Rother, Rainer, Zeitbilder. Filme des Nationalsozialismus.

Bertz und Fischer Berlin 2019. 262 S. Abb. Besprochen von Albrecht Götz von Olenhusen. ZIER 9 (2019) 73. IT

Der nationalsozialistische Film als unzweifelhaft deutsches, ideologisch unanfechtbares Produkt war nach 1933 das Ziel der primär vom „Filmminister“ Goebbels betriebenen und bestimmten Filmpolitik. Rainer Rother, als Filmwissenschaftler Direktor der Berliner Deutschen Kinemathek, durch eine Reihe von bedeutenden Arbeiten zum Weimarer Kino, zum Ufa-Konzern als Geschichte einer Marke oder zu den Filmen von Leni Riefenstahl ausgewiesen, konzentriert sich auf maßgebliche und differente Exempel des NS-Films. Dabei werden die Konzepte und Konturen eines „filmischen“ Films im Nationalsozialismus, die penible Suche nach dessen auf profitabler Eigenständigkeit nach Inhalten und Formen, die Neuorientierung als „Zeitfilm“ und die Rezeption auf Filmfestivals in Venedig oder in den zeitgenössischen Filmzeitschriften in den analytischen Blick genommen.

 

Der schnelle Zugriff auf das vor allem propagandistisch wichtige Medium etwa durch die rapide geschaffenen Gesetze über die Reichsfilm- und die Reichskulturkammer, die hoch erwünschte Gründung der Filmkreditbank und die ständig und unaufhaltsam fortschreitende Verstaatlichung der Filmindustrie bis hin zur UFI im Jahre 1942 präsentiert sich in den starren ideologischen Voraussetzungen wie in der dennoch zuweilen flexibleren Handhabung. Die Filmindustrie wird mit ihrer staatlichen Monopolisierung, den zahlreichen krassen bis zur brutalen Realisierung reichenden Mitteln des Systems der intensiven Kontrolle, eingreifenden Zensur bis hin zum Verbot an den Forderungen der politischen Entwicklung orientiert.

 

Rother zeigt die sichtbaren Wandlungen, die vielfältigen Momente der Umgestaltung des Filmwesens, organisatorisch, rechtlich, inhaltlich am dynamischen NS-Interesse mit einem „extremen Interventionswahn“ (Felix Moeller) ausgerichtet, vor allem für die Jahre 1933 bis 1941 in eindrucksvoller Art und Weise auf.

 

 Mit den prägnanten Stichworten weltanschauliche Homogenisierung, ökonomisch-rechtlich-organisatorische Konzentration und weitgehende totalitäre Kontrolle lassen sich die Charakteristika der Entwicklung benennen. Sie ist aufs engste verbunden mit der sogleich nach der Machtergreifung einsetzenden Entrechtung, Ausgrenzung und Verfolgung der jüdischen und der politisch missliebigen Filmkünstler. Dass die Defizite der Filmindustrie mit dem selbstproduzierten Mangel an erfahrenem und hochbegabtem Personal zusammenhingen, wollte freilich niemand zugeben.

 

 Laut Goebbels sollte der deutsche Film mit „völkischen Konturen“ zur Weltmacht erstarkt die Welt so erobern, wie sich Hitler die Ausweitung der politischen Macht in Europa vorstellte. Inhaltlich wollte sich der „urdeutsch“ konzipierte Film vom amerikanischen, russischen, und französischen Film deutlich unterscheiden, aber zugleich die bisherige Vormachtstellung der genialen Vorbilder mit größenwahnsinnigem Anspruch überwinden. Die Abwendung vom experimentellen, vom individualistischen oder realistischen Stil und Inhalt und die Hinwendung zu einer in ihren Anlagen und Gestaltungen kontrollierten Traumfabrik mit Unterhaltungs- oder Ablenkungszielen, sichtbar in den rund 1100 Spielfilmen, aber auch und vor allem im Kulturfilm, vollzog sich innerhalb weniger Jahre in einem Staatskonzern, in dem sich Vorzensur und Nachzensur und totale Überwachung diktatorisch und am stets gern herbeizitierten „Führerprinzip“ ausgerichtet durchsetzen ließen.

 

Dabei blieben zwar gewisse Spielräume, auch im Kontext des opulenten Starsystems der edlen Schauspieler-Genies erhalten, die sich der offiziellen oder offiziösen Gunst der Herrschenden erfreuen durften und dies für sich und ihr Fortkommen zu nutzen wussten. Und man wird, wiewohl das in diesem Werk eher implizit lesbar ist, die korruptiven Elemente im Gesamtsystem nicht übersehen dürfen. Gleichwohl ist Rothers Fazit, hier habe sich eine politisch aufgeladene spezielle Kulturindustrie, mit einer gewissen Eigendynamik versetzt, entwickelt, sehr zutreffend. Er sieht ein wesentliches Merkmal auch in der Überformung der Genres und in der Neuformatierung im NS-Sinne.

 

Die einzelnen Kapitel greifen auf bereits veröffentlichte Studien zurück, die unter bestimmten Kategorien angeordnet, überarbeitet und auf den neuesten Stand gebracht worden sind. Zu den Themen, die hier herausgegriffen werden, gehörten etwa die Versuche, einen deutschen, an der NS-Ideologie orientierten „Potemkin-Film“ zu kreieren, den Ersten Weltkrieg im passenden politischen Sinne neu zu inszenieren, sich bei internationalen Festivals gegen die ausländische Konkurrenz mit allen Mitteln zu profilieren, mit aktuellen Zeitfilmen und verfälschenden und beschönigenden Kriegswochenschauen den Film für den Zweiten Weltkrieg zu mobilisieren und ,etwa mit dem schändlichen rassistisch-antisemitischen Film „Jud Süss“, scheinbar als bloßer, fast unverdächtig daherkommender Unterhaltungsfilm drapiert, den veränderten Ansprüchen der gefährlichen Kriegslage und der immer weiter radikalisierten, auf tödliche Ausmerzung gerichteten antisemitischen Politik innenpolitisch und außenpolitisch zu entsprechen.

 

Rother präsentiert in diesem Kontext unter dem Motto, dass es der „Führung“ um historischen Mythos ging, das Bild von Bismarck im Spielfilm. Die Formate reichen von traditionellen Unterhaltungsfilmen und billigen bis eleganteren Komödien bis hin zu ideologisch überfrachteten Zeitfilmen, heldischen Reportagen und tendenziell geschickt aufgemachten historischen Filmen. Dass der NS-Film trotz aller seiner Spezifika jährlich auf mehr als eine Milliarde Kinobesucher zählen konnte, ist ein Phänomen von Kassenschlagern, das Rother, mit der filmischen Gestaltung, den politischen Umständen und der Tatsache geschuldet sieht, dass Filmpropaganda, Filmästhetik und Produktion gewissen Momenten folgten, als „systemische Konsequenz“ sieht (S. 228). Veit Harlans Jud Süss ist insofern nur ein freilich besonders abstoßendes Beispiel für die perfideste Herstellung von Feindbildern.

 

Es lassen sich zahlreiche Namen von ideologisch anpassungsfähigen, willfährigen oder vom Regime überzeugten Regisseuren, unter ihnen etwa Gustav Ucicky, Viktor Tourjansky oder Wolfgang Liebeneiner nennen. Und mit ihnen waren auch immer die großen Stars, die auch nach 1945 weiter ihre Triumphe feiern durften und die in der Mehrzahl das „verruchte Erbe“ (Karste Witte) als ihnen doch nur aufgenötigt beschönigten, bereitwillig mit von der hoch bezahlten Partie.

 

Es bietet sich, so wie Rainer Rother das vielschichtige, bei aller Konformität doch auch ästhetisch vielfarbige filmkünstlerische Bild vorstellt, eine heute etwas anders als früher zu gewichtende und zu bewertende Landschaft dar, die von einer Mischung aus erfolgreichen politisch imprägnierten Pamphleten und perfider direkter oder untergründig wirkender primitiver bis subtiler Propaganda geprägt ist.

 

Wie es dazu kam, wie sie sich im feinsten Detail darstellte und welche unselige Traditionen oder inhärente bis neue Weltbilder sie bediente und schuf, das ist dieser glänzend belegten und souverän geschriebenen Abhandlung über Produktionen und Personal abzulesen, die durch ein vorzügliches Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein Bildregister und ein Namensregister vervollständigt wird.

 

Düsseldorf                                                     Albrecht Götz von Olenhusen