Sorge, Christoph, Verpflichtungsfreier Vertrag als schuldrechtlicher Rechtsgrund.
Das Bereicherungsrecht kennt einen seltenen und nicht oft so intensiv und gründlich wie grundlegend diskutierten Rückforderungsanspruch: die deutsche Übersetzung des lateinischen Begriffs (condictio ob rem) lautet: Zweckverfehlungskondiktion, was aus dem Juristischen ins Deutsche übertragen dem glücklichen Hoffnungsträger verheißt: eine Leistung darf zurückverlangt werden, wenn der nicht zum Inhalt des Geschäfts gewordene Zweck eines Rechtsgeschäfts verfehlt wird.
Ist die Befassung mit einem gelegentlich frech als „Fossil“ oder freundlich als „Institutsorchidee“ bezeichneten Erscheinung rechtshistorisch, dogmatisch, pragmatisch und überdies mit einem Werk von fast 1000 Seiten, von denen allein die „Zusammenfassung“ mehr als 60 Seiten zählt, wirklich notwendig? Die Arbeit des am Lehrstuhl für Zivilrecht und Rechtsgeschichte der Universität Hannover wirkenden Rechtshistorikers und Rechtstheoretikers Christoph Sorge, eine juristische, von Stephan Meder betreute Dissertation reicht über schlichtere Anwendungsbereiche der jüngeren Judikatur – etwa Rückabwicklung von Zuwendungen gescheiterter nichtehelicher Paarbeziehungen - ganz weit hinaus. Die Reichweite in älteste römische Rechtszustände einerseits und in sehr lebensnahe Rechtszustände andererseits, oft in sog. Dreieckskonstellationen, lässt den großen Umfang durchaus als notwendig erscheinen.
Das „Störungsinstitut mit liquidierender Wirkung“ wird in zwölf fein gewebten Thesen entfaltet. Sie gipfeln in einer fiduziarischen Sozialtypik. Damit ist der Rahmen für eine rechtsgeschäftliche Interpretation gesetzt. „Geschichte und System“ durchdringen sich in dieser methodisch wie inhaltlich geglückten dogmen- und systemkritischen Arbeit. Ein produktiver Dialog - von enormer Weite und Tragweite - mit der Vergangenheit soll die Früchte für die Gegenwart hervorbringen. Ist ein forderungsfreier Kausalvertrag möglich? Wie sind in dem gegenwärtigen Vermögens- und Verkehrsrecht die Zuweisungen zu sehen? Das führt unter anderem zu einer sinnfälligen Kritik moderner causa-finalis-Lehren und zu düsteren Warnungen vor einer Hypostasierung des Austauschzwecks als dräuende Quelle von Un-Art und Ab-Art rechtlicher Kunstfertigkeit.
In dem „Besonderen Teil“ der Studie ist Kern die Rekonstruktion des „Rechtsgeschäfts“ in dem Tatbestand dieser condictio, von den vertraglichen Grundstrukturen bis hin zu den finalen Fragen der Entgeltlichkeit. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Denn ein vermögensrechtlicher Vertrag dogmatisch als Vereinbarung ohne Rechtspflichten erscheint mancher Schulweisheit als merkwürdig stilisiertes Produkt hochgelehrter Dogmatik ohne rationalistische Sinngebung, es sei denn aus der Schule der Scholastik.
Der „Allgemeine Teil“ der ausladenden Abhandlung widmet sich den Prinzipien der von dem Verfasser so genannten. conventio ad rem. Das führt zurück zu der hohen Schule Savignys: fundamental und differenziert zu den neueren Erklärungsansätzen für forderungsfreie „Zuordnungsverhältnisse“ und materielle Rechtsgeschäfte. Im „Besonderen Teil“ genießt der Rezensent die wiederbelebte „conventio ob rem“ in ihren kundig und zart gewürzten dogmatischen Verfeinerungen („gewollte Rechtsfolgen sind auch empirische Phänomene, keine dogmatischen Dinge an sich“), mit etwa relevantem Rechtsbindungswillen bzw. Rechtsfolgewillen. Ist aber z. B. der Spielvertrag wirklich ein Paradigma für das gesetzlich anerkannte Behaltendürfen? (Ein von dem Rezensenten hoch geschätzter englischer Jurist hielt den Verlagsvertrag für ein Exempel des nichtigen, aber im risiko- und spielfreudigen Land ganz sozialadäquaten Wett-Kontrakts.) Aber auch Fragen der Ökonomietheorie geraten in den scharfsinnigen Blickwinkel. Da verliert sich der Autor keineswegs in beklagenswerten Verlustzonen, sondern leuchtet arge Untiefen des listenreichen Kunstrechts aus: an dem bekannten Beispiel des Kaufs eines Ölgemäldes, statt des echten Meisters Ruidsdael ein minderes Machwerk des schlechten Nachahmers, jenes gleichnamigen, so gar nicht gleichwertigen Cousins - ein bis heute bedenkenswerter Casus von enormem, nicht nur pädagogischem Nutzen für die Lehre - anhand des plötzlich aufgedeckten, kommerziell fehlenden Mehrwerts ein Leckerbissen für das Reichsgericht.
Da kann so mancher, der Flohmärkte frequentiert, im Nachhinein in tiefschürfende Gedanken verfallen über die Grausamkeiten der Irrtumsanfechtung oder krass-positivistische Gewährleistung, wenn ein schäbiger antiquarischer Bodensatz sich als echter Cellini oder als unbekanntes Noten-Notat Mozarts erweist, unversehens hochgepriesen und von unerwartet hoher Preisgestaltung. Welche Zwecke sind von vornherein ein integraler Part oder im Nachhinein dazuinterpretierter Anteil des „Grundgeschäfts“? Der verschmitzte Heuristiker legt bekanntlich am besten hinein, was er als eigenen Gedankenertrag aus der Norm- oder Vertragsbasis alsdann gewitzt herausholt. Aber so flach und simpel geht es bei Sorges Interpretationen niemals zu.
Schließlich gerät die Untersuchung keineswegs aus Versehen zu einer Phylogenese der Geschäftsgrundlagendogmatik. Wir erleben die in schweren Zeiten fällige, notdürftige Einhegung der condictio ob rem durch das Reichsgericht - immanente Gesetzesfortbildung -, die nicht des tieferen Sinnes entbehrende Ausweitung auf gegenseitige oder nicht gegenseitige Verträge und die der Deutung bedürfenden Zurückdrängungen der condictio durch den Bundesgerichtshof in den 1970er Jahren.
Meine an dieser Stelle eher kleinteiligen Wiedergaben des vielstimmigen, vielschichtigen Gehalts der umfangreichen Abhandlung verwöhnen im Original implizit und explizit durch geistreiche Reflexionen über Schenkungen als „Etwas gegen Nichts“ im römischen Recht. Wie verfährt ein römischer Prätor, wenn der fröhliche Käufer eines erwünschten starken männlichen Sklaven entdeckt: er hat in Wahrheit eine nie obligatorisch-synallagmatisch intendierte, gerade ihm nicht taugliche schwächliche Sklavin von zartester Schönheit erworben? Weitere römische Reflexionen über die „res“ enden nicht in einem begriffshistorischen Niemannsland, sondern bei dem fiduziarischen Charakter der Sache „Grundgeschäft“. Was in der stilsicheren Sprache des Verfassers sich als eigenartige Transzendenz des archaisch-römischen Sachenrechts ausnimmt, als anthropologisch zu deutendes System geistiger Bindungen, lässt sich mit ihm auch als Gewährleistung von Friedenssicherung durch Eigentumsordnung deuten und verstehen (S. 718). Im Angesicht der psychischen und finanziellen Spätfolgen von Trennungstragödien könnte ein dürrer, illusionsraubender Einwand lauten: Friedenssicherungen hätten empirischer Erfahrung nach oftmals die permanente, unselige Neigung, allzu schnell und heftig durchzubrennen – in den einst lieblichen, verlustig gegangenen heimischen Villenanwesen mangelt es unversehens am genügenden aushelfendem Vorrat. des Produkts „Sicherung“. Vorsorgende Eheverträge werden selten in dem siebten Himmel geschlossen und haben allzu selten die §§ 812, 313 BGB in dem verträumten Blick.
