Dietze, Frank Rainer, Die Verfassung der DDR.
Seit der von dem Konvent der nach Unabhängigkeit strebenden britischen Kolonie Virginia in Nordamerika an dem 12. Juni 1776 verabschiedeten Virginia Bill of Rights ist die formelle Verfassung zu einem Nachweis der Rechtmäßigkeit von Verhältnissen in fast allen Staaten der Erde geworden. Dabei war die jeweilige Wirklichkeit zweitrangig. Deswegen konnte Walter Ulbricht bereits in dem Mai 1945 erklären: es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.
Vor diesem geschichtlichen Hintergrund beschäftigt sich der Verfasser in seiner von Gerd Dietrich betreuten, 2018 von der Humboldt-Universität Berlin angenommenen Dissertation mit den vier durch die Forschung an Hand der Verfassungstexte und der zugehörigen Kommentare bereits hinreichend behandelten Verfassungen der früheren Deutschen Demokratischen Republik von 1949, 1968, 1974 und 1990 mit dem Anspruch, die Verfassungsentwicklung darzustellen und objektiv an Hand der nunmehr zugänglichen Zeitzeugnisse zu erörtern. Zu diesem Zweck gliedert er sein Werk nach einer ausführlichen Einleitung zu Erkenntnisinteresse und Problemstellung, Grundfragen der Verfassungsgeschichtsschreibung, Methode, Quellenanalytik, Forschungsgegenstand, Quellenlage, Aufbau, Verfassungsbegriff, marxistischer Rechtstheorie, marxistisch-leninistischen Verfassungsprinzipien, Volksentscheid als Plebiszit und der Gegenüberstellung von identitärer Demokratie und repräsentativer Demokratie in vier Abschnitte. Sie betreffen die Gründungsverfassung von 1949, die sozialistische Verfassung von 1968, die Novellierung/Revision von 1974 und die Verfassung des runden Tisches von 1990 und behandeln in dem Resümee zudem das (!) in der Forschung bislang nicht erörterte lex fundamentalis der Deutschen Demokratischen Republik.
Insgesamt kann der Verfasser dabei feststellen, dass die Verfassungen Ausdruck des jeweiligen politischen Machtgefüges und der geopolitischen Ausrichtung der früheren Deutschen Demokratischen Republik waren und allesamt als Mittel zu der Legitimation und Konsolidierung der Herrschaft dienten. Hinsicht (!) der Vermutung, dass von den Verfassungsgebern eine demokratische Legitimation der jeweiligen Verfassung intendiert war, muss nach dem Verfasser eine differenzierte Bewertung vorgenommen werden. An dem Ende seiner viele Einzelheiten aus den von ihm verwendeten Quellen heraus neu behandelnden Untersuchung vertritt der Verfasser die Ansicht, dass, da eine Verfassung das (!) lex fundamentalis für alle Bürger darstellt, das Volk als Souverän der Staatsgewalt auch in die Lage versetzt werden muss, dieses (!) öffentlich zu diskutieren und durch einen Volksentscheid zu bestätigen, womit sich dann auch die (erweiterte) Bundesrepublik Deutschland auf eine durch das Volk legitimierte Verfassung berufen könnte.
Innsbruck Gerhard Köbler