Bouveret, Mathias, Die Stellung des Staatsoberhauptes
Bouveret, Mathias, Die Stellung des Staatsoberhauptes in der parlamentarischen Diskussion und Staatsrechtslehre von 1848 bis 1918 (= Rechtshistorische Reihe 272). Lang, Frankfurt am Main 2003. VII, 456 S.
Die in der Würzburger Dissertation geschilderte deutsche Diskussion um das Staatsoberhaupt in der Zeitspanne zwischen Paulskirchenverfassung und Ende des Bismarckreiches galt der Legitimität der Monarchie und der Stellung des Monarchen im Staatsgefüge. Ihrem eigentlichen Gegenstand nähert sich die Schrift über knappe Bemerkungen zum Alten Reich, das Lehensordnung geblieben und einem kaiserlichen Absolutismus abhold gewesen sei (S. 4), sowie zum Deutschen Bund, der sich in Art. 57 Wiener Schlussakte (1820) zum monarchischen Prinzip in den Einzelstaaten bekannt habe. Seltsamerweise erscheint der als „Wegbereiter der neuzeitlichen konservativen Theorie“ hervorgehobene Edmund Burke hier zweimal unter dem Namen „Burk“ (S. 11, richtig dann S. 26). Eine vergleichbare Ungenauigkeit findet sich dann etwa noch im Abschnitt zur Paulskirchenverfassung, wo Heinrich Albert Zachariae als Mitglied des Siebzehner-Ausschusses auf die Initialen „G. A.“ gebracht wird (S. 21). Die akribische Behandlung dieser ersten deutschen Verfassunggebung legt zu Recht ein Augenmerk auf die Frage, ob der verfassunggebenden Nationalversammlung nach dem Selbstverständnis der Beteiligten überhaupt allseits verfassunggebende Gewalt zuerkannt wurde. Die Selbstverständlichkeit der Reklamation solcher Gewalt in weiten Teilen der Versammlung bis hin zur Anrufung der „Souveränität der Nation“ in der Antrittsrede ihres ersten Präsidenten Heinrich von Gagern (S. 57) verdeckt das subkutan vielfach präsente Vereinbarungsprinzip, das nicht nur monarchische Einzelstaaten, sondern auch die konservative Rechte in der Nationalversammlung favorisierten. Entsprechend ließ sich auch ein wieder zu Kräften gekommener Preußenkönig nicht jene demokratisch verliehene Krone eines „Kaisers der Deutschen“ antragen, an der in seinen Augen der Ludergeruch der Revolution haftete. Auch wer, wie der gemäßigte Liberale Friedrich Christoph Dahlmann, ein organisches Harmonisierungskonzept im Wege des konstitutionellen Ausgleichs verfolgte, das auf der einen Seite keine absolute monarchische Gewalt zuließ und auf der anderen Seite auf Volkssouveränität zugunsten der Souveränität von Staat und Verfassung verzichtete (S. 26ff.), setzte auf rechtliche Kontinuität in Form einer evolutiven Verfassungsentwicklung unter Einbeziehung der historisch berechtigten fürstlichen Gewalten. Eine interessante Synthese von Volkssouveränität und monarchischem Prinzip findet sich dort, wo die „Anhänglichkeit“ an die Fürsten zu einem „ächt germanischen Zug“ des deutschen Volkes erklärt wurde (S. 78). Dagegen lehnte die demokratische Linke in der Nationalversammlung ausgehend vom Prinzip der Volkssouveränität jedwede Vereinbarung der Verfassung ebenso ab wie ein absolutes Veto der monarchischen Regierung gegenüber Reichstagsbeschlüssen und bekannte sich dem Grunde nach zur deutschen Republik (S. 91ff.). Denkbar knapp war denn auch die Zustimmung zur erbkaiserlichen Reichsverfassung in der Nationalversammlung, deren Zustandekommen erst durch den im Simon-Gagern-Pakt gefundenen Kompromiß unter Verzicht auf das absolute Veto ermöglicht wurde.
Dagegen brachte in Preußen die oktroyierte Verfassung vom Dezember 1848 die klare Festlegung auf das Vereinbarungsprinzip, verwies deren Art. 112 die für „sofort“ vorgesehene Revision auf den Weg der Gesetzgebung, die von den beiden Kammern nur „gemeinschaftlich“ mit dem König geübt werden konnte (Art. 60). In dem in Art. 105 vorgesehenen Notverordnungsrecht, das Konflikte zwischen Krone und Parlament zugunsten des Monarchen auflöste, sieht der Verfasser unter Anknüpfung an zeitgenössische Literatur einen „pseudo-legal abgeschirmten Staatsstreichvorbehalt“ (S. 118). Obwohl die revidierte preußische Verfassung von 1850 dann nicht dem Wortlaut nach auf das monarchische Prinzip abgestellt (S. 136) und die Verfassung eine sowohl von liberaler wie konservativer Seite nutzbare „Offenheit“ aufgewiesen habe (S. 146), die auch im Budgetkonflikt hervorgetreten sei, in dem sich Bismarck allerdings nicht mehr im Einklang mit der „zeitgenössisch herrschenden Verfassungsinterpretation“ befunden habe (S. 178), hätte sich am Ende die „Machtfrage“ (S. 177) zugunsten der letztentscheidenden „pouvoir royal“ aufgelöst (S. 167). In der Folge erscheint die „ältere Staatsrechtswissenschaft“ besiegt (S. 210) und ein Wandel der staatsrechtlichen Literatur „weg von einem libaral-konstitutionellen, hin zu einem monarchisch-konstitutionellen bis monarchisch-absolutistischen Staats- und Verfassungsverständnis“ unverkennbar (S. 209). Damit gehe einher ein Sprachwandel, der „konstitutionell“ nicht mehr im Sinne des liberal-organischen Dualismus zwischen Monarch und Volk verstand, sondern von allem Parlamentarischen absetzte (S. 197).
Die Verfassung des Norddeutschen Bundes habe schon wegen Bismarcks Pragmatismus, d. h. um der späteren Gewinnung der süddeutschen Staaten willen, keinen monarchischen Bundesstaat vorgesehen (S. 227), sondern dem preußischen König lediglich über das „Präsidium des Bundes“ (Art. 11) eine exponierte Stellung zugewiesen. Das monarchische Prinzip habe allerdings insofern die politische Grundlage der Verfassungskonzeption geliefert, als es eine künftige Parlamentsherrschaft im Reich zu vereiteln galt (S. 270). Die doppelte Abhängigkeit des Bundeskanzlers, einerseits vom ihn ernennenden und entlassenden Präsidium, andererseits vom für die Gesetzgebung zu gewinnenden Reichstag (Art. 5), habe diesem enorme Handlungsfreiheiten eröffnet (S. 271), die Bismarck auch unter der Reichsverfassung von 1871 erhalten blieben und die sich widerspiegeln in der Äußerung desselben, „in allem, nur nicht dem Namen nach, bin ich Herr in Deutschland“ (S. 293). Bei Errichtung des Kaiserreiches habe Bismarck bewußt nicht an die Tradition bis 1806 angeknüpft (S. 294 und 296) und auch Wilhelm I. habe sich der verfassungsrechtlich vorgegebenen Rolle gemäß zuallererst als preußischer König verstanden (S. 308). Dagegen habe Wilhelm II. nicht nur die „reichsmonarchische Oberhoheit über seine Mitfürsten“ beansprucht (S. 283), sondern auch versucht, das Gottesgnadentum ebenso zu reaktivieren (S. 310) wie den Weltherrschaftsgedanken des mittelalterlichen Kaisertums (S. 314 u. 321f.). Friedrich Naumann hat diesen in der zeitgenössischen Literatur oft behandelten „stillen Verfassungswandel“ (S. 304) auf die Formel gebracht, daß „Wilhelm I. König von Preußen war und im Nebenamte deutscher Kaiser, und daß Wilhelm II. Deutscher Kaiser ist und im Nebenamte König von Preußen“ (S. 396). Dabei profitierte die kaiserliche Position von einer insgesamt festzustellenden Unitarisierungstendenz im Reich. Auch Staatsrechtslehrer, wie Paul Laband, die den Kaiser nicht als Reichsmonarchen im staatsrechtlichen Sinne anerkannten, weil die Gesamtheit der im Reich verbündeten Regierungen den Träger der Staatsgewalt abgebe, hätten zumindest den „Anschein“ eines Monarchenrechts konstatiert und das (Helden)Kaisertum als das „sichtbare Symbol der nationalen Einheit“ gewürdigt (S. 306 u. 367 ff.). Das vom Kaiser erstrebte „persönliche Regiment“ sei gleichwohl „Fiktion“ geblieben, weil es mit ebenso sporadischen wie planlosen Zugriffen sein Bewenden gehabt habe und die „individuelle Unfähigkeit des Kaisers“ dessen Absichten und Ansprüche klar begrenzte (S. 309). Die intendierte Personalisierung des Kaisertums habe dann auch die Kritik auf die Person des Kaisers selbst gelenkt (S. 313), wobei die Institution die Turbulenzen im großen und ganzen so gut überstand, daß die Publizisten sich immer mehr mit der Idee einer „Reichsmonarchie“ anfreundeten (S. 397). Machtlücken habe die Gegenseite nur zu Ansätzen einer „Parlamentarisierung des Regierungssystems“, nicht aber für eine grundlegende Verfassungswandlung nutzen können (S. 325). Wie an den „Ideen von 1914“ ablesbar, verstand sich die deutsche konstitutionelle Monarchie als eigengeartete, aber „gelungene Synthese“ von Monarchie und Demokratie sowie den deutschen Sonderweg nicht mündend in einen „Parlamentarismus als Schlußpunkt der geschichtlichen Entwicklung“ (S. 404). Mit dieser „Mittlerstellung“ (ebd.) war auch die vergleichsweise schroffe Entgegensetzung von Konstitutionalismus und Parlamentarismus, für die Friedrich Julius Stahl frühe Stichworte geliefert hatte (S. 112ff., 128, 139 und 402), zumindest abgemildert. Nachwirkungen des spezifisch deutschen Mittelweges diagnostiziert der Verfasser noch bei Hugo Preuß, der in der Weimarer Verfassungsdebatte vor einem „Parlamentsabsolutismus“ gewarnt hat (S. 329 und 377, gegenläufig S. 404). An solchen Stellen gelingt es dem Verfasser auch, große Linien anzudeuten, die zuweilen in der dichten und facettenreichen Auflistung häufig disparater Entwicklungen und Positionen aus dem Blickfeld geraten. Ein starkes Schlußkapitel hätte hier gute Dienste leisten können.
Jena Walter Pauly