Jakobs, Horst Heinrich, Hugolinusglossen im accursischen Apparat zum Digestum vetus

(= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 307). Klostermann, Frankfurt am Main 2017. XIII, 460 S. Angezeigt von Gerhard Köbler. ZIER 9 (2019) 33. IT

Das von römischen Rechtskundigen auf der Grundlage des Zwölftafelgesetzes der Jahre 451/450 v. Chr. mittels Auslegung geschaffene Recht hat vor allem infolge der nicht wirklich zu erwartenden, handschriftlich aufbewahrten Rechtsrestauration Kaiser Justinians von 527 bis 534 den drohenden Untergang überlebt. Dass sich ihm in Italien seit wohl dem Beginn des 12. Jahrhunderts nochmals Interessierte zuwendeten und erneut handschriftlich erstmals eine europäische Rechtswissenschaft begründeten, war in ähnlicher Weise nicht vorhersehbar. Dass sich dann noch in dem 21. Jahrhundert ein Gelehrter findet, der sich jahrzehntelang den Glossen eines hochmittelalterlichen Juristen in einem Apparat zu dem Digestum vetus unter dem Motto parvis quoque rebus magna iuvari mit äußerster Akribie widmet, grenzt nahezu an ein gleichwertiges Wunder.

 

Es ist dem 1934 geborenen, in Bonn 1963 mit einer Dissertation über Eingriffserwerb und Vermögensverschiebung in der Lehre von der ungerechtfertigten Bereicherung promovierten, 1968 habilitierten, 1971 nach Bochum berufenen, 1974 nach Bonn zurückberufenen und dort emeritierten Verfasser zu verdanken. Nach dem Vorwort hat sich die diesbezügliche Untersuchung über mehr als ein Jahrzehnt hingezogen, weil die dafür erforderlichen vielen Handschriften nicht zu dem Bearbeiter kommen können, sondern von ihm vor Ort aufgesucht werden müssen, und weil immer wieder Zweifel aufkam, ob die auf einzelne Stücke eines immensen Ganzen angelegte Arbeit zu einem die bereits vorhandene Kenntnis der Geschichte des römischen Rechtes in dem Mittelalter erweiternden und vertiefenden Ergebnis gebracht werden kann. Selbst wenn der Verfasser vielleicht für sich selbst diesen Zweifel nicht überwunden hat, hat er durch das vorliegende Buch objektiv seine Grundlage verloren.

 

Gegliedert ist die beeindruckende Leistung in drei Teile. Sie betreffen eine Einleitung über den Ansatz zu dieser Untersuchung und deren Quellen im Allgemeinen, die Quellen im Einzelnen und deren sorgfältige und vorsichtige weiterführende Interpretation und als Ergebnis die Leistung des Accursius. Nach den überzeugenden Ausführungen des Verfassers ist der accursische Glossenapparat, der Glossen des von 1197 bis 1233 bezeugten Hugolino, eines Schülers des Johannes Bassianus aus Bologna, verwertet, eine gewaltige, bewundernswerte, das Herzstück der vorangehenden Leistungen bewahrende Leistung.

 

Nach dem Verfasser ist die Glossa ordinaria ein mit Zutaten des Accursius versehenes Kompositum aus den Apparaten Azos und Hugolinos, in welcher der azonische Apparat unter Zuhilfenahme des hugolinischen Apparats ausgebessert und durch die accursischen Zusätze zugänglicher gemacht ist. Die daraus folgende Frage nach der Notwendigkeit und Nützlichkeit eines Corpus glossarum verneint der Verfasser entschieden, weil es neben allen anderen Gründen von der Glosse nicht das eine Exemplar gibt, von dem alle anderen abstammen.  Anders als die Digesten kann nach dem Verfasser ein Corpus glossarum den dafür nötigen Besten nicht finden.

 

Für den Verfasser war Accursius ein Mann von schier unerschöpflicher Arbeitskraft, von umfassender Detailkenntnis aller libri legales, von ungewöhnlichem Ordnungssinn und fast untrüglichem Urteilsvermögen. Er war kein Plagiator, weil Redaktion kein Plagiat ist. Er war Redaktor vor allem der Glossen in den Apparaten Azos und Hugolinos und er har sein Vorhaben mit größtem Geschick verwirklicht, wenn nach dem Verfasser Accursius seine immense Aufgabe nur mit nicht geringer Hemmungslosigkeit verwirklichen konnte.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler