Eichenhofer, Philipp, Rechtsmissbrauch –
Wann das Recht als der Versuch des Menschen, Interessengegensätze zweier Seiten mit Hilfe des abwägenden Verstandes Dritter statt mit der Gewalt des Stärkeren zu entscheiden, geschaffen wurde, vermag auf Grund des Mangels von Quellen früher Zeiten niemand sicher zu sagen. Man wird aber angesichts der Natur des Menschen davon ausgehen können, dass mit der Entstehung des ersten Rechtssatzes auch bereits die allgemeine Gefahr seines Missbrauchs geschaffen war. Jedenfalls zeigt die Geschichte bis in die Gegenwart immer wieder Fälle möglicher Bejahung eines Missbrauchs eines Rechtes.
Mit dieser interessanten Problematik beschäftigt sich die von Reinhard Zimmermann betreute, in dem Oktober 2016 von der Bucerius Law School angenommene, an dem 7. Februar 2018 mündlich geprüfte Dissertation des in die Studienstiftung des deutschen Volkes aufgenommenen, an der Humboldt-Universität in Berlin und der Universität Paris I ausgebildeten, seine erste juristische Staatsprüfung vor dem Kammergericht Berlin ablegenden, den Magister Juris an der University of Oxford erwerbenden und die zweite juristische Staatsprüfung vor dem Oberlandesgericht Hamburg absolvierenden, zunächst als wissenschaftlicher Assistent an dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg und zuletzt als wissenschaftlicher Referent bei DLA Piper tätigen Verfassers. Sie gliedert sich nach Vorwort, Inhaltsverzeichnis, Abkürzungsverzeichnis und kurzer Einleitung in drei Kapitel. Sie betreffen nacheinander die französische théorie de l’abus de droit, die deutsche Rechtsmissbrauchslehre sowie das abuse of rights und das englische Recht.
Für das französische Recht geht der Verfasser nach kurzen und langen Geschichten von François Laurents Missbrauch von Sachen und Rechten aus, für das deutsche Recht von dem vorkodifikatorischen Schikaneverbot, der exceptio doli generalis und § 226 BGB sowie für das englische Recht von Bradford v Pickles und der Ablehnung der doctrine of abuse of rights. Dabei kann er insgesamt anschaulich zeigen, dass die Idee des Rechtsmissbrauchs nach ihrer Erfindung in einem Zusammenhang zwischen Frankreich und Deutschland in der jüngeren Vergangenheit in viele europäische Rechtsordnungen aufgenommen wurde. Gleichwohl gelangt er angesichts vieler Veränderungen in dem 20. Jahrhundert auf der Grundlage der privatrechtstheoretischen Erörterungen zu der Einsicht, dass die Einschätzung des Rechtsmissbrauchs als pièce maîtresse der Rechtssysteme aller zivilisierten Länder durch Louis Josserand in dem Jahre 1927 von gegenwärtigen Juristen in Frankreich, Deutschland und England kaum noch geteilt wird, ohne dass sie dabei den Geist der Rechte missachteten.
Innsbruck Gerhard Köbler