Signa Ivris - Beiträge zur Rechtsikonographie, Rechtsarchäologie und Rechtlichen Volkskunde. Band 16,
Eröffnet wird der Band mit dem Beitrag Kurt Köstlins über ‚Karl – S(igismund). Kramer und seine Rechtliche Volkskunde‘ (S. 9-26). Sein Überblick über die Entwicklung der rechtlichen Volkskunde, die nach Kramer die ‚Spannung zwischen tradierter und gruppengebundener Rechtsanschauung und der allgemeiner ausgerichteten, autoritativen, staatlichen Rechtsordnung’ darstellen sollte, als Spezialdisziplin der Volkskunde zu einem Teil der europäischen Ethnologie bzw. der Kulturanthropologie gibt einen Einblick in die Geschichte einer Wissenschaftsdisziplin. Interessant ist, dass Kramer viele Aspekte seines Forschungsgebietes in seiner Funktion als sozialer Kontrolle betrachtete. Michele Luminati: Die Rechtliche Volkskunde: Eine Disziplin mit Zukunft? (S. 27-44) sucht die Entwicklung seit den 1990er Jahren nachzuzeichnen und die zukünftigen Möglichkeiten des Fachs aufzuzeichnen. Einleitend nimmt sie Kramer gegen den ihm mehrfach gemachten Vorwurf des (juristischen) Dilettantismus in Schutz. In dem Beitrag wird auch die Wirkungsgeschichte der Reihe ‚Signa Ivris‘ beschrieben. Die rechtlichen Bezüge zahlreicher Erscheinungen der früheren Volkskunde sind aus dem Blick der europäischen Ethnologie verschwunden, lediglich als Rechtsethnologie findet ein Randgebiet noch Beachtung. Die Archäologie nimmt Forschungen der rechtshistorischen Rechtsarchäologie kaum zur Kenntnis, ähnlich ergeht es der rechtlichen Volkskunde, die von der Rechtsgeschichte kaum zur Kenntnis genommen wird, die Autorin verweist darauf, dass es zuletzt 1988 und 1990 bei den Rechtshistorikertagen eine Sektion Rechtsikonographie gab. Ihre wenig Hoffnung machende Beschreibung schließt die Autorin mit der Anregung an die Vertreter der rechtlichen Volkskunde sich der Rechtsgeschichte, die sich weit der kulturhistorischen Perspektive geöffnet hat, zuzuwenden, es bestehe damit die Möglichkeit, dem ‚gelebten Recht‘ seinen Platz in der Geschichte des Rechtlichen zu verschaffen. Dominik Gerd Sieber gibt in ‚Das unehrliche Begräbnis im Späten Mittelalter und der Frühen Neuzeit in den oberschwäbischen Reichsstädten‘ (S. 45-68) einen Überblick über die Beerdigungsgewohnheiten für Personen, die eine Beerdigung erhielten, die von der ehrlichen abwich und sozial deklassierend war. Anhand zahlreicher Beispiele aus den Reichsstädten zwischen Ulm und dem Bodensee zeigt der Verfasser, dass alle Städte Teile ihrer Begräbnisplätze für die ‚unehrlichen‘ Begräbnisse vorhielten. Ab den 1530er Jahren zeigte sich in diesen Städten auch auf dem Gebiet der Beerdigung das Vordringen reformatorischen Gedankengutes. Der Verfasser zeigt nicht deutlich auf, dass auch für die Reformierten die Begräbnisstätte eine ‚fast heilige stete‘ war, sie war zwar nicht förmlich geweiht, wie dies Durandus in seinem Pontifikale beschrieb. Jedoch wurde auch sie bei dem ersten Begräbnis mit Bibelwort und Gebet ihrer Bestimmung übergeben. Dadurch unterschieden sich die Begräbnisstätten beider Konfessionen im Untersuchungszeitraum kaum voneinander, und so gab es auch unehrliche Begräbnisse auf reformierten Begräbnisplätzen. In Angelo Garovis Bericht über ‚Das Weisse Buch von Sarnen: Kanzleibuch und Chronik – mit der Tellsgeschichte‘ (S. 69-89) wird ein Kopialbuch aus der Innerschweiz beschrieben, in dem Bundesbriefe, Freiheitsbriefe und Verträge abschriftlich überliefert sind. Den Schluss bildet eine chronikartige Beschreibung des Herkommens der Urner, Schwyzer und Unterwaldner. Das Kopialbuch verdankt seine Entstehung wohl den Differenzen mit dem Hause Österreich, das gerade in den Jahren um 1468 bemüht war, legitim Anrecht auf die Innerschweiz zu haben. Hans Schriber, der Verfasser des Weissen Buches, nimmt als humanistisch gebildeter Landschreiber in sein Buch lokale Befreiungssagen auf, eine davon ist für Uri die Sage