Zufall und Wissenschaft. Interdisziplinäre Perspektiven,
Wissen möchte der Menschen neben vielem anderem auch, ob an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit die Sonne scheint, der Regen fällt oder der Wind weht. Zwar kann er es für die Vergangenheit bei Vorliegen ausreichender Unterlagen mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit nachweisen, für die weitere Zukunft ist ihm dieses Wissen aber bisher verschlossen. Dementsprechend verwendet er für viele Lagen die Bezeichnungen Zufall, Kontingenz, Koinzidenz und Glück, die nach dem Umschlagtext gerne synonym gebraucht werden und dennoch ganz Unterschiedliches bezeichnen können, auch wenn ihnen die Unverfügbarkeit gemeinsam sein soll.
Das führt zu Fragen nach Zufall und Vorherbestimmung, nach Freiräumen für Kontingenzen, nach den Verhältnissen von Kontingenz und Zufall und den Auswirkungen auf Kausalität und Korrelation. Mit ihnen beschäftigte sich unter dem Titel Zufall und Wissenschaft ein in Graz von dem 8. bis zu dem 10. November 2018 abgehaltener Kongress, der einer früheren Tagung über Intuition und Wissenschaft folgte. In die damit verbundenen Probleme führt der in Graz 1971 geborene, ab 1989 in Rechtswissenschaft und ab 1996 in alter Geschichte und Altertumskunde sowie Geschichte ausgebildete, 2004 in Rechtswissenschaft und Philosophie promovierte, 2011 für Wissenschaftsgeschichte habilitierte und zu dem Leiter der Universitätsmuseen der Universität Graz und des Hans Gross Kriminalmuseums bestellte Erstherausgeber ein, wobei er davon ausgeht, dass, wer zu diesem Buch greift, um das Wesen des Zufalls zu erfassen, den Zufall schon hinter sich gelassen hat.
Insgesamt vereint der gewichtige Band 28 Studien. Sie betreffen so vielfältige und unterschiedliche Sachgebiete wie die Astrophysik, die Quantenmechanik, die Problemlösung durch zufälliges Handeln, die Vorhersagbarkeit von Evolution, die Entdeckung neuer Arzneistoffe, Wissenschaftstheorie und Religionsphilosophie, die archäologische Hermeneutik, den archäologischen Erkenntnisprozess, Beobachtungen aus der griechischen Antike, die künstlerische Fotografie, den Tatort, die bibliothekarische Ordnung, den Dreigroschenfilm, das Strafrecht, die zufällige Schuld, das Schicksal, das Los, ein probates Vademecum in Religion, Literatur und Politik, die Historiographie, die Wissenschaftshistorie, Auguste Comte, Kants Kritik der reinen Vernunft, die Kontinuität in Kants theoretischer Philosophie, Fichtes Schritt über den Rubikon, das Geschichtsverständnis der Sattelzeit sowie Brentanos Intentionalitätskonzeption als Antwort auf Schellings Kritik an Descartes. Möge es der Gesamtheit der vielfältigen Überlegungen der achtundzwanzig Verfasser aus Graz, Sankt Veit an der Glan, Düsseldorf, Bangor/Wales, Coburg, Wien, Salzburg und Göttingen gelingen, die Bedeutung des Zufalls für den jeweiligen wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn allen interessierten Lesern dauerhaft zu vermitteln, auch wenn gegenwärtig vielleicht das Verhältnis von Zufall und Wissenschaft angesichts der Komplexität des Lebens noch nicht umfassend geklärt sein dürfte.
Innsbruck Gerhard Köbler