Michaels, Conrad, Rüstungsmanagement der Ministerien Todt und Speer.
Die Kampfhandlungen des Zweiten Weltkriegs waren stark von der Panzerwaffe geprägt. Sie ermöglichte der deutschen Wehrmacht ungeahnte Erfolge durch rasche Vorstöße mit bedeutenden Raumgewinnen und besiegelte zugleich ihre Niederlage durch ein wachsendes, nicht auszugleichendes quantitatives Defizit im Wettstreit mit den Kapazitäten der Alliierten. Die Antwort auf die Frage, wie effizient der nationalsozialistische Staat seine knappen Ressourcen im Hinblick auf ein optimales Rüstungsmanagement auf diesem Sektor einzusetzen verstand, trägt zu einem tieferen Verständnis dieser Entwicklung bei.
Den Verfasser dieser Bochumer geschichtswissenschaftlichen Dissertation, Conrad Michaels, hat die eigene Familiengeschichte zu seinem Thema geführt. Der Vater, Paul Michaels (1904 – 1977), war einst als Diplomingenieur ab 1941 Leiter des Entwicklungsbüros und Chefkonstrukteur der Panzerfirma Alkett in Berlin, damit ab 1942 auch Mitglied der dem Rüstungsministerium zugeordneten Panzerkommission, hatte sich aber nach Kriegsende im Familienkreis wenig zu dieser Tätigkeit geäußert. Das Interesse des Sohnes, mehr darüber zu erfahren, mündete schließlich in die vorliegende Arbeit, die sich als „wirtschaftsgeschichtliche Studie mit organisatorisch-personellem Schwerpunkt“ das Ziel gesetzt hat, „Rolle und Hauptakteure der […] Panzerkommission im Netzwerk einer Vielzahl konkurrierender Instanzen und Gremien […] näher zu untersuchen“ (S. IX).
Die Etablierung einer deutschen Panzerwaffe war durch Artikel 171 des Vertrags von Versailles verboten und wurde daher während der Weimarer Republik von der Reichswehr im Geheimen vorangetrieben, doch selbst die verstärkten Rüstungsanstrengungen nach der Machtübernahme Hitlers konnten den aufgelaufenen technologischen Rückstand nicht kompensieren. „So zog das Deutsche Reich – nach einer va banque-Politik Hitlers ohnegleichen – in der Masse mit Panzern in den Krieg, die auch nach kritischer Selbsteinschätzung der führenden Akteure der Panzertruppe und des Heereswaffenamts wegen ihrer viel zu geringen Feuerkraft und Panzerung für einen längeren Kriegseinsatz weder gedacht waren noch geeignet sein konnten“ (S. 42). Die Panzerentwicklung habe damals in der Verantwortung des Militärs gelegen, speziell beim Heereswaffenamt, das bald nach Kriegsbeginn dem Chef der Heeresrüstung und Befehlshaber des Ersatzheeres, General der Artillerie Friedrich Fromm, unterstellt wurde: „Mit dem Anspruch des Militärs auf Steuerung der Rüstungswirtschaft, strategisch angelegtem Aufbau eigener Ingenieurkapazitäten und hieraus resultierendem umfassenden eigenem spezialisiertem Entwicklungs-Know-how als auch der Festlegung einer recht komplizierten Arbeitsteilung zwischen Generalstab, Waffeninspektion (‚In 6‘) und Heereswaffenamt wurde für die Panzerentwicklung eine Rollenabgrenzung vorgenommen, die angesichts der großen Anzahl zu Beteiligender nicht nur zu starker Formalisierung bzw. Bürokratisierung der Prozesse führte, sondern auch der Industrie im wesentlichen nur den Ausführungspart übrig ließ. […] Auf der anderen Seite darf nicht verkannt werden, dass der schnelle Aufbau der Panzerwaffe ohne die frühzeitig betriebenen Planungs- und Infrastrukturmaßnahmen des Heereswaffenamts nicht denkbar gewesen wäre“ (S. 47f.).
