Dilcher, Gerhard, Die Germanisten und die historische Rechtsschule.
Germanistik ist die (Germanen und) Deutsche betreffende Wissenschaft in Recht (, Sprache und Geschichte) in Gegensatz etwa zu Recht fremder Herkunft (oder zu fremden Sprachen). Als Wissenschaft des einheimischen deutschen Rechtes wird sie Hermann Conring folgend 1699 von Christian Thomasius in seinem Summarischen Entwurf derer Grundlehren gefasst, wobei bis etwa 1750 die protestantischen Universitäten (z. B. Halle, Göttingen, Erlangen), danach auch die katholischen folgen und. 1741 anscheinend erstmals von Germanistik geschrieben wird. Wichtigste Inhalte sind deutsches Privatrecht (bis etwa 1970), partikulares einheimisches Recht (bis etwa 1918) und Handelsrecht und Wechselrecht (1847 bzw. 1861 durch gesetzliche Regelungen verselbständigt), germanistische Juristen (nach Conring und Thomasius) etwa Beyer, Kestner, Senckenberg, Heineccius, Pütter, Selchow, Grimm, Eichhorn. Heise, Reyscher, Beseler, Mittermaier, Schmidt, Sohm, Gerber, Eugen Huber oder Gierke, nach denen der Gegensatz zu den Romanisten infolge der Schaffung des Bürgerlichen Gesetzbuchs des Deutschen Reiches zu dem 1. Januar 1900 trotz Fortbesehens getrennter Fächer allmählich eingeebnet und unter Germanistik hauptsächlich Sprachwissenschaft verstanden wird.
Gerhard Dilcher ist zwar beispielsweise durch seine Dissertation auch sprachwissenschaftlich bestens ausgewiesen, hat sich seitdem aber naturgemäß als juristischer Germanist hauptsächlich um die juristische Germanistik verdient gemacht und in rund fünfzig Jahren zahlreiche Aufsätze zur Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft des 18. bis 20. Jahrhunderts und zu damit verbundenen verfassungsgeschichtlichen Themen erarbeitet, die aus unterschiedlichen Anlässen gewonnen wurden. Um den gleichwohl bestehenden inneren Zusammenhang der thematischen Ansätze und Linien, die sich durch die einzelnen Untersuchungen ziehen, sich selbst und der Allgemeinheit deutlich zu machen, hat er zur Einführung einen Originalbeitrag über bürgerliche Wissenschaft zwischen Romantik, Realismus und Rationalisierung verfasst. Er legt jedermann das Werden und seine Gründe sowie die wichtigsten Weggefährten und Orientierungsmarken des eindrucksvollen Gesamtwerks offen.
Insgesamt umfasst der daraus entstandene, früheren Sammelwerken über die mittelalterliche Stadtkommune (1996) und zu den mittelalterlichen normativen Ordnungen zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit (2008) folgende, durch die Paulskirche in Frankfurt am Main veranschaulichte Sammelband 18 interessante und weiterführende Studien. Nach der umfangreichen Einführung betreffen sie die spannungsreiche Gemengelage zwischen Recht und Geschichte, Politik und Verfassung im Vormärz, die theoretische Reflexion gesellschaftlichen und politischen Wandels, Gierkes Genossenschaftsbegriff als Bindeglied zwischen historischem Verstehen und sozialpolitischer Gestaltung und die Wirkungsgeschichte in das zwanzigste Jahrhundert mit Max Weber, Otto von Gierke, Franz Wieacker und Harold (Joseph) Berman als wichtigsten Kristallisationspunkten. Möge dem durch ein Personenregister von Abaelard bis Wolff und ein Autorenregister von Albert bis Zweigert abgerundeten, durch Thomas Duve in die Studien des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte aufgenommenen, von der Gerda Henkel Stiftung geförderten vielfältigen Werk größtmögliche Wirkung beschieden sein.
Innsbruck Gerhard Köbler