Baumann, Anette, Augenscheinkarten am Reichskammergericht 1495-1806
In einer schriftlich ausgerichteten Gesellschaft sind die meisten der für die Erinnerung bestimmten Gegebenheiten besonders sicher in Schriftform aufzubewahren. Allerdings bietet auch jeder in Worte gefasste Text die Möglichkeit unterschiedlicher Verständnisse. Deswegen kann eine Zeichnung manchmal hilfreicher und klärender sein als viele Worte.
Dementsprechend sind in vielen älteren Gerichtsakten Karten eingefügt. Sie können sowohl die geographischen Verhältnisse in verkleinertem Maßstab betreffen wie auch sonstige Gegebenheiten. Die vorliegende Schrift bietet eine ergänzte und erweiterte Fassung des Vortrags der Verfasserin von dem 5. Juni 2019 anlässlich des neunzigsten Geburtstags des Gründungsmitglieds der Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung Gerhart Schlingloff.
An Hand achtzehner Abbildungen unterschiedlicher Herkunft untersucht die Verfasserin in ihrem in neun Abschnitte geteilten Vortrag Augenscheinkarten. Sie gelangt dabei überzeugend zu der Einsicht, dass die Inaugenscheinnahmen und ihre Visualisierung in Prozessen des Reichskammergerichts neben Karten und Landschaftsgemälden eine eigene Bildgattung sind, die auf einem komplexen Kommunikationsprozess zwischen Kommissar, Zeugen, Maler/Geometer und den Parteien und Parteienvertretern beruht, der in einem formalisierten Verfahren abläuft. Trotz aller damit verbundener Schwierigkeiten und Gefahren sollte das Gesehene für die Richter Beweiskraft haben, obwohl sie sich bewusst waren, dass mit Optik auch getäuscht werden konnte, so dass nach der Ansicht der Verfasserin über einen ersten Einblick hinaus insgesamt noch viele Fragen für vertiefte Forschungen offen sind.
Innsbruck Gerhard Köbler