Dennoch sei es „vor dem Hintergrund der eindeutig misslungenen Mobilisierung der Kriegswirtschaft zu Kriegsbeginn und stagnierender Produktionszahlen […] nur eine Frage der Zeit, des Handlungsdrucks und der passsenden Gelegenheit gewesen, bis eine Neuordnung für den zunächst zögernden Hitler geboten schien“, die sich in der am 17. Mai 1940 verfügten Ernennung Fritz Todts zum Reichsminister für Bewaffnung und Munition mit Weisungsrecht gegenüber Wirtschaft und Wehrmacht institutionell manifestierte. Todt und seinen Mitarbeitern – der wichtigste wohl Karl-Otto Saur – sei gemeinsam gewesen, dass sie sich allesamt „bisher nicht mit Panzerthemen befasst hatten und als Generalisten meist für eine große Breite anderer Rüstungsthemen verantwortlich waren, womit die Ausgangssituation gegenüber den etablierten, häufig hochspezialisierten Fachleuten des Heereswaffenamts von vornherein doch sehr unterschiedlich war“ (S. 62). Nach Todts Ableben infolge eines Flugzeugabsturzes am 8. Februar 1942 folgte ihm Albert Speer in seinen Ämtern nach.
Noch in der Ära Todt wurden aufgrund der Erfahrungen des Frankreichfeldzuges diverse Gremien für die Produktion und Entwicklung von Panzern ins Leben gerufen, die den in sie gesetzten Erwartungen nicht gerecht wurden, sodass am 21. Juni 1941, nur wenige Stunden vor dem Überfall auf die Sowjetunion, auf Initiative Hitlers die Gründung der Panzerkommission als gemeinsame Verfügung des Reichsministers für Bewaffnung und Munition und des Chefs der Heeresrüstung und Befehlshabers des Ersatzheeres unter dem Vorsitz von Ferdinand Porsche erfolgte. Zum Stamm dieser Panzerkommission sollten „die von Todt benannten Mitglieder des Ministeriums und der Industrie sowie die innerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Chefs der Heeresrüstung verantwortlichen Amtsgruppen- und Abteilungsleiter für Panzerentwicklung, -fabrikation und -beschaffung“ gehören (S. 116). Der Verfasser kann aus den lückenhaften Quellen bis Kriegsende 26 Sitzungen mit einem Teilnehmerkreis zwischen 11 und über 30 Personen rekonstruieren, die überwiegend in Berlin stattfanden. Im November 1941 reiste die Kommission sogar an die Ostfront bei Orel, um sich dort vor Ort ein Bild von den massiven Problemen zu machen, mit denen die deutsche Panzerwaffe durch das Auftreten des überlegenen sowjetischen Kampfpanzers T 34 konfrontiert war. Ein anschließender Rationalisierungserlass Hitlers habe aber bloß „Sofortaktionen statt klarer Rollenzuordnung“ nach sich gezogen (S. 151).
Die vielfältigen Bemühungen von Todts Nachfolger Albert Speer, der sein Ministerium und dessen Kompetenzen zielstrebig zu erweitern verstand, und seines führenden technischen Experten Karl-Otto Saur, die Conrad Michaels sehr gewissenhaft und äußerst detailreich ausbreitet, konnten zwar manchen Erfolg und eine beindruckende Steigerung der Produktionszahlen verbuchen, die grundsätzlichen Probleme vermochten sie aber nicht zu lösen. Die entsprechenden Kapitelüberschriften bringen den reaktiven, zu wenig fokussierten und daher nicht wirklich effizienten Charakter der deutschen Panzerrüstung auf den Punkt: 5 „Mit Improvisationen und Schnell-Aktionen gegen den T 34“ (S. 203ff.); 6 „Neutypenprobleme, weiterwachsende Typenvielfalt […]“ (S. 337ff.); 7 „Die Kriegslage erzwingt Entwicklungskonzentration: Neue Strategie?“ (S. 471ff.); 8 „Aktionismus bis zum Untergang […]“ (S. 581ff.); 9 „Panzerentwicklung der Kriegsgegner: Chancenlose Deutsche trotz ‚bester‘ Panzer“ (S. 629ff.). Die durch die Schlacht von Kursk in den Julitagen 1943 erneut akut werdende Panzerkrise habe jedenfalls am 1. Dezember 1943 der Panzerkommission mit Gerd Stieler von Heydekampf, Generaldirektor der Firma Henschel, einen neuen Vorsitzenden als Nachfolger Porsches beschert, „ein Paradigmenwechsel, auch wenn er [Stieler] die vielen Baustellen und laufenden Projekte nicht mehr entscheidend reduzieren konnte. […] Als versierter, in US-amerikanischer Massenfertigung geschulter Produktionsfachmann erkannte er allerdings nicht nur schnell die Notwendigkeit, den K[l]ärungsprozess innerhalb der Panzerkommission durch