vom Apfelschuss. Sie erinnert in verschiedenen Aspekten an die Erzählung vom Schützen Toko aus dem Geschichtswerk Gesta Danorum des Saxo Grammaticus. Mit der Übernahme dieser Sage gelang Schriber eine eindrückliche Geschichte des eidgenössischen Freiheitskampfes gegen die österreichische Tyrannei. Gisela Wilbertz beschreibt in ‚Das Schwert des Scharfrichters Hans Prum in der Dresdener Rüstkammer‘ (S. 91-108) die Herkunft des Richtschwertes, sie bringt es mit dem Utrechter Scharfrichter Hans Prum /Pruijm aus Meyenheim (Meisenheim) am Glan in Verbindung und nicht, wie dies in Dresden vermutet wurde, mit Meißen (Elbe). In einem reich bebilderten Beitrag fragt Barbara Dölemeyer: ‚Was hat der Narr am Rathaus zu suchen? – Abweisezeichen und „Zigeunertafeln“ zur Abwehr unerwünschter Besucher (S. 109-150). Die an zahlreichen Orten auftretenden Zeichen werden beschrieben, die Verfasserin hat Hinweise auf viele der Objekte der Sammlung des Gießener Volkskundlers und Rechtshistorikers Karl Frölich entnommen. Gernot Kocher beschreibt ‚Die Kette im Recht – eine Funktionsanalyse‘ (S. 151-171). Ihre Funktion ist in zahlreichen Zusammenhängen belegbar. Galt sie Österreich nach 1945 als Zeichen der Befreiung vom Nationalsozialismus und wurde daher in das Bundeswappen aufgenommen, so wurde sie nach einem Beleg aus der flämischen Buchmalerei in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts bei der Erhebung in den Adelsstand benutzt. Im Rechtsleben hat sie seit Jahrhunderten eine Bedeutung gespielt. Kochers Beitrag belegt dies mit eindrucksvollen Beispielen. ‚Das Rottweiler Hofgericht im Spiegel seiner bildlichen Darstellungen‘ zeigt Andreas Deutsch (S. 173-224) anhand von Abbildungen um das Gericht, das für sich seit 1358 in Anspruch nahm, das oberste Gericht des Reiches zu sein. Diese Zeit endete 1495 mit der Errichtung des Reichskammergerichts. Sein Gebiet reichte lange Zeit bis in die Schweiz hinein und bis ins 18. Jahrhundert war es für vier der Reichskreise zuständig. Anschaulich zeigen die beigegebenen Abbildungen Gerichtspersonen, Gerichtsgebäude und in den Wappen den Bezug zu Kaiser und Reich. Wolfgang Sellert stellt ‚Das Schiff als Rechtssymbol für Staat, Reich, Stadtregiment und Kirche‘ (S. 225-271) vor und zeigt diesen Mikrokosmos einer ‚in sich festgefügten Schutz und Geborgenheit gewährenden Einheit‘ ausgehend von der bekannten Karikatur der Zeitschrift Punch über den politischen Vorgang ‚der Lotse Bismarck geht von Bord‘. Ebenso wie die Darstellung des Schiffes im Kampf gegen die Papstkirche genutzt wird, ist das Schiff als Rechtssymbol für die kirchliche Einheit, Suprematie und Wehrhaftigkeit belegt. Ihm kommt für die Papstkirche eine zentrale Rolle zu. Rolf de Kegel zeigt anhand von Engelberger Altdrucken in ‚Von Gratians Schreibstube zum päpstlichen Konsistorium‘ (S. 273-287) Titelbilder des Decretum aus dem 15. und 16. Jahrhundert, die den Einfluss des Konzils von Trient und des sich anschließenden Reformwerks Papst Gregors XIII. widerspiegeln. Titelkupfer von 1605 und 1606 belegen mit ihrer Romzentrik die Hebung des Decretum auf die amtskirchliche Ebene. Dieter Pötschke, ‚„Graffiti“ in mittelalterlichen Handschriften‘ (S. 289-312) widmet sich Gelegenheitszeichnungen in Handschriften, die keinen direkten Bezug zum Text haben, in den sie eingefügt sind. Abgeschlossen wird der Band mit dem Beitrag Luise Jachmann, ‚„Das Europa? Die Europa!“ Die Allegorese des Europabegriffs von der Antike bis zur Gegenwart.‘ (S. 312-340). In einer ausführlichen Vorbemerkung des Mitherausgebers Heiner Lück wird das kritische Leserpublikum gebeten, zu beachten ‚dass es sich hier um das Erstlingswerk einer jungen und begabten studentischen Autorin handelt‘. Dies beachtend wird nur darauf verwiesen, dass die Plastik von Léon de Pas (S. 339) 1997 geschaffen und 2004 vor dem Justus Lipsius Gebäude aufgestellt wurde.
Neu-Ulm Ulrich-Dieter Oppitz