Gewinn des einen kann deshalb oft für einen anderen einen Verlust bedeuten. Die Entscheidung darüber, ob der eine einen angestrebten Vorteil behalten darf oder herausgeben muss und der andere einen erlittenen Nachteil tragen muss oder abwälzen darf, ist meist so streitig, dass sich die Beteiligten darüber nicht einigen können und deshalb ein Dritter ein von den Wünschen der Parteien losgelöstes Urteil zu treffen hat. Sie kann sich in dem Verlauf der Geschichte auch entsprechend der unterschiedlichen Wertung und Gewichtung der Interessen ändern, so dass ein zunächst unbekannter Rechtssatz neu gebildet oder ein ursprünglich anerkannter Rechtssatz auf Grund abweichender Wertung aufgegeben werden kann.
Mit dieser Problematik in einem besonders bekannten Gegenstandsbereich beschäftigt sich das nunmehr in seinem ersten Bande vorliegende gewichtige, dem Andenken Rudolf von Jherings (1818-2018) gewidmete und mit einem Bild Jherings in Wien veranschaulichte Werk des in Rostock 1966 geborenen, seit 1991 in Rechtswissenschaft, Philosophie und Soziologie in Rostock und Greifswald ausgebildeten, seit 1997 als wissenschaftlicher Assistent Reinhard Singers wirkenden, 1999 mit einer Dissertation über die Entmythologisierung der Zugangsproblematik mittels eines Plädoyers für eine Rückkehr zu dem Systemdenken promovierten, 2007 mit der vorliegenden Schrift in Berlin habilitierten und als Vertretungsprofessor in Rostock angestellten und 2010 zu einem Professor ernannten Verfassers. Es gliedert sich nach einer Einleitung in drei Kapitel. Sie betreffen die Suche nach Wissenschaft zwischen Rechtsgefühl und Dogmatik, die Suche nach Entdeckungen während der Geltung des Bürgerlichen Gesetzbuchs zwischen 1900 und 2000 sowie das Ende oder die Kontinuität der Geschichte in der Form des fraglichen Abschieds von dem Bürgerlichen Gesetzbuch.
Auf der Grundlage eines umfangreichen, die Seiten von 745 bis 805 einnehmenden Literaturverzeichnisses durchmisst der Verfasser eigenständig und einfallsreich 140 Jahre Geschichte des von Rudolf von Jhering vorgeschlagenen Einstehens für Verschulden bei einem Vertragsschluss, mit dessen Hilfe ein Geschädigter von seinem Schädiger Ersatz bei Verletzung verschiedener Verhaltenspflichten verlangen kann. In dieser Zeit ist aus einer einzelnen Überlegung eines romanistischen Gelehrten ein nicht mehr überschaubares Rechtsinstitut geworden. Dem Verfasser gelingt dabei durch Verwendung vielfältiger Perspektiven eine eindrucksvolle Gesamtschau der gesamten Entwicklung von den Rechtskundigen des römischen Altertums bis zu der dogmatischen Gegenwart, in der Vertrauen in dem Rechtsverkehr grundsätzliche Bedeutung erlangt hat und die Einzelfallgerechtigkeit wegen der Unvergleichlichkeit des Einzelfalls Ungleichbehandlung ausschließt – möge dem beeindruckenden ersten und neun Jahre gereiften historisch-kritischen Teil rasch ein zweiter gleichwertiger ausfüllender Teil folgen.
Innsbruck Gerhard Köbler