Konzentration auf kleinere Entscheider-Gremien zu beschleunigen als auch vor allem die Rahmenbedingungen für große Stückzahlen durch Zusammenrücken von Entwicklung und Produktion sowie die Nutzung der vielfältigen Synergien von Panzer- und Fahrzeugentwicklung zu verbessern“ (S. 453). Obwohl die Panzerkommission gleichsam als Initialzündung für eine erhebliche Zahl weiterer vergleichbarer Kommissionen auf dem Rüstungssektor wirkte (vgl. die Übersicht S. 762, Anlage 11), blieb ihr „Kernproblem […], dass ihr kein eindeutiges, gemeinsam getragenes Rollenbild zugeordnet war: Trotz versammelter hoher persönlicher Kompetenz, aber unklarer Entscheidungsbefugnisse war sie nur in Ansätzen imstande, das zentrale Bindeglied zwischen den rivalisierenden Akteuren, Bereichen und Gremien mit ihren jeweiligen Einzelstrategien zu sein. Nicht zuletzt durch Hitlers persönliches Eingreifen, die sich schnell verschlechternde Kriegslage und konkurrierende Entscheidungsstrukturen und Machtmonopole […] gelang es ihr daher nur sehr eingeschränkt, zum Motor einer gemeinsamen, konsequent an Standardisierung und Massenfertigung ausgerichteten Panzerentwicklungsstrategie zu werden. Trotz vieler technischer ‚Höchstleistungen‘ auf dem Panzersektor schafften es Panzerkommission und ‚Panzerausschuss‘ bis Kriegsende nicht, insbesondere die Massenfertigung als auch den von Hitler seit Jahren geforderten Einbau von serienreifen Dieselmotoren in Panzerwagen durchzusetzen“ (S. 693f.). Nach Kriegsende hätten sich die drei rivalisierenden Akteursgruppen – Rüstungsministerium, Heeresrüstung und Industrie – wenig überraschend wechselseitig die Schuld an den Versäumnissen zugeschoben.
Die Vielzahl der im laufenden Text erwähnten personellen, technischen und organisatorischen Einzelheiten – vor allem Ertrag der Durchforstung von insgesamt nicht weniger als beeindruckenden 73 deutschen und ausländischen Archiven (öffentliche, Firmen, sonstige private) – verlangt nach brauchbaren Übersichten, die der Band auch in reicher Zahl bereitstellt. Zu diesen Hilfsmitteln zählen zum einen die in den Text eingestreuten, sich mit diversen zeitgenössischen Fotografien abwechselnden, 20 organisatorischen Schaubilder, zum anderen die Materialien des Anlagenteils (S. 744 – 771). Aus Letzteren sind als besonders hilfreich hervorzuheben die mit Zeichnungen aufbereitete Übersicht „Beispiele deutscher Panzerentwicklung 1934-1945“ (Anlage 5), die Übersicht „Sitzungen der Panzerkommission 1941-1945“ (Anlage 8) und die Übersicht „Mitglieder der Panzerkommission 1941-1945“ (Anlage 9). Erweiterte biographische Angaben liefert das umfangreiche Personalglossar, das in alphabetischer Ordnung zahlreiche Lebensläufe von Mitgliedern der Panzerkommission, weiteren Sitzungsteilnehmern und relevanten Akteuren im Umfeld versammelt (S. 772 – 810).
Im Ergebnis zeigt die Arbeit, die den von verschiedenen Interessensgruppen – insbesondere auch von Speer – gestreuten Mythen stets mit kritischer Distanz begegnet, dass es dem nationalsozialistischen Regime auf dem so kriegswichtigen Gebiet der Panzerrüstung nicht gelungen ist, die vorhandenen Ressourcen in optimaler Weise zu bündeln. Die von Historikern attestierte, dem Wesen dieser Herrschaft immanente Polykratie, die sich in der Duldung, ja Förderung konkurrierender Parallelstrukturen realisierte, führte auch hier zu einem Wettbewerb, der der notwendigen Konzentration auf einfache, einsatztaugliche und rasch in Massenfertigung umsetzbare Lösungen zuwiderlief. Die unerwartet lange Dauer des Krieges gestattete es nicht, den vorhandenen Entwicklungsrückstand wirksam aufzuarbeiten, zumal sich die militärischen Kräfteverhältnisse immer mehr zu Ungunsten Hitlerdeutschlands verschoben. Zweifellos hat die deutsche Panzerrüstung, wie der Band deutlich macht, selbst unter diesen suboptimalen Rahmenbedingungen sowohl technologisch als auch quantitativ beachtliche Leistungen erbracht. Eine Kompensation der weit überlegenen Rüstungspotentiale der alliierten Gegner wäre aber auch unter idealen Voraussetzungen keine realistische Option gewesen.
Kapfenberg Werner Augustinovic