Göttert, Karl-Heinz, Die Sprachreiniger.

Der Kampf gegen Fremdwörter und der deutsche Nationalismus. Propyläen, Berlin 2019 367 S. Angezeigt von Gerhard Köbler. ZIER 10 (2020) 00. IT

Wann und wo die den Menschen in Gegensatz zu allen anderen Lebewesen kennzeichnende Sprache von ihm entwickelt wurde, weiß niemand genau, doch hat sie sich weltweit als außerordentlich vorteilhaft durchgesetzt. Ob sie an einer einzigen Stelle geschaffen wurde und sich in dem Laufe der Zeit in vielleicht zehntausend oder mehr jemals gesprochene Sprachen aufgliederte oder ob unterschiedliche Sprachen in verschiedenen Orten zu verschiedenen Zeiten unabhängig voneinander entstanden, ist ebenso unbekannt. Eindeutig ist nur, dass sich die Sprecher einer Sprache untereinander leicht verstehen können, während alle anderen Menschen zu ihnen keinen gleich leichten Zugang finden.

 

Mit der in diesen allgemeinen Zusammenhang gehörigen Teilproblematik der Sprachreiniger beschäftigt sich das vorliegende, der die Zugfahrten begleitenden Mutter gewidmete Werk des in Koblenz 1943 geborenen, in Geschichte und Deutsch in Köln ausgebildeten, 1971 mit einer Dissertation über Tugendbegriff und epische Struktur in höfischen Dichtungen promovierten, als akademischer Oberrat 1985 habilitierten, 1988 Kommunikationsideale innerhalb der europäischen Konversationstheorie untersuchenden und von 1990 bis 2009 als außerplanmäßiger Professor für ältere deutsche Literatur an seiner Heimatuniversität tätigen Verfassers. Es gliedert sich nach einem kurzen Prolog in insgesamt 36 kleine Kapitel, die mit den drei Hauptbedürfnissen Pulver, Brot und Briefen zu der Zeit Heinrich von Stephans beginnen und mit der erfolglosen Vorstellung, dass London vielleicht bald nur noch ein stinkender Trümmerhaufen sein könnte, enden. In diesem Rahmen widmet sich der Verfasser detailliert der Geschichte der Sprachreiniger und ihrem vielfältigen Kampf gegen Fremdwörter, der den deutschen Nationalismus beflügelte.

 

Dabei kennt und schätzt der seine frühere Darstellung Deutsch – Biografie einer Sprache des Jahres 2010 vertiefende Verfasser aus seiner Kinderzeit zwischen Köln und Ehrenbreitstein als Sohn eines Bahnbediensteten Billett, Perron, Coupé und Parapluie, stellt aber schon in seinem Prolog pointiert fest, dass der Einsatz der Sprachreiniger für die deutsche Sprache sich von Anfang an mit einer Form von Nationalismus verband, die geradewegs in Fremdenhass mündete, den Ausbruch des ersten Weltkriegs als Chance auf Deutsch als Weltsprache begrüßte und schließlich den Rassismus und Antisemitismus der Nationalsozialisten aufnahm und sogar verstärkte. In diesem Rahmen geht er die 58 Bände der Zeitschrift des allgemeinen deutschen Sprachvereins und der aus ihr hervorgehenden Muttersprache entschieden durch und findet dort viele, durch einige Abbildungen Otto Sarrazins, Heinrich von Stephans, Herman Riegels, Leo Weisgerbers, Wilhelm Fricks, Heinrich von Treitschkes, Gustav Freytags, Theodor Fontanes und Karl Kraus‘ veranschaulichte Argumente für eine Ablehnung. Nur die Zukunft wird freilich tatsächlich erweisen können, ob und wie lange die deutsche Sprache auf Dauer in dem globalen Streben des egoistischen Menschen nach Herrschaft über Mitmenschen eine Zukunft hat, in der voraussichtlich wie wohl überall Wörter aus anderen Sprachen im Zuge allgemeiner Internationalisierung in größerem Umfang als in allen bisherigen Zeiten seit ihrer Entstehung aufgenommen werden.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler