Krüll, Nadja, Die nationalsozialistische Disziplinaramnestie des Jahres 1933
Der Mensch ist als individuelles Wesen grundsätzlich an der Durchsetzung seiner eigenen Vorstellungen interessiert und bekämpft bei naheliegenden Gegensätzen die jeweils anderen Interessen durch ihm jeweils geeignet erscheinende Maßnahmen. Diese können seit der Entwicklung des Rechtes auch darin bestehen, dass Gegnern rechtlich begründete Nachteile zugefügt und Sympathisanten rechtlich begründete Vorteile gewährt werden. In Einzelfällen können jene in Disziplinarmaßnahmen und diese in Amnestien und Wiedergutmachungen bestehen.
Mit einem einzelnen Sonderfall dieser Problematik beschäftigt sich die vorliegende, von Rudolf Meyer-Pritzl betreute und von der juristischen Fakultät der Universität Kiel angenommene Dissertation der 1987 geborenen, in Kiel und Essex in der Rechtswissenschaft und in Frankfurt am Main in der Bibliothekswissenschaft ausgebildeten, seit 2016 als Leiterin der rechtswissenschaftlichen Zweigbibliothek der Humboldt-Universität in Berlin tätigen Verfasserin. Sie ist nach einer kurzen Einführung über den Gegenstand der Arbeit sowie die Quellenlage und den Forschungsstand in sechs Teile gegliedert. Diese betreffen den Beamten in dem nationalsozialistischen Staat, Amnestien in dem Nationalsozialismus, die Systematik und Rechtswirklichkeit des Disziplinarrechts vor 1933, die rechtsdogmatische und rechtspolitische Analyse der Disziplinaramnestie, die Anwendung in der Praxis und in vier Thesen Schlussfolgerungen.
Ausgangspunkt ist das Gesetz über die Aufhebung der im Kampf für die nationale Erhebung erlittenen Dienststrafen und sonstigen Maßregelungen von dem 23. Juni 1933. Von den vier Fallgruppen betrifft die erste Hans Schemm, Rudolf Caspary, Werner Best, Karl Pflaumer, Reinhold Seitz, Herbert Karl Oskar Kraft, Albert Kunkel, Eugen Rauser, W. H., G. G., J. S., K. B., K. S., E. B., V. G., O. B., A. T., E. R., O. S., Oskar Zschake-Papsdorf, P- L. und K. M., die zweite 54 entlassene Mitglieder des Stahlhelm, die dritte mehr als zwanzig Beamte der Hamburger Ordnungspolizei und die vierte Julius Streicher, Karl Fiehler, Josef Bauer, Wilhelm Frick, Johann Baptist Fuchs, Josef Gerum, Karl Escherich, Wilhelm Christian von Grolman, Otto Karl Gümbel, Rudol Kummer, Gerhard von Prosch, Arthur Rödl, Georg Schneider, Franz Xaver Schwarz, Friedrich Weber, Joseph „Sepp“ Dietrich und Karl Georg Maximilian Schweinle als Teilnehmer an dem so genannten Hitlerputsch. Insgesamt ordnet die Verfasserin das in ihrer detaillierten Analyse sechzig Amnestierungen betreffende Gesetz überzeugend als eine einseitige parteiische Zweckamnestie ein, wie sie nur unter einem den Gleichheitsgrundsatz bekämpfenden und keine gesamtgesellschaftliche Befriedungsabsicht verfolgenden politischen System möglich war.
Innsbruck Gerhard Köbler