Meier, Mischa, Geschichte der Völkerwanderung.
Dass sich in der dem Menschen bisher unabänderlich vorgegebenen Zeit alles ändern kann, wussten mindestens bereits die Denker des griechischen Altertums. Dass sich in der Gegenwart vieles bewegt, kann jeder aufmerksame Zeitgenosse leicht erkennen, wenn er sieht, wie mit Hilfe der modernen Technologie Ströme von Migranten an günstigere Unterstützungsquellen gelockt und geschleust werden. Dass die Wanderung von Völkern als eigener Unterabschnitt der menschlichen Geschichte eingestuft wird, ist bisher aber einmalig, auch wenn zumindest vor 375 n. Chr. bereits gesamte Völker von einem Ort zu einem anderen Ort gezogen sind und dies nur nach 568 n. Chr. nicht mehr in dieser Art und Deutlichkeit möglich oder sichtbar wurde.
Mit der Geschichte dieser besonderen Völkerwanderung beschäftigt sich das gewichtige, nach dem Vorwort auf Gespräche auf dem Historikertag in Konstanz von 2006 zurückgehende Werk des in Dortmund 1971 geborenen, nach dem Studium der klassischen Philologie, Geschichte und Pädagogik in Bochum bei Karl-Wilhelm Welwei mit einer Dissertation über Aristokraten und Damoden in Sparta promovierten, in Bielefeld 2002 mit einer Schrift über das andere Zeitalter Justinians ab 540-542 habilitierten, 2004 nach Tübingen berufenen Verfassers. Es gliedert sich nach dem kurzen Vorwort in insgesamt elf Abschnitte. Sie betreffen die Völkerwanderung als Forschungsobjekt und Darstellungsproblem, den Sturm an der Donau als Beginn der Völkerwanderung, die verwundbare Südgrenze des römischen Reiches, den Osten des römischen Reiches, den Westen des römischen Reiches, ein Jahrhundert der Bürgerkriege, das Emergieren poströmischer regna in dem Westen des römischen Reiches (Westgoten, Burgunder, Franken, Alemannen, Thüringer, Sueben), Afrika (Nordafrika) in dem 5. Jahrhundert (Vandalen), den Osten des römischen Reiches in dem 5. Jahrhundert, die Partikularisierung des Westens in dem frühen Mittelalter und das Ringen um Bestand und Einheit in dem Osten.
In diesem weiten Rahmen untersucht der Verfasser auf der Grundlage aller einschlägigen, auf den Seiten 1365 bis 1393 aufgelisteten Quellen und sehr umfangreicher Literatur (S. 1394-1495) alle wichtigen Einzelfragen der Völkerwanderung. Dabei gelingen ihm zahlreiche weiterführende Einzeleinsichten. Von daher wird jede weitere Betrachtung der letztlich wohl auch durch die Suche nach günstigeren Lebensbedingungen ausgelösten, von dem Verfasser auf die Zeit zwischen etwa 250 bis 750 nach Christus erweiterten Völkerwanderung von diesem wichtigen neuen Ausgangspunkt, der mit den Worten des Awaren-Khagans aus dem Jahre 626 bei seinem Abzug von den Mauern Konstantinopels schließt „er werde wiederkommen“, die der Verfasser zu den Worten „entweder er oder ein anderer“ erweitert, ausgehen können und müssen.
Innsbruck Gerhard Köbler