Pintarić, Sarah Maria, Vereinbarungen contra bonos mores

in der Kanonistik (= Rechtshistorische Reihe 484). Lang, Berlin 2019. 2017 S. Angezeigt von Gerhard Köbler. ZIER 11 (2011) 09. IT

Wann die ersten Vereinbarungen der Menschen entstanden sind, ist zwar nicht genau bekannt, doch dürfte dies jedenfalls in den Hochkulturen der alten Völker bereits der Fall gewesen sein. Bei den für das Recht besonders bedeutsamen Römern entwickelten sich daneben auch die mores (maiorum) als die (hergebrachten) Sitten (der Väter) zu einer besonderen Einrichtung. Sie knüpften zwar eigentlich nur an den früheren Entstehungszeitpunkt unter den Vorfahren an, verliehen diesen aber an sich allein schon deswegen einen grundsätzlichen und deswegen zu beachtenden Wert.

 

Mit einem Teilaspekt dieser mores beschäftigt sich die vorliegende, von Mathias Schmoeckel betreute und in Bonn angenommene Dissertation der in München für ein Jahr in politischer Wissenschaften und anschließend in Rechtswissenschaft ausgebildeten, nach den beiden juristischen Staatsprüfungen seit 2015 als Rechtsanwältin in München tätigen Verfasserin. Sie ist nach einer Einleitung zur Einführung, Fragestellung und Thesen, Methode und Gang der Untersuchung in zwei Hauptteile gegliedert. Diese betreffen zur Einführung die boni mores in dem klassischen römischen ius civile und in der Theologie sowie in dem Anschluss hieran hauptsächlich die boni mores als Kriterium für die Verbindlichkeit von Vereinbarungen in der Kanonistik.

 

Dabei geht die Verfasserin mit ihrem Betreuer ansprechend davon aus, dass der allgemeine Gedanke der Nichtigkeit aufgrund von Sittenwidrigkeit in seiner heutigen Abstraktion  erst unter Bernhard Windscheid (1817-1892) bei den Vorarbeiten zu dem Bürgerlichen Gesetzbuch des Deutschen Reiches an dem Ende des 19. Jahrhunderts in Paragraph 138 BGB zu einer allgemeinen Regel zusammengefasst wurde, die Idee, dass der Inhalt von Verträgen, Testamenten oder Bedingungen an den guten Sitten in dem Sinne einer moralischen Instanz zu messen ist, in der Rechtswissenschaft bereits sehr viel früher vorhanden ist. Zwecks Überprüfung dieses Gedankens betrachtet sie nach dem klassischen und nachklassischen römischen Recht pactum und boni mores bei Irnerius, Placentinus, Azo, Accursius, Petrus Lombardus und Thomas von Aquin. Für die boni mores als Kriterium für die Verbindlichkeit von Vereinbarungen in der Kanonistik untersucht sie das Decretum Gratiani, die Summe des Huguccio von Pisa, die Glossa ordinaria des Johannes Teutonicus, die quinque compilationes antiquae und ihre Kommentierung, den Liber Extra, die Glossa ordinaria des Bernardus Parmensis, die Summa des Goffredus de Trano, den Kommentar Innozenz‘ IV, die Summa aurea und die Lectura des Henricus de Segusio, den Liber Sextus und seine Kommentierungen und vergleicht das Ergebnis mit den Zeugnissen des Bartolus und Baldus, wobei sie einleuchtend feststellen kann, dass die Kanonistik des Hochmittelalters in Zusammenhang mit dem Vertragsrecht besondere neue inhaltliche Maßstäbe für die Zulässigkeit von Vereinbarungen schuf, die auf naturrechtlichen Gedanken beruhen und noch heute fortwirken.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler