Richardi, Reinhard, Arbeitsrecht im Wandel der Zeit –

Chronik des deutschen Arbeitsrechts. Beck, München 2019. XI, 194 S. Angezeigt von Gerhard Köbler. ZIER 9 (2019) 09. IT

Soweit sich das Leben des Menschen geschichtlich zurückverfolgen lässt, ist es seit dem legendären Verlust des Paradieses von der Mühe und Arbeit der Selbsterhaltung geprägt gewesen, weil der Mensch ohne Suche nach Nahrung nicht überleben kann. Gleichwohl ist der Begriff des Arbeitsrechts als Bezeichnung für ein selbständiges Rechtsgebiet erst nach dem ersten Weltkrieg in die Rechtswissenschaft eingeführt worden. Wie der Verfasser sachkundig darlegt, verwandte ihn die Reichsverfassung der Republik von Weimar, als sie dem Reich in Art. 7 Nr. 9 die konkurrierende Gesetzgebung über das Arbeitsrecht, die Versicherung und den Schutz der Arbeiter und Angestellten sowie den Arbeitsnachweis zuwies und in Art. 157 II ankündigte: Das Reich schafft ein einheitliches Arbeitsrecht.

 

Das Arbeitsrecht in dem Wandel der Zeit ist der Gegenstand des von Hans Dieter Beck angeregten und von dem in Berlin 1937 geborenen, in Berlin und München in der Rechtswissenschaft ausgebildeten, 1960 bei Alfred Hueck mit einer Dissertation über das Verwaltungsrecht des Testamentsvollstreckers an der Mitgliedschaft in einer Personenhandelsgesellschaft promovierten und bei Rolf Dietz 1967 auf Grund einer Schrift über Kollektivgewalt und Individualwille bei der Gestaltung des Arbeitsverhältnisses für bürgerliches Recht, Handelsrecht, Wirtschaftsrecht und Arbeitsrecht habilitierten, seit 1968 in Regensburg wirkenden, Rufe nach Berlin, Göttingen und Heidelberg ablehnenden, 2005 emeritierten Verfasser klar und knapp ausgeführten Werkes. Es geht davon aus, dass man die Prinzipien und Regeln des modernen Arbeitsrechts nur verstehen kann, wenn man den geschichtlichen Hintergrund berücksichtigt, der zu ihrer Ausbildung geführt hat, wobei die Reglementierung durch eine Vielzahl von Gesetzen und Rechtsverordnungen einerseits und das Fehlen einer gesetzlichen Ordnung für Grundprobleme der modernen Arbeitsverfassung andererseits die für die Dogmatik des Arbeitsrechts bestehenden Schwierigkeiten kennzeichnen. Auf dieser Grundlage gliedert der Verfasser seine präzise, auf jahrzehntelange Beschäftigung mit der Materie zurückgehende Darstellung in vier zeitliche Abschnitte.

 

Ausgangspunkt ist die vorindustrielle Arbeitsverfassung vor dem Hintergrund der ständischen Ordnung des Allgemeinen Landrechts Preußens von 1794, nach der Vertragsfreiheit, Industrialisierung, soziale Frage, Arbeiterschutzgesetzgebung und Sozialversicherung eine paritätische Arbeitsverfassung mit Gewerkschaften, Tarifverträgen und Arbeiterausschüssen ermöglichten, so dass sich allmählich ein selbständiges Rechtsgebiet Arbeitsrecht entwickeln ließ, das in verhältnismäßigen Gegensatz zu dem allgemeinen Privatrecht treten konnte. In dem Anschluss hieran betrachtet der Verfasser die Zwischenkriegszeit mit dem Stinnes-Legien Abkommen, der Reichsverfassung und den Betriebsräten einerseits und dem Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit von dem 20. Januar 1934 als Grundlage der nationalsozialistischen Arbeitsverfassung und dem Kriegsarbeitsrecht andererseits. Der dritte Abschnitt betrifft die Nachkriegszeit mit der Teilung Deutschlands und der Wiederherstellung einer freiheitlichen Arbeitsrechtsordnung in den Westzonen und dem Richter bzw. dem Bundesarbeitsgericht als Herren des Arbeitsrechts in der Bundesrepublik Deutschland, der vierte Abschnitt die Herstellung der Einheit Deutschlands in dem Arbeitsrecht mit dem abredewidrigen Verzicht auf eine Kodifikation des Arbeitsrechts.

 

Wie in der Zeit der beiden deutschen Staaten Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik blieb der Richter auch danach Herr des Arbeitsrechts, selbst wenn auf eine Initiative des Bundesverfassungsgerichts durch Gesetz die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten aufgehoben wurde. Davon abgesehen vermeidet der Gesetzgeber aber möglichst das Betreten des von der Verbandsherrschaft geprägten Terrains, soweit er nicht selbst unter Behauptung sozialer Gerechtigkeit steuerliche Vorteile daraus gewinnen kann. Dementsprechend fehlt, wie der Verfasser in dieser überzeugenden Arbeitsrechtsgeschichte an einzelnen Beispielen verständlich zeigen kann, die politische Kraft für die Schaffung einer sinnvollen, verlässlichen Gesetzesgrundlage für die Ordnung der Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, für die sich die Abhängigkeit des Arbeitnehmers nach dem Verfasser aus dem der Art nach bestimmte Dienstleistungen festlegenden Dienstvertrag ergibt und nicht aus einer vorgegebenen persönlichen Abhängigkeit.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler