Kulturelle Vernetzung in Europa -
Die durch die Verbreitung des Magdeburger Stadtrechts nach Ostmitteleuropa entstandene kulturelle Vernetzung umfasst Städte in etlichen heutigen Ländern wie Polen, Litauen, Lettland, Weißrussland, Ukraine, Russland, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Rumänien. In Verschmelzung mit dem Sachsenspiegel ist das Magdeburger Stadtrecht dabei an örtliche Bedingungen angepasst worden (S. 27). – Ausgangspunkt des Magdeburger Rechts ist ein Privileg für den Fernhandelsmarkt Magdeburg von Erzbischof Wichmann aus dem Jahr 1188, das nur noch als Fotografie überliefert ist (S. 32, Abb. S. 126). Vorbildcharakter erhielten Magdeburgs städtische Ordnung und die Trennung von Stadtregierung und Schöffenstuhl (S. 34). Dessen Tausende von Rechtsauskünften, die in Magdeburg gesammelt, abgeschrieben, übersetzt, weiterentwickelt worden waren, sind Verluste im Dreißigjährigen Krieg; erhalten sind die Rechtsauskünfte und Rechtsweisungen in den Empfängerüberlieferungen in vielen europäischen Archiven und Bibliotheken (S. 35).
Der vorliegende Band enthält Beiträge der 2017 in Vorbereitung der 2019 in Magdeburg eröffneten Ausstellung „Faszination Stadt“ durchgeführten Tagung mit Autoren aus etlichen der genannten Länder. Nach zwei einführenden Beiträgen zum sächsisch-magdeburgischen Recht zwischen Elbe und Dnjepr (H. Lück) und zur Geschichte der Stadt als Wurzel des Rechts (B. Schneidmüller) sind die weiteren Beiträge nach Schwerpunkten geordnet. Bei „Rechtsräume und Rechtstransfer“ geht es um Stadtrechtsfamilien/Rechtsräume (St. Dusil), um Oberhöfe und Schöffenstühle (H. Lück), um Rechtstransfer in den Bereich des Deutschen Ordens (R. Czaja) und ins Königreich Ungarn (K. Gönczi) sowie um den Rechtsverkehr mit dem Magdeburger Schöffenstuhl (W. Carls); bei „Rechtsaneignung und Rechtsbearbeitung“ wird sich befasst mit der schlesisch-kleinpolnischen Fassung des Magdeburger Weichbildrechts (M. Mikuta), mit der Buch’schen Glosse und ihrer Weiterentwicklung in den Zobel’schen Additionen (B. Kannowski), mit der Preußischen Korrektur 1598 auf polnischen Territorium (D. Janicka) wie auch mit Übersetzungspraktiken als Einflussfaktor für den Transfer (M. Lazar); bei „Stadtverfassung“ wird die kommunale Stadtverfassung des Mittelalters als europäisches Modell vorgestellt (G. Dilcher), sich mit dem Ringen um Macht im mittelalterlichen Magdeburg auseinandergesetzt (M. Puhle) wie auch mit der Frage der stadtbürgerlichen Identität im Großfürstentum Litauen (J. Karpaviciené) und Historiografie, Rezeption und Nachleben des Magdeburger Rechts in historischen Ländern der heutigen Ukraine nachgegangen (O. Kozubskka-Andrusiv); als ,„Soziale Gruppen der Stadtgesellschaft“ werden in Lemberg und Krakau Armenier vorgestellt (J. Heyde) und in Städten Kleinpolens Deutsche und Juden in vorindustrieller Zeit (Z. Noga); „Bildung und Schriftkultur“ enthält Beiträge zur Wissenspolitik im Spätmittelalter (M. Kintzinger), zu Stadtbüchern als Anfänge neuer Formen pragmatischer Schriftlichkeit im 13. und 14. Jahrhundert (Chr. Speer) und zu Stadtrecht und Siegelbild im mittelalterlichen Europa und einen Vergleich der Zeugnisse aus Magdeburg, Soissons und London (M. Späth); in „Stadträume“ werden als Varianten städtischer Frühformen in Ostmitteleuropa Prag, Breslau und Krakau vorgestellt (J. Piekalski) und die untergegangene Gründung Alt-Wartenburg (F. Biermann/Chr. Herrmann/A. Koperkiewicz) sowie mit Rathaus, Reiter, Roland und Hirsch Magdeburger Rechtsdenkmäler (C-P. Hasse).
Gestattet sei ein ergänzender Hinweis zur Karte, S. 64 „Rechtsverleihungen in der Soester Stadtrechtsfamilie“: Von Holzminden, dessen Recht wohl auch vom Lippstädter Recht beeinflusst war (in der Karte nicht ausgewiesen), ist eine Linie nach Stadtoldendorf (in der Karte: „Stadt zur Orientierung“) zu ziehen. Die Verleihung des Stadtoldendorfer Stadtrechts mit Bezug zu Holzminden im Jahr 1255 ist in einer Abschrift des 17. Jahrhunderts überliefert (Niedersächsisches Landesarchiv Wolfenbüttel, 2 Alt 7652; s. a Partisch, Hans-Günter, Urkundenbuch der Stadt Stadtoldendorf, Stadtoldendorf 2005, S. 75-85).
Besonders hinzuweisen ist auf die reiche Bebilderung. Mit Gegenwartsbezug sind darunter – neben dem Anfang des 19. Jahrhunderts in Kiew gebauten Denkmal (S. 36) – aktuelle Erinnerungen an die Verleihung des Magdeburger Rechts wie die Denkmäler 2011 in Jurbarkas/Litauen (S. 264) und 2016 in Tertijiw/Ukraine (S. 266) oder die 1999 geprägte Gedenkmünze (S. 277), die an die Übertragung des Magdeburger Rechts an Kiew 500 Jahre zuvor erinnert, und 2018 gedruckte Briefmarken mit Bezug auf die Übertragung des Magdeburger Rechts an Horodenka/Ukraine vor 350 Jahren (S. 278f.) Etliche weitere ukrainische Städte feierten seit den 1990er Jahren die Jahrhunderte zuvor erfolgte Übertragung des Magdeburger Rechts (S. 280), das wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen einleitete und bis zum Beginn des 1840er Jahre galt (S. 23).
Bovenden Gudrun Pischke