Würde sich eine solch großes Werk in einer rückwärts gerichteten Analyse des Fortlebens, der Weiterentwicklung und dem Modellcharakter römisch-rechtlicher Denkfiguren erschöpfen, wäre schon das ein höchst relevanter Ertrag. Doch ist daneben die „Entdeckung“ des gleichartigen materiellen Prinzips im alten wie im gegenwärtigen Rechtsdenken und seiner divergierenden Lösungswege von hohem Interesse. Wenn die wohlbestallten „Hüter des Zivilrechts“ über einen Zeitraum von 2000 Jahren hinweg in dem Gesichtspunkt der fiduziarischen Charakteristik der Zuwendung – und sei es mutantis mutandis – in summa sich verblüffend ähneln, sich vergleichen und diskutieren lassen, dann ist die bei dem Ehebündnis eingehängte „dos“ eine Art treuhänderisch gebundenes Eigentum zur gemeinsamen Nutzung, und somit am Eheende teilweise zeitlich durch Zweckerreichung nicht mehr in vollem Umfang „bereicherungsfähig“. Hier wirkt dann auch der kritische Rückgriff auf Savignys „Bereicherungsabschöpfung“ ebenso erhellend wie die - gegebenenfalls fiduziarischen - Momente in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Lebensgemeinschaften.
Will man ein Minimum von Ergebnissen in diesem komprimierten Besprechungselaborat in dieser unvollständigen, sehr pauschalen und von dem Rezensenten versimpelten „Zusammenfassung“ (als eine Art „readers digest“) pressen, so ist jedenfalls auch für das aktuelle Recht die spezifische Charakterisierung von Treuhandgeschäften bemerkenswert:
Die von dem Verfasser formulierte „conventio ob rem“ ist weder überwiegend eigennützig, noch überwiegend fremdnützig, sondern solidarisch gemeinnützig. Ein gemeinsam bezweckter Erfolg begründet keine Gemeinschaft in Form verdinglichter oder obligatorischer Interessenverbindung. Er ist „neutral“ in den Rechtsfolgen., erzeugt weder einklagbare Rechtspflichten noch primäre Forderungsrechte.
Das sollte auf jeden Fall und an dem Ende mancher früherer forensischer Konflikte nicht frommes Wunschdenken bleiben. Wer immer bei der belastenden Aufarbeitung verflossener Beziehungen und nun in der emotionsgeladenen monetären Reduktion von Komplexität auf das schnöde Bereicherungsrecht setzt, um sich für vergangenes, fortwirkendes Leid und jede schwer zu tragende Unbill der schal gewordenen Beziehungsgefüge in Seele und Geldbeutel schadlos zu halten, kann mit Fug und Recht an der Idealform treuhänderisch verstandener „Geschäfts“-Beziehungen und deren Aufarbeitung mittels Rückforderungen nach § 812 BGB kläglich scheitern.
Christoph Sorge bleibt freilich zu allem Überfluss niemals bei mehr oder weniger komplexen Interpretationen und dem sonst allzu oft geübtem Nachwirken römischer Juristenweisheiten stehen. Seine soziologisch und ökonomisch abgesicherte Betrachtung des klassischen römischen wie des geltenden Rechts lässt die frühen nichtrechtlichen Perspektiven und die heutigen „offenen Wertungsbegriffe“ der Zumutbarkeit schärfer hervortreten. Er übersieht in seiner komplexen Architektur nicht, dass die neuere Rechtsprechung vorzugsweise zu dem Lösungsmodell der Geschäftsgrundlagenstörung tendiert. So wird für ihn die eingreifende ultima ratio „Unzumutbarkeit“ zu dem Nadelöhr - sozusagen zu dem schmalen Einfallstor für Willkür und Beliebigkeit. Oder anders gesagt: eine wie aus dem Nichts oder dem Off auftretende Erscheinung eines freischaffenden deus ex machina - oft mit der je subjektiv als kritikwürdig und zutiefst ungerecht gesehenen Seite der unanfechtbaren bitter bejammerten Gerichtsfolge, auf die von des Richters geneigter Hand unvorhergesehen mehr pekuniärer Aufstrich für die eine oder den anderen gefallen ist. So mag dann zuweilen die auf friedfertige Fortexistenzen zielende Ordnung zu einem System dauerhafter Kriegszustände führen – und sei es nur in der Form ewigwährender Umkehr libidinöser Bindungen in puren Hass.
Die weiter reichenden Potentiale dieses Denkmodells könnten die engeren der „condictio ob rem“ doch vielleicht innerhalb einer präziser gefassten Theorie von der Geschäftsgrundlage kompensieren. Die Differenzen liegen für Sorge auf der Hand: höchstpersönliche Lebensgemeinschaften, die er allerdings als nicht widersprüchlich und als nicht egoistisch postuliert (S. 873), sind keine schuldrechtlichen Kooperationsverträge, sondern feinziselierte Sozialgebilde, die nicht dem schieren Synallagma folgen, sondern dem „fiduziarischen“ Geist höchstpersönlich verbundener Menschen. Hier müssen exakt messbare Ausgleichsansprüche, Entschädigungsansprüche, Bereicherungsansprüche und Harmonieansprüche versagen. Das System ist vom Prinzip her weniger auf Versöhnung, auf Harmonie im Trennungsmodus geeicht. Der karge Mittelweg der Sühnetermine vermag eher in dem für schlichtere Trennungsprozeduren angelegten Arbeitsrecht sich eignen, wo engere fiduziarische Beziehungen Seltenheitswert haben.
Nach Ansicht des Rezensenten sollte man sich nicht schwermütig, sondern sehr gefasst, allenfalls mit melancholischen Anwandlungen (über die in der trauten Verbindung einstmals treuen Hände von Beteiligten) der Lektüre dieses gedankenreichen Kompendiums voll des rechtshistorischen und dogmatisch imprägnierten Forschergeistes, am liebsten frohgemut überlassen. Normabweichungen in flagranti, Entfremdungserscheinungen oder Abnutzungserscheinungen sind über pecunia und Profit schwer in den postumen Griff zu bekommen. Der Leser wird über die fast kurzweilig zu nennende „Zusammenfassung“ der Themen und Thesen durch ein ungleich knapperes lakonisches „Fazit“ reich belohnt: Historisch-dogmatisch ist das Rechtsgeschäft der condictio ob rem ein eigenständiger, von Verfügung und Leistungsgeschäft losgelöster forderungsfreier Vertragstypus, mit einer notwendigerweise „bedingungsähnlichen“ Struktur der Verknüpfung von „Leistung“ und Erfolgszweck.
Ein weiterer kritischer Ertrag ist die Entlarvung der langwierigen, fast unendlich scheinenden Konflikte zwischen Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) und Bereicherungslösung - § 812 I 2, 2. Alt. BGB – als fehlender dogmatischer Aufklärung geschuldeter bloßer Scheinkonflikt. Diese Erkenntnis gehört nach Ansicht des Rezensenten umgehend mit Brief und Siegel in so manches dogmatische Forum und forensisches Stammbuch.
Für die Lektüre der weit mehr als soliden Fundamentierung des sehr speziellen, generell hoch bedeutsamen und kostbaren Bereicherungsrechts ist, selbst wenn diesem geneigten Leser die vagen Erinnerungsfetzen an profunde Vorlesungen Ernst von Caemmerers, Fritz Pringsheims, Franz Wieackers, Hans Julius Wolffs sowie Detlef Liebs‘ hilfreich waren, kann neben einem Sinn für Systematik und Kasuistik älterer und neuer Denkungsarten eine auch rudimentäre Lateinkenntnis aus solidester Wiener Schule nur von Vorteil sein.
Das Literaturverzeichnis hat einen Umfang von 34, das Personen- und Sachregister von 18 Seiten.
Düsseldorf Albrecht Götz von Olenhusen