Stadt befreit – Wittelsbacher Gründungsstädte.
Im Rahmen seiner Ausstellungstätigkeit in verschiedenen bayerischen Städten hat das Haus der Bayerischen Geschichte für 2020 als Thema einen der größten Modernisierungsschübe der bayerischen Geschichte gewählt: in wenigen Jahrzehnten nach dem Jahre 1200 haben die Wittelsbacher in ihrem Herrschaftsbereich eine große Anzahl von Städten gegründet. Als Ort der Ausstellung wählten die Veranstalter die Städte Friedberg und Aichach in Bayerisch-Schwaben. Bereits mit der Wahl dieser Städte zeigten die Wittelsbacher eine Richtung ihrer Bemühungen zum Landesausbau: östlich des Lechs lag die Bischofsstadt Augsburg mit der die Wittelsbach und ihre Stadtgründung Friedberg in den folgenden Jahren viele Differenzen auszutragen hatten.
Als Titel der Landesausstellung war ursprünglich „Stadtluft macht frei“ geplant, hiermit sollte angeknüpft werden an die in mittelalterlichen Quellen vielfach belegte Formel, dass ein Aufenthalt in einer Stadt binnen Jahr und Tag von den Ansprüchen früherer Leibherren frei mache. Mitarbeitende des Bayerischen Rundfunks fanden zu diesem Titel eine Vergleichbarkeit zu dem Schriftzug „Arbeit macht frei“ über dem Tor zu einem Konzentrationslager. In der dadurch ausgelösten medialen Diskussion hatten die Veranstalter keine Chance mehr ihren ursprünglichen Titel zu vertreten. Weitere Überlegungen, ob sich der neue Titel beziehen soll auf Befreiung ‚zu etwas‘ oder Befreiung ‚von etwas‘ wurden nicht mehr angestellt.
Der Katalog (S. 22-152) beschreibt die in Friedberg ausgestellten Exponate. Die Beschreibungen lieferten ausgewiesene Sachkenner. Zu loben ist die sorgfältige Auswahl der Ausstellungsstücke. In vier Abschnitte ist der Katalog unterteilt: „1180“ (S. 23-49), als dem Jahr, in dem für Heinrich den Löwen die Zeit als bayerischer Herzoge endete, und seit dem Städte- und Marktgründungen in großer Zahl erfolgten; „Gründerfieber 1200 – 1350“ (S. 50-75), in dem Einzelheiten der neugegründeten Siedlungen beschrieben werden; „Wie die Städte in die Höhe wuchsen 1350-1500“ (S. 76-131), in ihm wird die Entwicklung der Städte in wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht an Einzelheiten erfahrbar gemacht; und das Kapitel „Die Zierden des Landes 1500-2020“ (S. 132-151), das im Wesentlichen die Regenten und auf sie zurückgehende Exponate darstellt. Unter den Exponaten ist der ‚Landshuter Judeneid‘ aus dem Jahre 1361 (S.104) bemerkenswert. Der Landshuter Stadtarchivar beschreibt die maßgebliche Seite aus dem Landshuter Stadtbuch. Leider fehlt bei seiner Beschreibung ein Hinweis auf eine Stelle, an welcher der selten beachtete Judeneid abgedruckt ist. Georg Spitzberger druckte den Judeneid ab in ‚Jüdisches Leben in Altbayern‘ (Landshut 1988, S. 221). Bei der Beschreibung des ‚juden chunch‘ Feifelein ist weiter die Rede von einem Schächtmesser in der Hand des Schwörenden, obwohl schon Eduard Rosenthal (1883) und ihm folgend Guido Kisch (1941) schlüssig nachgewiesen haben, daß Feifelein eine Thorarolle trägt.
In dem zweiten Teil des Bandes werden in den Essays Aspekte der bayerischen Städtegeschichte in 13 Abschnitten übergreifend dargestellt. Die Einzelbeiträge behandeln den Aufstieg der Wittelsbacher, die Städtepolitik der frühen Wittelsbacher, die Andechs-Meranier, die Städtegründungen im 13. und 14. Jahrhundert und Krankheiten in den frühen Städten. Jeder dieser Beiträge ist inhaltlich beachtenswert, dennoch sind einzelne Beiträge besonders hervorzuheben, und sie verdienen über den Anlass der Ausstellung hinaus Beachtung. Klaus Wolf zeigt in seinem literargeschichtlichen Beitrag, dass auch an den Höfen der Wittelsbacher mit Neidhart und Wolfram höfische Dichter wirkten. Dieser Beitrag zeigt, dass nicht nur an den viel beschriebenen Fürstenhöfen Sachsens und Thüringens mittelalterliche Literatur gefördert wurde. G. Ulrich Großmann, der ehemalige Generaldirektor des Germanischen Nationalmuseums, beschreibt die bisher viel zu wenig beachtete profane Architektur im 13. und 14. Jahrhundert in Altbayern. Maria Rita Sagstetter, Leiterin des Staatsarchivs Amberg, schildert die Aufgaben der Städte als Gerichts- und Verwaltungsmittelpunkte und weist damit auf einen viel zu wenig beachteten Gesichtspunkt der Funktion der Städte hin. Die Wirksamkeit von ‚Richtern‘, ‚Landrichtern‘ und ‚Pflegern‘ war wesentlich für die Durchsetzung der administrativen, gerichtlichen und fiskalischen Anordnungen der Landesherren. Durch sie wurde seit dem 13. Jahrhundert eine effiziente Landesverwaltung gewährleistet, die Grundlage einer wirtschaftlichen Prosperität war. Beachtenswert ist, dass bereits zu Ende des 13. Jahrhunderts Stadtrechte den Bürgern garantierten einen Richter zu präsentieren, eine Regelung, die sehr dazu beitragen konnte, die gesprochenen Entscheidungen durchzusetzen. Hans-Georg Hermann, Ordinarius der Rechtsgeschichte in München, zeigt in ‚Zukunftsinvestition Stadtrecht‘ die Entwicklung der Stadtrechte in Bayern. Diese Entwicklung war bestimmt durch die verschiedenen territorialen Teilungen der Herzogtümer in Bayern. ‚Stadtrechtslandschaften‘ waren deshalb geprägt von den Residenzen wie Landshut, Ingolstadt, München, Burghausen oder Amberg. Jeder Herrschaftswechsel führte für die Städte zu einem Kampf um die Bewahrung ihrer wohlerworbenen Rechte. Bereits im Mittelalter war ein verlässliches Recht ein Standortfaktor für die Realisierung von Plänen zur Gründung von Märkten und Städten. Dieser Gesichtspunkt hat bislang bei der Wertung von Stadtrechten nicht die Bedeutung gefunden, die er verdient. Die Periode schriftlicher Stadtrechtsregelungen beginnt Hermann zufolge im Zusammenhang mit der ersten Landesteilung von 1255. Seit Anbeginn waren Normen zur Wahrung der Landfrieden und zur wirtschaftsrechtlichen Reglementierung von Bedeutung, hinter sie traten andere Normen, wie die zum Liegenschaftsrecht, zurück. Trotz des geringen Umfangs dieses Beitrages enthält er zahlreiche weiterführende Anregungen zum Stadtrecht. Ein umfangreiches Literaturverzeichnis, das die Funktion einer Bibliographie zum bayerischen Städtewesen erfüllen kann, beschließt den Band.
Neu-Ulm Ulrich-Dieter Oppitz