Osterloh-Konrad, Christine, Die Steuerumgehung.

Eine rechtsvergleichende und rechtstheoretische Analyse (= Veröffentlichungen zum Steuerrecht 7). Mohr Siebeck, Tübingen 2019. XXXVIII, 786 S. Angezeigt von Gerhard Köbler. ZIER 10 (2020) 86. IT

Die Steuer als die einmalige oder laufende Geldleistung, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung ist und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zwecks Erzielung von Einkünften allen auferlegt wird, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft, ist bereits dem Altertum bekannt. Sie hat mit den wachsenden Vermögen der Menschen aber immer größere Bedeutung erlangt, weil immer mehr Menschen an Vermögen anderer Mitmenschen teilhaben wollen, wo immer dies möglich ist. Die Politiker als die den Staat lenkenden Menschen unterstützen dies, weil sie dadurch selbst zu höheren Einkünften und größerer Macht gelangen und unterwerfen immer mehr mit Vermögen verbundene Tatbestände einer ihnen mehr Mittel zwecks Umverteilung in die Hände spielenden Steuerpflicht wie man in der Gegenwart an Projekten wie einer Finanztransaktionssteuer, einer Kohlenstoffdioxidsteuer oder einer Plastiksteuer sehen kann, bei denen auf der Suche nach Mehrheiten und Akzeptanz allgemeine Gesichtspunkte in den Vordergrund gerückt werden, um das damit auch mögliche Streben nach persönlichen und staatlichen Vorteilen durch erhöhte Steuereinkünfte zu verschleiern.

 

Schon nach der Einleitung des von der in Karlsruhe 1976 geborenen, in Paris, München und Bonn in der Rechtswissenschaft ausgebildeten, nach der ersten juristischen Staatsprüfung als wissenschaftliche Mitarbeiterin an dem Max-Planck-Institut für geistiges Eigentum, Wettbewerbsrecht und Steuerrecht in München bei Wolfgang Schön tätigen, in München 2006 mit einer Dissertation über den allgemeinen vorbereitenden Informationsanspruch – zivilrechtliche Auskunfts- und Rechenschaftsansprüche und ihre Funktion in dem Zivilprozess - promovierten und nach der gleichzeitigen zweiten juristischen Staatsprüfung und neben einer freiberuflichen Nebentätigkeit als Rechtsanwältin in Bonn als wissenschaftliche Referentin an dem Max-Planck-Institut für Steuerrecht und öffentliche Finanzen in München bei Wolfgang Schön wirkenden, 2017 auf Grund der vorliegenden Schrift für bürgerliches Recht, Unternehmensrecht, Steuerrecht, Rechtsvergleichung und Rechtsphilosophie habilitierten und 2018 nach Tübingen berufenen Verfasserin vorgelegten umfassenden Werkes darf jeder Bürger sein Verhalten und seine Vermögensverhältnisse in dem Rahmen der allgemeinen Gestaltungsfreiheit so einrichten, dass er möglichst wenig Steuern zahlen muss. Gleichzeitig erscheint aber Steuervermeidung problematisch, wenn der Steuerpflichtige versucht, durch geschickte Planung ein bestimmtes wirtschaftliches Ergebnis zu erreichen, ohne die Steuertatbestände zu verwirklichen, die für den üblichen Weg zu diesem Ergebnis einschlägig wären. Diese Steuerumgehung wird als die Steuereinkünfte verringernder Gestaltungsmissbrauch vielseitig bekämpft.

 

Die Verfasserin widmet sich diesem Thema trotz der Fülle an bisheriger Literatur auf Grund zweier Ratlosigkeiten. Einerseits hat sich nach ihrer Ansicht die diesbezügliche Debatte in der Gegenüberstellung von Besteuerungsgleichheit und Rechtssicherheit festgefahren, andererseits scheint es bisher nicht befriedigend gelungen, den Gestaltungsmissbrauch hinreichend zu bestimmen. Die Verfasserin will an dieser Stelle auf der Grundlage einer kritischen Analyse der gegenwärtigen Rechtslage und der Rechtspraxis klären, worum es bei dieser Grenzziehung in dem Kern geht, welche Instrumente der Gesetzgeber und andere staatliche Institutionen in ihrem Umgang mit der Steuerumgehung haben und wie das Zusammenspiel dieser Instrumente und Institutionen funktioniert und (zwecks welcher Zielsetzung für oder gegen Staat und Steuerpflichtige?) optimiert werden könnte.

 

Gegliedert ist das sehr beeindruckende Werk nach Geleitwort, Vorwort, Inhaltsverzeichnis und einer Einleitung über den Problemaufriss, terminologische und inhaltliche Klarstellungen sowie aggressive Steuerplanung in dem internationalen und europäischen Konzern in vier große Teile. Sie betreffen vor allem eine rechtsvergleichende Bestandsaufnahme des Gestaltungsmissbrauchs in dem Steuerrecht als gelebtem Recht, wie es der Gesetzgeber gesetzt hat und Verwaltung und Gerichtsbarkeit es anwenden, in Deutschland, Frankreich, den Vereinigten Staaten von Amerika und dem Vereinigten Königreich Großbritannien, eine rechtsvergleichende Analyse, die Steuerumgehung als Rechtsproblem sowie Folgerungen. An dem Schluss werden die dabei gefundenen Ergebnisse gebündelt.

 

In ihrem Ergebnis gelangt die Verfasserin zu der überzeugenden Ansicht, dass die Grenzlinie zwischen (allgemein?) akzeptabler Steuerplanung und (allgemein?) inakzeptabler Steuervermeidung nicht von vornherein feststeht. Es gibt keine einzig richtige Lösung. Dementsprechend tritt die Verfasserin auch für keine ein., sondern lotet die Fundamente, Argumente und Instrumente des juristischen Mobiles zwischen Rechtssicherheit und Belastungsgleichheit oder Besteuerungsgleichheit aus, erklärt seine Struktur und zieht daraus Folgerungen.

 

Hieraus ergibt sich für die Verfasserin ein Verständnis des verfahrensrechtlichen und materiellrechtlichen Umgangs mit der Steuerumgehung als Optimierungsproblem, das den Blick darauf lenkt, welche institutionellen Optionen dem Gesetzgeber, der Verwaltung und den Gerichten zu ihrer Verfügung stehen. Stimmig wird dieses Ganze nach der Verfasserin allerdings nur, wenn man seiner Ausgestaltung die Erkenntnis zugrunde legt, dass der Umgang des Rechtes mit der Steuerumgehung verschiedene, für sich genommen jeweils unangreifbare Ziele und Wertungen berücksichtigen muss und dass diese teilweise in einem Spannungsverhältnis zueinanderstehen, das grundsätzlich eine erhebliche Bandbreite an Lösungen ermöglicht. Bei allem ist dabei der Staat den Einzelnen auf Grund seiner nur ihm zustehenden Hoheitsgewalt so überlegen, dass er die jeweils künftige Steuerumgehung immer verhältnismäßig leicht und rasch bekämpfen kann, wenn er dies wirklich will und zudem in einer internationalen Zusammenarbeit die unterschiedlichen Staaten sich möglichst einig sind.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler