Borgolte, Michael, Europa

entdeckt seine Vielfalt 1050-1250 (= Handbuch der Geschichte Europas 3 = UTB 2298). Ulmer, Stuttgart 2002. 462 S., 11 Kart. Besprochen von Gerhard Köbler.

Borgolte, Michael, Europa entdeckt seine Vielfalt 1050-1250 (= Handbuch der Geschichte Europas 3 = UTB 2298). Ulmer, Stuttgart 2002. 462 S., 11 Kart.

 

Im von Peter Blickle herausgegebenen Handbuch der Geschichte Europas soll das erste Europa zwischen 1000 vor Christi Geburt und 500 nach Christi Geburt den Beginn bilden. Vielleicht ist alles, was dann folgt, das zweite Europa. Jedenfalls anschließen soll sich Europa im frühen Mittelalter.

 

Danach jedoch werden die herkömmlichen Bezeichnungen verlassen. Zwar wird an den bekannten Einheiten Hochmittelalter und Spätmittelalter sachlich nicht gerüttelt. Die Zeit zwischen 1050 und 1250 wird von Michael Borgolte aber unter eine neue Leitidee gestellt: Europa entdeckt seine Vielfalt.

 

Begründet wird dies mit dem auffälligsten Unterschied des hohen Mittelalters zur Gegenwart. Im 11. bis 13. Jahrhundert ist jene Vielfalt europäischer Nationen erst entstanden oder hat sich aus älteren Ansätzen weiter entfaltet. Besonders bemerkenswert scheint ihm daneben, dass sich seit dem 11. Jahrhundert, wiederum nach früheren Wegweisungen, der Westen und der Osten kulturell und religiös voneinander abwandten.

 

Gegliedert ist der handliche Band in sechs Abschnitte. Zuerst wird Europa im hohen Mittelalter an Hand von Ereignisketten und historischen Räumen auf einem Dutzend Seiten vorgestellt. Danach werden die europäischen Monarchien unter dem Blickwinkel einer Erfolgsgeschichte mit Widersprüchen beschrieben. Dabei werden zahlreiche Monarchien wenigen Freistaaten grundsätzlich gegenübergestellt.

 

Zwei Imperien im prolongierten Niedergang sind Byzanz und das deutsche Reich. Angemaßte Hierarchie kennzeichnet die römische Kirche. Aufstieg wird, wenn auch asynchron, bei England und Frankreich gesehen, denen die naheliegenden keltischen Partikularherrschaften Wales, Irland und Schottland angefügt werden. Als durch Disharmonie bestimmte Extremitäten werden Spanien und Skandinavien erfasst, als politische Formationen im Sog außereuropäischer Kräfte Al-Andalus, Kiever Rus’, Wolgabulgaren und Kumanen. Den Beschluss der Monarchien bildet das Experimentierfeld fürstlicher Herrschaft von der Ostsee bis Sizilien.

 

Freistaaten unter Monarchien sind Island und die italienischen Kommunen. Bei ihnen geht es dem Verfasser vor allem um die Unterschiede. Die Distanz ist durchaus beachtlich.

 

Nach diesem umfangreichsten Abschnitt verfolgt der Verfasser Europa im Aufstieg – Europa im Wandel. Dabei sucht er zum einen nach Einheiten. Zum anderen spürt er aber auch Differenzen auf.

 

Zuerst stellt er die Frage der Europäisierung Europas durch Kolonisation und Fernhandel und gelangt von der Frankisierung Europas durch Orientkreuzzüge zur Unvollendung aus dem Geist der Gewalt. Danach beschreibt er unter Leitkulturen und Minderheiten Deviante in monotheistischen Gesellschaften. Wie die Vögel im schrankenlosen Flug gehen Europäer dann auf die Suche nach dem Wissen und nutzen Erde und Wasser, Luft und Feuer auf ihren langen Wegen zwischen Erfindung und Konsum.

 

Als Forschungsprobleme sieht er die Einheit der Epoche und die Einheit des Raumes. Bei ihm geht es vor allem um die Problematik und die Praxis des Vergleichs. Unabhängig davon sind ihm die Beziehungen von Personen, Gruppen und Gesellschaften, von Staaten und Kulturen eine wissenschaftliche Aufgabe eigenen Anspruchs und Gewichts.

 

Am Ende werden die etwa 60 wichtigsten Ereignisse in einer Zeittafel zusammengefasst. Den allgemeinen Nachweis wie die eigenständige Vertiefung ermöglichen rund tausend Literaturtitel. Elf Abbildungen veranschaulichen, ein Namen- und Sachregister erschließt das sich unter die Huldigung Ottos III. durch Sclavinia, Germania, Gallia und Roma stellende, unter unmittelbarer Verwendung wichtiger Quellenzeugnissen kompakt geschriebene, die Vielfalt Europas schildernd für den Leser entdeckende Werk.

 

Innsbruck                                                                                                       Gerhard Köbler