Baldauf, Dieter, Die Folter

. Eine deutsche Rechtsgeschichte. Böhlau, Köln 2004. 235 S., 24 Abb. Besprochen von Harald Maihold.

Baldauf, Dieter, Die Folter. Eine deutsche Rechtsgeschichte. Böhlau, Köln 2004. 235 S., 24 Abb.

 

Dieter Baldauf, Rechtsdezernent a. D. aus Regensburg, hat ein Buch über die Geschichte der Folter vorgelegt. Nach einer Einführung (S. 11ff.), die den Folterbegriff als Beweismittel des Strafverfahrensrechts deklariert, stellt der Autor einige exemplarische Folterfälle aus Regensburg voran (S. 17ff.), wobei die Folter in der Judenverfolgung der 1470er Jahre einen überproportionalen Raum einnimmt. In weiteren Abschnitten geht es dann um die Entstehung und Verbreitung der Folter in Deutschland (S. 43ff.; die Vorgeschichte im römischen Recht wird leider weggelassen), um den Einfluss der Carolina (S. 83ff.) auf die Folterpraxis in der frühen Neuzeit (S. 107ff.) und speziell in den Hexenprozessen (S. 135). Nach einer knappen Darstellung der verschiedenen Foltergrade und Folterinstrumente, die Baldauf angesichts der Unsicherheit über die Seriosität bildlicher Darstellungen auf Flugblättern etc. auf die in der Theresiana beschriebenen beschränkt (S. 163ff.), widmet sich der Autor eingehend der Abschaffungsdiskussion (S. 179ff.), wo er auch auf die Rolle Goethes in einem Weimarer Prozess eingeht (S. 203ff.). Zum Schluss weist Baldauf darauf hin, dass die Folter zwar nicht als Mittel des Rechts, wohl aber faktisch vierlerorts noch immer oder wieder in Gebrauch ist. Er nennt als Beispiele Khomenei, Pinochet und besonders die Türkei (S. 14, 219f.) und lässt sich diesbezüglich zu einem ebenso engagierten wie plakativen Schluss hinreißen, während man doch angesichts der jüngsten Ereignisse auch eine Erwähnung der Folter durch Amerikaner im Irak sowie der neueren deutschen Folterdiskussion erwartet hätte, die ja sogar einen rechtlichen Gebrauch der Tortur zu präventiven Zwecken wieder denkbar erscheinen lässt![1]

 

Besonders in den ersten Abschnitten schiebt Baldauf immer wieder längere Exkurse ein, die nicht unmittelbar mit der Folter zu tun haben, aber dem rechtshistorischen Laien die Grundlage für das Verständnis der Folter liefern (zu dieser Zielsetzung ausdrücklich S. 15): Ohne die Darstellung der Judenpolitik in Regensburg, die Rezeption des römischen Rechts, die Herausbildung des Inquisitionsprozesses, die Kriminalitätsentwicklung in der frühen Neuzeit („landschädliche Leute“), die Entstehungsgeschichte der Carolina, den Hexenwahn und die Hexenverfolgung blieben die Ausführungen zur Folter vermutlich für den Laien unverständlich. Baldauf stellt die Folter in einen größeren Zusammenhang und streicht mehrfach ihre Bedeutung für ein starres Beweisrecht heraus, das die freie richterliche Beweiswürdigung noch nicht kannte.

 

Die Folter wird im Wesentlichen als Gegenstand der Rechtspraxis und Gesetzgebung dargestellt. Der theoretische Bezugsrahmen, insbesondere in der deutschen Strafrechtswissenschaft, wird anfangs nur angedeutet und mit Benedikt Carpzov der wichtigste Vertreter dargestellt. Baldauf weist darauf hin, dass zwischen 1532 und 1793 23 Gesamtkommentierungen erschienen, geht aber auf keinen dieser Kommentare ein, was deutlich macht, dass hier noch einiges an Forschung zu leisten ist. Das Bild ändert sich erst im Abschnitt über die Abschaffung der Folter, wo sich Baldauf ganz auf die neuere Untersuchung  Mathias Schmoeckels[2] zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Folter im 16. und 17. Jahrhundert stützen konnte.

 

Angesichts der Fülle an Folterdarstellungen auf dem Buchmarkt erscheint die Frage nicht unberechtigt, ob wir überhaupt noch dieses Buch zur Folter brauchten. Was Dieter Baldauf mit seinem Buch „Die Folter. Eine deutsche Rechtsgeschichte“ vorlegt, ist weder eine quellengestützte Untersuchung[3] noch eine, die die Forschung lückenlos aufbereitet: Baldaufs Literaturverzeichnis umfasst, rein quantitativ betrachtet, nur etwa ein Drittel der Menge, die in dem von Wolfgang Schild verfassten Folterband des Rothenburger Kriminalmuseums[4] genannt wird. Auch der im gleichen Verlag erschienene Sammelband „Das Quälen des Körpers“,[5] der interessante Aspekte zur metaphysischen Legitimation der Folter enthält, wurde nicht berücksichtigt. Das Buch Baldaufs wird deshalb dem rechtshistorischen Fachmann kaum neue Erkenntnisse bringen. Indem Baldauf aber die wichtigsten rechtshistorischen Untersuchungen zur Folter aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, darunter auch nicht leicht zugängliche ältere Publikationen und weitere, ihrerseits zusammenfassende Darstellungen zu Grunde legt, wird sein Buch zu einer Synthese der Folterforschung eines halben Jahrhunderts. Und was Baldauf meisterhaft versteht, ist die Vermittlung dieser über fünfzigjährigen Forschung an ein Laienpublikum. Mit Gespür für das Wesentliche wählt er Exemplarisches aus und stellt es in einen größeren Zusammenhang. Er weiß auch, wo er mit Exkursen in die Tiefe gehen muss, damit die Entwicklung der Folter insgesamt auch dem rechtshistorisch unbewanderten Leser (oder dem Anfänger) verständlich wird. So hat der Untertitel seine Berechtigung: Das Buch stellt praktisch die deutsche Rechtsgeschichte vom 13. bis ins 19. Jahrhundert unter dem Aspekt der Folter dar, und das in einem außerordentlich lebendigen Stil. Angesichts der Fülle wissenschaftlich ungenügender Darstellungen zum Thema ist dieses Buch, eine „Volksaufklärung im besten Sinne“ (so Dietmar Willoweit, zitiert auf dem Schutzumschlag), keineswegs überflüssig.

 

Basel                                                                                                             Harald Maihold

[1] Nachweise dazu bei Harald Maihold, Folterknechte im Dienste des Rechtsstaats? Die Präventivfolter vor dem Forum des Strafrechts, in: Humboldt-Forum Recht (HFR) 11-2004 (http://www.humboldt-forum-recht.de).

[2] Mathias Schmoeckel, Humanität und Staatsräson. Die Abschaffung der Folter in Europa und die Entwicklung des gemeinen Strafprozess- und Beweisrechts seit dem hohen Mittelalter, Köln 2000.

[3] Auch die Chronik Carl Theodor Gemeiners aus den Jahren 1800 bis 1824 behandelt er ganz als Sekundärquelle, ohne die Angaben mit den noch vorhandenen Archivalien abzugleichen.

[4] Wolfgang Schild, „Von peinlicher Frag“. Die Folter als rechtliches Beweisverfahren, Rothenburg o.d.T. o.J.

[5] Peter Burschel, Götz Distelrath, Sv en Lembke (Hrsg.), Das Quälen des Körpers. Eine historische Anthropologie der Folter, Köln 2000.